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«Was haben Sie für Weißwein?«frage ich freundlich.

«Hka hka, arbra hmnjumm!«

«Sehr gut, bringen Sie mir einen Weißburgunder, und bitte viel Wasser dazu.«

Mit zorniger Miene geht er ab. Drei Minuten später stellt er mir ein Glas Wein auf den Tisch. Das Wasser hat er auch nicht vergessen. Ich koste den Wein. Gut. Langsam frage ich mich, ob der Kerl nicht Theater spielt. Bringt kein vollständiges Wort heraus, aber versteht Weißburgunder.

Nach und nach kommen weitere Gäste. Ich kenne niemanden. Die Plätze rings um mich bleiben frei. Dann kommt Heidi, küßt mich auf die Backe und setzt sich neben mich. Thomas Maurer setzt sich neben sie, grüßt in die Runde und ruft mir zu, wieso ich schon wieder Krawatte trage. Ich überreiche Heidi das Geschenk, ein Sternensystem aus Edelschokolade, also eine Schokoladensonne und neun kleinere, allerdings nicht maßstabsgetreue Schokokugeln, das alles aus belgischem Erzeugnis.

Ich bitte den Kellner um ein weiteres Glas Wein, es kommt nicht.

Weitere Gäste erscheinen. Einer, der eine Flasche Champagner mitgebracht hat, fragt den Kellner, ob wir sie trinken dürfen. Es ist nicht uninteressant, diese Konversation, die mit Händen und Füßen geführt wird, zu beobachten. Der Kellner blickt wütend drein, aber jetzt hat er wenigstens einen Grund. Der Gast kommt zu Heidi, gibt ihr die Flasche und erklärt bedauernd, wir dürften den Champagner nicht trinken. Sie stellt uns vor.»Das ist Clemens Paulustor-Fellsenstein«, sagt sie zu mir.»Das ist Thomas Glavinic, du weißt schon, der den Kameramörder geschrieben hat, du hast Thomas«— sie zeigt nach rechts, wo Maurer sitzt —»auf der Bühne gesehen.«

«Aaaaaah!«sagt er und setzt sich links neben mich.

Ich winke dem Kellner. Der schöpft mit verbissenem Gesicht irgendein vorbereitetes Gericht in Teller. Wie sich herausstellt, Bohnen mit Fleisch. Es riecht nicht schlecht, aber es sieht seltsam aus. Ich koste nur, weil ich mich daran erinnere, daß mir Maurer bei Heidis letzter Party vorgeworfen hat, ich sei» erlebnisunwillig«, als ich nicht mit seinem neuerworbenen superscharfen chinesischen Küchenmesser eine Tomate schneiden wollte.

Die Autorität Maurers schafft dann doch ein paar Flaschen Wein auf den Tisch. Ich bediene mich. Ab und zu wechsle ich ein paar Sätze mit Clemens neben mir, der etwa in meinem Alter ist, meistens rede ich mit Heidi über ihre Probleme mit der Zahl 35. Als sie von anderen Gästen in Anspruch genommen wird, erzählt mir Maurer, er wolle in der Nähe von Wien einen halben Hektar Weinberg pachten, um eigenen Wein zu keltern. Das gefällt mir, und ich bitte ihn, mich bei der einen oder anderen Veranstaltung hinzuzuziehen. Er verspricht es, ich schenke ihm und mir nach, allmählich wird es dunkler um mich, entweder hat jemand das Licht gedämpft, oder es ist der Schnaps vom Nachmittag plus der Wein jetzt.

Ich fühle mich wohl. Seit ein paar Stunden weiß ich, daß Die Arbeit der Nacht im Hanser Verlag erscheinen wird. Erstklassiges Haus. Aber damit hat die Warterei noch kein Ende, nun muß ich warten, was sich tut. Wer wird mich anrufen? Mein Lektor? Der Verleger?

Ich trinke weiter. Die Strukturen am Tisch lösen sich nach und nach auf. Heidi sitzt auf der anderen Seite, Thomas Maurer steht mit dem Regisseur Schalko in einer Ecke, neben mir knutschen zwei junge Lesben, und zwar so, daß jeder sehen soll, daß sich hier zwei Frauen sehr, sehr lieb haben. Bei ihnen stehen zwei weitere Frauen mit Kurz haarschnitt, und jedesmal, wenn ich mich an ihnen vorbeizwänge, gibt es fast Kommentare über mich. Ich weiß nicht, ob ich dieses fast erklären kann: Diese Frauen sind offensiv, sie sind schon sehr guter Laune, sie schauen mir frech ins Gesicht, und wenn ich mich vorbeigedrückt habe und umdrehe, starren sie mich an und lächeln. All dem hängt eine leicht aggressive, aber nicht unfreundliche Note an. Ich überlege, ob ich beim nächsten Mal vielleicht auf der anderen Seite… aber das wäre Feigheit. Und irgendwie sind sie ja sympathisch.

Ich stelle fest, daß ich betrunken bin und mir sterbenslangweilig ist. Ich tue, was ich in dieser Situation immer tue, ich ziehe mein Handy heraus. Trotz der erfreulichen Entwicklung dieses Tages sinkt meine Stimmung mehr und mehr, ich frage mich, wieso ich überhaupt immer solche Probleme mit Verlagen habe. Das übliche Zwei-Flaschen-Selbstmitleid stellt sich ein, ich scrolle mich durch den Nummernspeicher, mich packt Wut auf den Literaturbetrieb. Ohne viel Nachdenken beginne ich Nummer um Nummer zu löschen, die ich in diesem Moment als Betriebsnummern ansehe.

Heidi setzt sich wieder neben mich. Irgendwie bringt sie das Gespräch auf Bücher, sie nennt Titel, die sie gerade liest oder gelesen hat. Clemens neben mir, der etwas aufgeschnappt hat, mischt sich ein.

«Was?«schreit er.»Die Vermessung der Welt ist von dir?«

«Nein, leider nicht.«

«Ich habe es nicht gelesen, nur Auszüge davon, in einer Zeitschrift, wie heißt sie nur…«

«Volltext«, helfe ich ihm.

«Volltext, genau, ich habe sie abonniert, und da habe ich das gelesen, diese Doppelbiographie, Gauß und Humboldt, sehr interessant.«

In diesem Moment verläßt mich Heidi wieder, ich bleibe allein mit Clemens zurück. Nun beginnt sie, sie, die auf keiner Party fehlt, die Literaturdebatte. Ich rudere mit den Armen, um vom Srilankesen mehr Wein zu bekommen, aber der denkt nicht einmal daran, mich zu bedienen. Am Ende des Tisches entdecke ich eine halbvolle Flasche, die ich zuvor übersehen habe. Ich bitte Clemens, sie mir zu holen, dann darf er mich gern fragen, was er wissen will. Er tut mir den Gefallen, ich trinke einen großen Schluck. Er beginnt Fragen zu stellen, auf eine höfliche, naiv zwanglose Art. Nach einer Weile finde ich ihn durchaus sympathisch, nur das Thema — ich bzw. meine Literatur — geht mir schrecklich auf die Nerven. Ich muß die Titel all meiner Romane aufzählen, besonders interessiert er sich für Wie man leben soll.

Eine halbe Stunde später, nachdem ich mit dem Kellner zweimal wenigstens je eine Minute lang Bockschauen gespielt habe, ohne daß etwas passiert ist, unterbricht Clemens unser Gespräch und zückt sein Diktaphon. Er drückt auf Record und brüllt, den Lärm im Raum übertönend, ins Mikro:

«WIE MAN LEBEN SOLL von… GLA-WE-NITSCH… ÄH… WIE HEISST DU MIT VORNAMEN?«

«Thomas«, flüstere ich.

«THOMAS!«brüllt er.

Um mich ist es sehr dunkel. Dennoch bemerke ich, daß alle, alle im Raum uns ansehen. Mich ansehen. Sogar der Kellner. Ich zeige auf mein leeres Glas. Er sieht weg.

Zehn

«Wunderbare Aussicht, ja ne.«

«Mhm.«

«Von hier sieht man ganz hervorragend den Arzberg, ja, da drüben der mit dem Vorspitz. Erstbestiegen, das wird dich interessieren, ja ne, erstbestiegen von einem Salzburger, dem Leo Anderl, ja, Anderl hat er geheißen, ja, Leo. Der daneben ist der Rescher, der kleinere daneben der Resch, also Zwillingsberge, ja ne, Zwillingsberge sozusagen. Dort oben gibt es die höchstgelegene mit Strom versorgte Almhütte des Tennengaus, ein kleiner Weg führt hinauf, das könnte dich auch als Schriftsteller interessieren, ja, wenn wir einmal hinaufgehen, du solltest mitkommen, ja ne.«

«Meine Füße sind kalt. Die Schuhe sperren mir das Blut ab.«

«Kalt ist dir?«

«Die Füße.«

«Und das da drüben, das ist der Amramer Gletscher. Das Eis dieses Gletschers könnte ganz Salzburg ein Jahr versorgen, als Wasser natürlich, Trinkwasser selbstverständlich, ja. Was sage ich, ein Jahr, ein Jahrzehnt, ja ne.«

«Bauern waschen sich ohnedies nicht.«

«Bauern waschen sich nicht, so? Ha. Das da drüben, die Hütte, ja, da waren wir zum fünfundvierzigsten Maturajubiläum, der Professor Schwarzenbeck aus Krems war dabei, ja, der…«

«Gunther, ich habe dir schon so oft gesagt, wenn ich etwas wissen will, frage ich.«