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«Ich mag diesen Dr. Phillip nicht, Oberschwester.«»Sag dir das immer vor. «Frieda Wilhelmi blickte auf die Uhr an der Wand. Das Mittagessen wurde in Kürze ausgetragen, eine sehr wichtige Stunde für sie und alle Menschen im Krankenhaus.»Und denk nicht mehr an ihn… er ist wirklich keinen Gedanken wert.«

Bereits am nächsten Tag, um zehn Uhr vormittags, fand die erste Besprechung zwischen Gauleiter Koch, Dr. Findling, Dr. Runnefeldt und Dr. Wollters statt. Wie immer war auch Bruno Wellenschlag anwesend, saß mit am Tisch und hörte schweigend zu. Ein Zeuge, den Koch bewußt hinzugezogen hatte, um später gegenüber Hitler, Bormann, von Ribbentrop und Rosenberg abgesichert zu sein.

Zwar lag aus dem Führerhauptquartier im voraus die Zusage vor, das Bernsteinzimmer in Königsberg aufzubauen, aber es bedurfte nur eines Fingerzeiges von Bormann, und die Lage änderte sich grundsätzlich.

Dr. Findling erschien etwas blaß und sichtlich angeschlagen zu dieser Konferenz. Großvaters Salatöl hatte zwar das Sodbrennen und die Übelkeit ferngehalten, aber die Alkoholschwere im Kopf konnte es nicht besiegen. Den anderen Herren schien es ähnlich zu gehen, bis auf Koch, der so munter und frisch war, als hätte er zwölf oder mehr Stunden geschlafen und nur Wasser getrunken. Er hatte in seiner Wohnung im Schloß übernachtet und war nicht hinaus zu seiner prunkvollen Villa gefahren, einem Prachtbau, der den Unwillen der Bevölkerung herausgefordert hatte, einen stillen, stummen, unterdrückten Unwillen natürlich, denn Kritik am Gauleiter wäre eine Brüskierung gewesen, die Koch sofort mit allen brutalen Mitteln bestraft hätte. Der» König von Ostpreußen «duldete keinen Widerspruch.

Koch eröffnete die Besprechung mit einer grundsätzlichen Frage an Dr. Findling:»Wie lange brauchen Sie zum Aufbau des Bernsteinzimmers im Schloß, Dr. Findling?«

Und Findling antwortete sofort:»Fünf bis sechs Monate, Herr Gauleiter!«

Er war auf diese Frage vorbereitet, und auch die Reaktion Kochs hatte er vorausgesehen. So erschrak er nicht, als Koch ihn anstarrte, und duckte sich auch nicht, als Koch plötzlich schrie:

«Ja, sind Sie denn verrückt geworden?! Sechs Monate?! Sechs Wochen gebe ich Ihnen — «

«Unmöglich.«

«Nichts ist unmöglich! Dr. Runnefeldt, wie lange dauerte der Ausbau in Puschkin?«

«Sechs Tage. «Dr. Runnefeldt warf einen ermunternden Blick hinüber zu Dr. Findling.

«Und Sie, Findling, quatschen von sechs Monaten?«schrie Koch aufgebracht.»Sind sie noch besoffen?!«

«Ich muß dem Kollegen Findling recht geben. «Dr. Runnefeldt, der keine Angst vor Koch hatte, zumal seine Auftraggeber Hitler, Bormann und das Außenministerium waren, ließ sich von Kochs giftigen Blicken nicht beirren.»Ausbauen ist einfacher als aufbauen. Man kann ein Haus in wenigen Stunden niederreißen, aber nicht neu bauen. Es ist ja nicht damit getan, die Wandtafeln einfach aufzustellen. Das Zimmer muß sachgemäß rekonstruiert werden. Tafel für Tafel, Figur für Figur.

Und nun, wo wir es zerlegt vor uns haben, sollte es auch historisch-wissenschaftlich untersucht und katalogisiert werden. Verschiedene Epochen und Künstler haben an ihm gearbeitet… vom Bernsteinschneider Gottfried Wolffram und den Danziger Meistern Ernst Schacht und Gottfried Turow im Jahre 1707 bis zu Rastrelli im Jahre 1760 in Zarskoje Selo, dem Jahr der endgültigen Aufstellung des Zimmers unter Zarin Elisabeth. Und auch dann noch, ab 1763, arbeiteten fünf Königsberger Bernsteinmeister am Aufbau und an Ergänzungen der

Vertäfelung weiter. Es waren Friedrich und Johann Roggenbuch, Clemens und Heinrich Wilhelm Friedrich und Johann Welpendorf. Das müssen wir alles sehr genau registrieren, bevor wir das Bernsteinzimmer wieder einbauen.«

«Unser Superfachmann!«Koch kratzte sich die Nase und strich dann über seinen kurzen Schnurrbart.»Was sagen Sie dazu, Dr. Wollters?«

«Ich pflichte den Ausführungen des Kollegen Findling bei, Herr Gauleiter«, antwortete der Rittmeister vorsichtig.»Wir haben jetzt die beste und ich glaube einmalige Gelegenheit, das Bernsteinzimmer genau zu untersuchen und kunsthistorisch auszuwerten.«

«Mit Wissenschaftlern zu arbeiten, ist eine Strafe!«Koch wandte sich wieder Dr. Findling zu.»Ich wünsche, daß alle diese Arbeiten so schnell wie möglich ausgeführt werden. Nicht, daß uns die Zeit überrollt und der Krieg gewonnen ist, bevor das Bernsteinzimmer im Schloß aufgebaut ist. Sie wissen doch, meine Herren, daß dann das Zimmer nach Linz, in die Ostmark, kommen könnte. Mein ganzes Trachten ist, diesen einmaligen Schatz hier im Schloß zu lassen… für alle Zeiten! Wenn es in Einzelteilen herumliegt, ist es leichter abzutransportieren, als wenn es wieder eingebaut ist und eventuell neuen Schäden ausgesetzt wird. Beeilung also, Dr. Findling. Ob nun eine geschnitzte Figur von Meister Popofax stammt oder eine Girlande von Meister Pipiström, das ist doch im Grunde gleichgültig!«

«Nicht für die Wissenschaft, Herr Gauleiter«, sagte Dr. Runnefeldt furchtlos.

«Ich sagte es ja: Ihr Wissenschaftler seid eine Strafe Gottes. «Koch hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die von einer Ordonnanz servierten Kaffeetassen klirrten.»Wann darf ich wenigstens eine Tafel sehen? Ist das denn erlaubt?«

«Wir werden einige Kisten öffnen und eine Tafel zusammensetzen. Allerdings nur liegend, Herr Gauleiter.«

«Wie gütig von Ihnen. «Koch erhob sich abrupt. Die erste Bernsteinzimmer-Konferenz war damit beendet. Die anderen Herren schnellten von ihren Stühlen hoch.»Wann?«fragte

Koch.

«Ich werde versuchen, es heute Nachmittag zu bewerkstelligen.«

«Versuchen Sie es, Dr. Findling. «Dicker Spott lag in Kochs Stimme.»Wohin darf ich mich begeben?«

«Ich schlage vor, eine Tafel auf dem Boden des für den Aufbau vorgesehenen Zimmers Nummer 37 auszulegen.«

«Und um welche Uhrzeit wäre meine Anwesenheit genehm?«»Ich werde Sie benachrichtigen, Herr Gauleiter.«

«Zu gütig!«Koch ging zur Tür, gefolgt von seinem Schatten Bruno Wellenschlag.»Denken Sie daran, daß ich um neunzehn Uhr zu Abend esse…«

Er riß die Tür auf und stampfte hinaus. Erst als die Tür zugefallen war, atmeten die Herren sichtbar auf. Dr. Runnefeldt sah zu Dr. Findling, der bleich an der Tischkante lehnte. Dr. Wollters kaute an seiner Unterlippe.

«Den haben Sie aber kräftig ins Kreuz getreten!«sagte Runnefeldt.»Natürlich sind Sie im Recht… aber befürchten Sie keine Repressalien von ihm?«

«Man hätte es diplomatischer ausdrücken sollen, nicht so direkt«, warf Dr. Wollters ein.»Wir kennen doch des Gauleiters Empfindlichkeit. Das wird Folgen haben, Dr. Findling.«

«Es geht nicht um mich, es geht um das Bernsteinzimmer. «Findling stieß sich von der Tischkante ab.»Auch ein Gauleiter muß vor so einem Kunstwerk Geduld lernen. «Er trat an das Fenster, blickte hinunter zum Schloßhof und auf die achtzehn Lkws. Sie wurden von fünf Soldaten bewacht.»Wie lange bleiben Sie, Kollegen?«

«Ich werde übermorgen nach Riga zurückkehren müssen«, sagte Dr. Wollters.»Vermute, daß ich noch einmal nach Paw-lowsk muß. Die Ausbeute an Kunstschätzen dort im Schloß ist ja kaum zu überblicken!«

Auf dem breiten Gang zum Treppenhaus blieb Koch kurz stehen und tippte Wellenschlag gegen die Brust.

«Hast du das gehört, Bruno?«fragte er.»Die studierten Kerle wollen mir die Hose übern Hintern ziehen!«

«Eine Frechheit, Gauleiter. «Wellenschlag kannte wie kaum jemand anderes Kochs Charakter und Gemütsverfassung.»Aber…«

«Was aber? Diesen Findling werde ich hüpfen lassen wie einen Frosch! Und du wirst der Storch sein, der ihm ständig im Nacken sitzt!«

«Genaugenommen kann man ihm nichts vorwerfen, Gauleiter.«

«Quatsch nicht so blöd, Bruno. «Koch stampfte weiter in Richtung Treppenhaus.»Du verstehst was vom Saufen, aber nichts von Menschenführung. Auch Findling ist ein Lakai, alle um mich herum sind nur Lakaien, und ein Lakai hat zu tun, was ihm befohlen wird, und den Mund zu halten.«