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Sanka ist also ein Krankenwagen. Ein neues Wort, das wichtig war. Die Abkürzung von Sanitätskraftwagen. Jana wartete, bis der Sanitäter wieder abgeschlossen hatte und sah sich um. Kahle Wände, ein blanker Linoleumfußboden, ein Geruch von

Desinfektionsmitteln, eine Reihe Türen, Rolltragen an einer Seite der Wände, zwei Untersuchungszimmer für Notfälle und Unfälle, zwei fahrbare Krankenstühle.

Der Sanitäter kam von der Eingangstür zurück und grinste Jana an.

«Na, über den Zapfen gewichst, und jetzt heimlich hinein durch die Hintertür. War's schön?«Er lachte, als er Janas verständnisloses Gesicht sah und legte den Arm um sie. Sie wußte nicht, ob sie es dulden oder ihn abschütteln sollte.»Machst Augen wie ein Engelchen, sooo unschuldig. Nun wetz schon in dein Bett, ehe dich die Nachtwache erwischt.«

«Ich muß mich bei der Oberschwester melden«, sagte Jana Petrowna, so wie sie es geübt hatte.

«Jetzt? Um halb sechs?«Er sah Jana genauer an und bemerkte ihre große Wachstuchtasche.»Ach Gott, du bist neu hier? Sollst dich melden?«

«Ja. Eben mit dem Zug angekommen.«

«Woher kommste denn?«

«Von der Front. Von Leningrad.«

«Das dreht ja 'n Hund in der Pfanne rum! Leningrad? Von ganz vorn?«

«Ja. Vom Hauptverbandsplatz.«

«Und was sollste dann hier bei uns?«

«Ich war krank. Typhus. Ich soll mich hier etwas erholen… und natürlich arbeiten. Sie haben mir einen Marschbefehl gegeben und mich losgeschickt.«

«Ja. So ist das!«Der Sanitäter faßte Jana unter und schob sie an seiner Seite zu einem Zimmer.»Mich hat's in Polen e-wischt. Schuß in die Hacke, und als ich hochgezuckt bin, noch'n Schuß in die linke Schulter. Schlüsselbein zertrümmert. Seitdem schlurfe ich hier herum. So, das ist mein Wachraum. Setz dich auf das Sofa, Mädchen. Wie ist es mit nem Bier? Erzähl mal, was da draußen los ist. Bis acht Uhr haben wir Zeit, vorher ist keiner in der Verwaltung, und Oberschwester Frieda kriegste erst um halb neun. Die Frieda Wilhelmi ist nämlich so was wie ne Kommandeuse. Da stehn sogar die Ärzte stramm. Was die sagt, stimmt und wird gemacht. Der kann keiner! Der erste Rat von mir: Stell dich mit der Wilhelmi gut. Aber das wird schwer sein… du bist zu hübsch, Mädchen. Da sieht sie wieder was kommen. Alle Ärzte sind wie Hunde, die eine läufige Hündin riechen, sagt sie.«

«So schlimm ist es hier?«

«Was? Hat dich noch kein Arzt angepackt?«

«An der Front hatten wir andere Probleme. Da standen wir zwischen Haufen zerfetzter Leiber… Wie heißen Sie?«

«Karl Bludecker… Dämlicher Name, was? Aber man kann sich ja seine Eltern nicht aussuchen. Und du?«

«Ich heiße Jana Rogowskij.«

«Echter ostpreußischer Adel, was?«Bludecker grinste, holte eine Flasche Bier, aber Jana winkte ab.

«Danke, Karl. Ich kann doch nicht mit einer Bierfahne bei Frieda Wilhelmi vorsprechen.«

«Die Frieda säuft auch. Heimlich. Das weiß ich. Also dann nicht. «Er hob die Flasche hoch und prostete ihr zu.»Es lebe die Schiffahrt!«

Er nahm einen langen Schluck, setzte dann die Flasche ab und stieß diskret auf. Jana saß auf dem Sofa und hatte die Hände in den Schoß gelegt.

«Warum Schiffahrt?«fragte sie.

«Das kennste nicht?«Bludeker klopfte gegen die Bierflasche.»Nach einem halben Liter Pissolin kannste ein Liter schiffen…«

«Oder strullen…«sagte sie.

«Auch. Das ist nur vornehmer ausgedrückt. Mädchen, du bist in Ordnung!«

Um acht Uhr führte Bludecker sie zum Zimmer der Oberschwester. Frieda Wilhelmi war noch nicht da, sie setzte sich artig auf einen Stuhl in der Ecke und wartete.

Pünktlich um halb neun ging die Tür auf und ein beweglicher, massiger Turm rollte ins Zimmer. Der Turm war mit einer Schwesterntracht behängt und trug oben einen Kopf mit einem bebrillten Gesicht. Hellblaue Augen musterten kurz die sofort aufspringende Jana, dann rollte der Turm zum Schreibtisch und fuhr Arme aus, die sich auf die Tischplatte stützten. Schon dieser erste Anblick genügte, um in Jana eine alarmierende Angst aufkommen zu lassen. Das war eine Frau, gegen die niemand ankam, die nichts erschüttern konnte, die gewohnt war, zu herrschen, die nichts anderes erwartete als Unterwürfigkeit.

«Was ist?!«fragte sie kurz.

Jana zuckte zusammen und starrte den Fleischberg an. Welch eine Stimme, dachte sie überrascht. Eine angenehme, tiefe, klangvolle Stimme mit einem leicht singenden Ton. Vertrauen konnte man zu ihr haben, man mußte nur die Augen schließen…

«Welche Station?«

«Noch gar keine, Oberschwester.«

«Wie bitte?«

«Ich soll mich hier melden. «Jana holte das selbstausgefüllte Formular aus der Wachstuchtasche und hielt es Frieda Wil-helmi hin. Mit größter Anstrengung versuchte sie, das leichte Zittern ihrer Hand zu unterdrücken. Jetzt entscheidet sich alles, dachte sie. Jetzt kann nur noch Gott helfen… falls er gegen Frieda eine Chance hat.»Ich komme von der Front. Von Leningrad.«

«Von der Front!«Frieda Wilhelmi warf wieder einen Blick über Jana, ein Blick, der sie vollkommen umfaßte und wie ein Dorn in sie einzudringen schien.»Leningrad!«Frieda nahm das Formular an sich, überflog es und warf es dann auf ihren Schreibtisch.»Papiere…«

«Ich habe nur diese Einsatzbescheinigung.«

«Sie müssen doch Papiere haben. Ihren DRK-Ausweis, ein Überstellungsschreiben…«

«Ich habe nichts, Oberschwester. In den Hauptverbandsplatz schlugen drei schwere Granaten ein. Eine mitten in unsere Wohnbaracke. Alles wurde vernichtet und verbrannte. Das war eine Stunde, bevor ich abfahren mußte. Nur meine Tasche ist übriggeblieben, weil ich sie bei mir hatte.«

Frieda Wilhelmi nahm das Formular vom Tisch, las es noch einmal und zuckte dann mit den dickfleischigen Schultern. Jana atmete innerlich auf. Ein Schulterzucken ist eine halbe

Kapitulation.

«Man hat Sie also uns zugewiesen?«sagte der Turm und warf das Papier wieder auf den Tisch zurück.»Waren Sie schon bei der Verwaltung?«

«Nein. Ich wollte mich erst bei Ihnen melden, Oberschwester. «Frieda nickte, fand nach dieser Antwort das Mädchen sympathisch und setzte sich auf einen breiten Stuhl, der unter ihrer Körpermasse verschwand.

«Da müssen Sie gleich hin, Schwester Jana. Sonst gibt's kein Geld. «Wieder dieser forschende, in die Tiefe dringende Blick.»Wo steck ich Sie hin? In einem Hauptverbandsplatz waren Sie? Da kommt nur die Chirurgie in Frage. Davon haben Sie ja Ahnung. Wir sind hier das größte Heimlazarett. Ich bringe Sie nachher zum Chef, Dr. Pankratz. Stabsarzt Dr. Pankratz. Er jammert immer wieder nach einer guten Fachschwester. Gehen Sie jetzt zur Verwaltung und kommen Sie dann zu mir zurück.«

«Jawohl, Oberschwester.«

Frieda Wilhelm! blickte Jana nach, als sie das Zimmer verließ. Ein hübsches Mädchen, dachte sie. Ein gut erzogenes Mädchen. Ein offener Blick und noch nicht verdorben. Das sieht man sofort. Man wird auf sie aufpassen müssen, daß sie nicht unter die Räder kommt. Ich werde mich selbst um sie kümmern. Jana Rogowskij. Geboren in Lyck… das liegt in Masuren, dicht an der russischen Grenze. Schlag den Ärzten und anderen auf die Pfoten, wenn sie Griffe kloppen wollen. Ich paß auf dich auf, Jana.

In der Verwaltung, Abteilung Personalbüro, saß ein rothaariger, jüngerer Mann und hatte neben dem Tisch sein rechtes Bein lang ausgestreckt. Erst beim zweiten Blick sah Jana, daß es eine Prothese war. Der Mann nickte und schob sich etwas auf dem Stuhl zurecht.

«Frankreich«, sagte er.»Sturm auf die Maginotlinie, Granatsplitter. Hat glatt den Knochen oberhalb des Knies durchschlagen. «Er streckte die Hand aus und nahm das Formular ab.»Sie wollen bei uns arbeiten?«

«Ich bin hierher abkommandiert. «Jana Petrowna war jetzt sicherer geworden.»Oberschwester Frieda schickt mich zu Ihnen. Ich soll auf der Chirurgie anfangen. Es ist alles geklärt, auch wegen der fehlenden Papiere. Ich komme von der Leningrad-Front.«