«Dat is zum Mäusemelken!«hatte Doll ein paarmal geschrien.»Dat haste nu davon, mit dingem Fimmel von der Nachhut! Die da vürn rießen de Stroß op, und ich krieje die janze Scheiße ins Geseech! Nach dem Essen maache mir widder de Spitz…«
«Wir bleiben hinten«, sagte Paschke. Er bedauerte Jana, die hin und her geschleudert wurde. Die zarten Knöchelchen, dachte er. Und noch nich mal massieren kann ick se.»Ick weeß det besser als du…«
«Scheiße!«
Nun fuhren die 18 Lkws vor dem Bauernhaus auf, wieder schön ausgerichtet in langer Reihe. Von Wagen eins war die Meldung gekommen:»Das Auto vom Chef parkt vor einer Kate!«, und Paschke hatte den Befehl gegeben, auch dort zu halten. Mittagspause.
Etwas steif kletterten die Fahrer aus ihren Wagen und rannten hinüber zum Haus. Eine graugrüne, nasse Woge ergoß sich in das Zimmer, im Nu stank das ganze Haus nach durchweichten Kleidern und anderen Gerüchen. Großväterchen, neben Wollters einträchtig auf der Ofenbank sitzend, beobachtete interessiert die Soldatenflut. Wollters riß seinen Uniformrock von der Leine und zog ihn schnell an.
«Einsatzkommando >Hamburg< zur Stelle!«meldete Paschke und schlug die Hacken zusammen.»Keine besonderen Vorkommnisse.«
Dr. Runnefeldt nickte. Paschke rührte sich. Der Duft der Hühnersuppe, die ein Brei geworden war, zog ihm in die Nase.»Wie ist die Straße?«fragte Dr. Runnefeldt.
«Noch jeht's, Herr Sonderführer. Aber wenn det so weiter pißt… Bis Königsberg sind's noch gut 600 Kilometer.«
«Im Reich werden die Straßen besser, Paschke. Ihr habt Hunger, was?«
«Bis unta de Arme, Herr Sonderführer.«
«Dann Kochgeschirr raus und Essen fassen. Es gibt Brei mit Huhneinlage.«
«Wat flutscht, is imma jut, sagte meen zahnloser Großvater. «Paschke drehte sich um. Hinter ihm knubbelten sich die 35 Fahrer.»Bereit machen zum Essenfassen!«
Zwanzig Minuten später hatte jeder Soldat eine volle Kelle Hühnerbrei in seinem Kochgeschirr. Sie standen an den Wänden oder saßen auf den Dielen, und eine Weile hörte man nur das Klappern der auseinandernehmbaren Eßbestecke.
Dr. Runnefeldt, Wollters und Wachter saßen am Tisch und aßen von irdenen Tellern. Stumm sahen ihnen Praskowja, die
Kinder und Großväterchen zu. Er war heute ein glücklicher Mensch — die schönsten Hosenträger der Welt hatte er getragen.
Paschke aß nur ein wenig von seinem Hühnerbrei, sagte dann zu dem schlürfenden Doll, der aufmerksam die Zwiebelstücke herumrührte, beste Munition für seine Rache:»Ick jeh mal abprotzen. Irjendwo find ick schon ne trockne Ecke…«und verließ das Haus.
Geduckt rannte er zu seinem Wagen, sprang auf die Stoßstange und schnellte sich von ihr ab über die Ladeklappe ins Innere. Die paar Meter waren wie ein Lauf durch einen Wasserfall gewesen.
«Ick bin et, Mädchen«, sagte er in das Halbdunkel hinein.»Keene Angst. Allet läuft wie jeschmiert. Haste noch deene Knochen? Ick hab dir wat zum Essen jebracht. Hühnerbrei. Sieht aus wie vorverdaut… aba schmeckt besser als ick gedacht habe.«
Er zwängte sich durch die Kisten und blieb vor Jana stehen. Sie saß mit dem Rücken an der Kabinenwand und streckte die rechte Hand aus. Paschke reichte ihr sein Kochgeschirr hin.»Du bist ein guter Mensch«, sagte sie.
«Ick hab mit'n Löffel schon jejessen. «Janas Worte machten ihn sehr verlegen.»Kannst aba unbesorcht nehmen. Ick habe keene Syphilis.«
Er lehnte sich an die Kiste von der Jungfrau Maria und den Engelsköpfen und sah ihr eine Weile zu, wie sie den Hühnerbrei aß. Sie nahm nicht viel, nur ein paar Löffelchen, und hielt ihm das Kochgeschirr wieder hin.
«Danke, Julius…«
«Kannste allet essen, Jana.«
«Und du?«
«Ick orjanisiere mir schon wat. Det ham wa jelernt. Magste nich?«
«Ich bin satt, Julius.«
«Da frißt meen Meerschweinchen ja mehr. Ick hab nämlich en Meerschweinchen zu Hause, mußte wissen. Emma heeßt se. Nach meener Schwiejermutta. Zuerst war Hanna — det is mee-ne Frau — tief beleidicht. Dann koofte se sich eenen Kanarienvogel, den nannte se Klara. Wie meene Mutta. Da war'n wer quitt.«
Er nahm das Kochgeschirr zurück und löffelte den Rest des Breies aus. Jetzt hatte er auch seine Feldflasche mitgebracht, schraubte sie auf und gab sie Jana.
«Tee«, sagte er dabei.»Mit so nem Zitronenpulver drin. Aba es schmeckt.«
Durstig goß sie sich den Mund voll, bis sich ihre Backen blähten, und dann erst schluckte sie es hinunter. Dreimal. Die Feldflasche war halb leer, als Jana sie an Paschke zurückgab.»Bist 'n dolles Mädchen«, sagte er.»Und so wat wird nu im Kriech verheizt.«
«Er ist bald zu Ende, Julius.«
«Det glaubste? Ick weeß nich. Ick laß mir übaraschen.«
Mit langen Sprüngen kehrte er zum Bauernhaus zurück, triefend vom Regen, und stellte sich wieder neben Doll an die Zimmerwand.
«Dat wor äwwer ne nasse Eck zum Drießen«, sagte Doll. Paschke beugte den Kopf vor und ließ das Wasser aus seinen Haaren laufen.
«Sprich deutsch, sag ick dir imma.«
«Eine nasse Ecke zum Scheißen!«Doll bemühte sich, hochdeutsch zu sprechen.»Himmlische Spülung, wat?«
«Du kannst mir jreuzweise…«
Dr. Runnefeldt war ein paar Mal ans Fenster getreten und hatte hinaus in den Regen geblickt. Es sah nicht so aus, als ob sich der Himmel bald schließen würde.
«Es hilft alles nichts«, sagte er zu Dr. Wollters.»Wir müssen weiter. Wir können hier nicht Wurzeln schlagen. Ab und durch den Regen durch… wir sind ja nicht aus Zucker. Hinter der Düna, in Litauen, wird es besser. Da haben wir vernünftige Straßen. «Er wandte sich an die Landser und klatschte in die Hände.»Leute, es geht weiter! Wir kapitulieren doch nicht vor russischen Straßen! In Königsberg könnt ihr euch dann ausruhen…«
Als letzte verließen Wollters und Dr. Runnefeldt das Bauernhaus. Wachter saß schon hinten im Adler, der Fahrer hatte in die Verdeckritzen Streifen aus zerschnittenen Kartoffelsäcken gestopft.
«Wollen wir jetzt tauschen?«fragte Dr. Runnefeldt.»Sie hinten, ich vorn?«
«Nein!«antwortete Wollters stur.
«Dann Wachter nach vorn…«
«Ich bleibe auf meinem Platz!«Wollters zog den Kopf tief zwischen die Schultern und rannte los, riß die Wagentür auf und ließ sich auf den Sitz fallen. Dr. Runnefeldt gab Trofim die Hand. Der Alte war darüber so verblüfft, daß sich seine Hand anfühlte wie ein schlaffer Lappen.
«Mach's gut, Opa«, sagte Dr. Runnefeldt. Dabei wehrte er Praskowja ab, die unbedingt seine andere Hand küssen wollte. Wie gut war man heute weggekommen! Keine Hausdurchsuchung, keine Beschlagnahmung, nur Lydia hatte dran glauben müssen, ein kleiner Preis für die Güte der deutschen Offiziere. Und Großväterchen hatte sogar die, Hosenträger anziehen dürfen. Welch ein Erlebnis. Muß man da nicht danken auf die gute, alte Art?» Und paß auf deine Ikone auf… 16. Jahrhundert, damit kannst du nach dem Krieg ein neues Haus bauen!«
Trofim verstand ihn natürlich nicht, aber am Klang der Stimme ahnte er, daß ihm etwas Gutes gesagt wurde. Er nickte vorsorglich, begleitete Dr. Runnefeldt bis zur Eingangstür und blickte dann lange der Wagenkolonne nach, die sich langsam durch den Regen auf die Straßen quälte.
An diesem Tag trag der schriftführende Offizier in das Kriegstagebuch des 50. Armeekorps ein:
16.10. Krasnogwardejsk:
Rittmeister Dr. Wollters und Sonderführer Dr. Runnefeldt verlassen nach Abschluß ihrer Tätigkeit (Sicherstellung von Kunstgegenständen) den Stab Gen.Kdo. L.A.K….
Einer der größten Kunstraube der Geschichte war damit dokumentiert.
Zwei Tage und zwei Nächte waren sie unterwegs: 930 Kilometer durch Regen, Schlamm, zähen Lehm und klebenden Morast. In Kauen mußten drei Lkws in die Werkstatt, nachdem man sie mühsam mit Abschleppseilen mitgezogen hatte. Der Werkstattleiter der 3. Nachschubkompanie, ein Oberfeldwebel, stellte zwei Federbrüche, einen Getriebeschaden und eine angeknackste Achse fest und meldete dann:»Reparatur wird drei Tage dauern. Dazu müssen die Lkws entladen werden.«»Die Reparatur wird drei Stunden dauern!«hatte Dr. Wollters gebrüllt.»Und nicht ein Staubkorn wird entladen. Das wollen wir doch mal sehen!«