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Ringsum sind alle Stehtische belegt. Meiner ist der einzige, an dem ein Einzelner steht, überall sonst unterhält man sich, ich fühle mich in meine Schulzeit zurückversetzt, da konnte mich auch niemand leiden (mit gutem Grund). Offenbar wirke ich zeitlos abschreckend. Damit das so bleibt, fülle ich die drei Weingläser vor mir mit Wein, mit den Wassergläsern verfahre ich ebenso. Es sieht aus, als hielte ich die Stellung für eine große Runde.

Der bekannte Anarchorocker Stefan Weber, der vor Jahrzehnten mit Falco zusammen in einer Band war und im Hauptberuf Gymnasiallehrer ist, tritt ein und steuert mit seiner Begleitung — einem Mann, einer Frau — zielsicher meinen Tisch an. Er knurrt etwas und weist auf meinen Tisch. Ich nicke. Hastig trinke ich eines der Gläser vor mir aus. Dann ziehe ich ein zweites unauffällig zu mir.

Die Frau scheint Webers Freundin zu sein. Der begleitende Mann kommt mir ebenfalls bekannt vor. Er wirkt, als hätte er eine sehr hohe Meinung von sich selbst, sieht aus wie ein Künstler. Vielleicht ein Maler, Maler tragen gern diese randlosen Brillen, mit denen man feinsinnig und ästhetisch anspruchsvoll aussieht. Irgendwoher kenne ich ihn, aber ich bin noch zu nüchtern, um zu fragen. Das wird sich allerdings bestimmt bald ändern.

Mittlerweile ist der Raum überfüllt. Musik dröhnt, rote und blaue Lichter flackern, es herrscht dichter Nebel, so viel wird geraucht. Ich kenne noch immer niemanden.

Jemand zupft mich am Arm. Es ist die Viennale-Mitarbeiterin, die die Jurysitzung geleitet hat. (Eigentlich hat sie mitgeschrieben und Mineralwasser aufgemacht.) Ich freue mich, endlich Unterhaltung.

«Möchtest du etwas trinken?«frage ich.

«Gern.«

«Warte mal… wir haben hier kein leeres Glas. Möchtest du aus meinem hier…?«

«Äh, lieber nicht. Hihi.«

Während ich mich frage, wie ich eigentlich aussehe, erzählt sie mir schreiend, sie sei es gewesen, die mich in die Jury berufen hat. Ich verschlucke mich beinahe.

«Ich dachte, das war der Herr Viennale-Direktor«, sage ich möglichst gleichgültig.

«Der hat mir gesagt, ich soll mir fünf Personen meiner Wahl suchen. Am nächsten Tag habe ich im Radio ein Interview mit dir gehört. So bin ich auf dich gestoßen.«

Einer ihrer Bekannten stellt sich zu uns, ungewaschenes Haar, Dreitagebart, Künstlerbrille wie der andere Kerl rechts von mir, und als er mir vorgestellt wird, spricht er Dialekt wie die Kuh im Stall. Die Viennale-Mitarbeiterin sieht» zufällig «einen Bekannten am anderen Ende des Saals und geht ab. Ihr unsauberer Freund verbleibt mir.

SMS von Danieclass="underline" Sehe Tony Blairs Rede vor dem Unterhaus. Wunderbar.

Neben mir geht unablässig die Tür auf. Mitunter werden die Ankömmlinge gleich von einem Kamerateam des ORF empfangen. Als eine Weile kein Prominenter erscheint, stürzt ein flotter junger Redakteur zu uns und bittet Stefan Weber um ein Interview. Der nickt. Sein Künstlerfreund zieht sich zurück. Ich bleibe stehen. Scheinwerfer gehen an. Gleichgültig trinke ich meinen Wein, während Weber ein paar Worte zum Fest sagt.

In meiner Jackentasche brummt es. Der Tonassistent, der mit den Kopfhörern an den Ohren, wirft mir einen bösen Blick zu und tippt dem Interviewer auf die Schulter. Der bittet Weber, den letzten Satz zu wiederholen. Schuldbewußt ziehe ich mein Mobiltelefon heraus.

Blair ist grandios.

Die Tür geht auf, Frau N. schreitet in den Saal. Kurz wird sie vom Kamerateam aufgehalten. Sie strahlt. Nach links und rechts winkend, bahnt sie sich einen Weg. Sie geht so langsam, daß hinter ihr Stau entsteht. Kurz darauf erscheint ein Mann, der seine Begleiter um einen Kopf überragt: der Stadtrat.

Jetzt bin ich soweit. Ich ignoriere die unausgesetzten Bemühungen des Kerls links, mit mir ins Gespräch zu kommen, und frage den Freund des still vor sich hin starrenden Stefan Weber, wie er heißt. Konradin heißt er.

Mir fällt ein, daß ich Weber vor einem halben Jahr bei der Premiere des Kameramörder gesehen habe, als Thomas Maurer die dramatisierte Fassung meines Romans im Rabenhoftheater spielte. Vermutlich war dieser Konradin dabei. Ich frage ihn, was er von Beruf ist, vielleicht komme ich der Sache so näher.

«Lehrer.«

In diesem Moment wird das Buffet für eröffnet erklärt. Weber und Freundin sind wie der Blitz verschwunden. Konradin ruft ihnen nach, sie sollen ihm etwas mitbringen.

«Vom Hendl! Und Erdäpfelsalat!«brüllt er.

Der Mensch links will mir wieder etwas sagen. Ich schaue stur geradeaus. Irgendwie kreuzt mein Blick den des Stadtrats. Der Kasuar ruft mir grinsend zu:»Sie trifft man aber auch überall!«

Hinter ihm nehme ich das strahlende Gesicht von Frau N. wahr, es blitzt auf wie eine Erscheinung in einem Spukfilm, in dem man nicht weiß, ob das jetzt wirklich da war oder nicht. Zur Sicherheit halte ich den Kopf gesenkt.

Ich möchte Tony Blair sein.

Weber und die Freundin kehren mit drei großen Tellern zurück, auf denen Berge von Eßbarem gestapelt sind. Ich komme wieder mit Konradin ins Gespräch. Etwas in mir schreit mir unablässig zu: Das hast du nicht nötig, unterhalte dich nicht mit dem eitlen Wicht, laß es. Im nächsten Moment höre ich mich sagen:

«Kennen wir uns aus dem Rabenhoftheater?«

Konradin, Hühnerkeule in der Hand:»Da war ich«— schmatz, schmatz —»neulich bei einem«— schmatz —»Theaterstück. War ein tolles Stück!«

Meine Lippen formen Worte, zugleich glaube ich zu träumen, ich kann nicht fassen, daß ich sie tatsächlich ausspreche:

«DAS. WAR. VON. MIR.«

«Hmpft!«ruft er mit vollem Mund, und seine Augen weiten sich. Er schluckt hinunter.»Wie es geheißen hat, weiß ich nicht mehr.«

Er weiß nicht, wie das Theaterstück hieß, das er sich angesehen hat?

«Es war ein Stück…«— schmatz —»mit vielen Personen«— schmatz —»hat mir sehr gut gefallen.«— Schmatz —»Von dir war das?«

«Das war dann doch nicht von mir«, sage ich und denke traurig an Thomas Maurer, wie er allein auf der Bühne steht und den Text deklamiert.

«Wie heißt dein Stück?«

«Der Kameramörder

Konradin beugt sich zu Weber, der seinerseits gerade mit einer Hühnerkeule beschäftigt ist.

«Kennst du das Schmatztheaterstück Kameramörderschmatz?«

«Kameramö…? Nie gehört!«Er beißt in sein Huhn, ich höre die Knochen krachen.

Weit und breit gibt es keinen Taxistand, doch ich habe Glück. Gerade hat eines neue Gäste gebracht. Ich steige ein. Eine Fahrerin, ich schätze sie auf Mitte Fünfzig. Sie freut sich über die Kundschaft für den weiten Weg zurück. Mit ihrer Stimme scheint es etwas auf sich zu haben, sie spricht langsam und klagend.

Auf der langen Geraden durch den Prater, in der keine Autos parken und auf der es keinen Gegenverkehr gibt, wundere ich mich. Hier sind 50 erlaubt, ein normaler Mensch fährt mindestens 60, wir aber zwischen 30 und 40. Ich sage nichts, vielleicht muß der Motor erst warm werden, oder was auch immer, es wird seinen Grund haben.

Wir fahren minutenlang über eine leere Straße. Wir kommen an eine Kreuzung, biegen nach links ab. Auch diese Straße ist lang, ist breit, und niemand kommt uns entgegen. Wir fahren 35. Und brauchen lange, um dieses Tempo zu erreichen, denn meine Fahrerin schaltet mit so ungeschickten Handgriffen, als sei sie Fahrschülerin.

Er zeigt es allen! Die haben keine Chance gegen ihn!

Ich knüpfe mit der Frau eine Unterhaltung an. Sie hat eine weinerliche Stimme und scheint vom Land zu kommen. Ich hoffe, sie durch die Ablenkung zu schnellerem Fahren zu verleiten, doch das Gegenteil ereignet sich. Ab und zu werden wir von wütend hupenden Autos überholt. Dann sinkt vor uns eine Bahnschranke. Wir bleiben stehen.