«Fragen hättest du trotzdem können.«
«Weil es mir gerade einfällt, der Berg dort drüben, das ist die Zirbelringspitze, und dort ist uns einmal ein Hund entgegengelaufen, ja, ein Hund, beim Wandern, ja ne. Das war ein lieber Hund. So ein Grauer, Graubrauner, die Rasse habe ich mir nicht gemerkt. Der Berg dort. Siehst du ihn? Es ist der, der aussieht wie ein X.«
«Einen Berg, der aussieht wie ein X, gibt es auf der ganzen Welt nicht.«
«Da, schau rüber! Dort drüben!«
«Ich schaue nicht rüber! Mir ist schlecht, und von deinem Gewackel wird mir immer mehr schlecht! Und mir ist schwindlig! Und meine Füße sind eiskalt!«
«Öffne die Schnallen der Schuhe, ja, die oberen wenigstens!«
«HALLO! SIE DA UNTEN! ENTSCHULDIGEN SIE, WISSEN SIE, WARUM ES NICHT WEITERGEHT? AHA! DANKE TROTZDEM!«
«Der mit dem Bart hat mich an meinen Professor an der Universität erinnert. Schenk hat er geheißen, ja ne, der hat immer gelbe Hemden getragen, und so karierte Sakkos, wir haben uns immer lustig über ihn gemacht, aber fachlich war nichts auszusetzen an ihm, ja ne, fachlich hat er die meisten Kollegen in die Tasche gesteckt, und uns natürlich sowieso, ja ne, dem hat man nichts vormachen können. Und jetzt bin ich selbst schon so lange Professor, ja ne. Ich muß oft an ihn denken.«
«Na bravo. Die Schnallen sind offen, dafür ist ein Handschuh weg.«
«Ein Handschuh ist weg? Wieso das, ja?«
«WEIL ER MIR RUNTERGEFALLEN IST.«
«Wie ist denn das passiert?«
«Ach Himmel… aus der Hand gerutscht… ich weiß nicht… ist doch egal.«
«Ich sehe ihn! Da unten liegt er! Siehst du ihn?«
«Ich will da nicht runterschauen.«
«HALLO! SIE DA UNTEN! BITTE, MEIN SCHWIEGERSOHN HAT SEINEN HANDSCHUH VERLOREN, JA! KÖNNTEN SIE IHN MIT HINUNTERNEHMEN ZUR STATION, JA? MEINEM SCHWIEGERSOHN GEHÖRT ER, JA. IST IHM RUNTERGEFALLEN, JA!«
«Danke, das hätte ich schon selbst geregelt!«
«SEHR FREUNDLICH, DANKE, JA! MEINE FRAU IST AUCH DA UNTEN, JA, MIT MEINEM ENKELSOHN, JA. VIELLEICHT KÖNNTEN SIE IHN IHR GEBEN!«
«Bitte hör auf, er soll ihn einfach…«HALLO! DANKE! BITTE GEBEN SIE IHN BEIM LIFTWART AB! DANKE!«
«WIR SIND NÄMLICH — WIR SIND NÄMLICH AUF TAGESAUSFLUG HIER, JA. ABER VIELLEICHT KÖNNTEN SIE MEINE FRAU ANRUFEN UND IHR DEN HANDSCHUH GEBEN, JA NE, IM GASTHAUS, JA, HABEN SIE EIN HANDY?«
«DANKE, IST WIRKLICH NICHT NÖTIG, DANKESCHÖN!«
«KÖNNTEN SIE UNS VIELLEICHT IHRE HANDYNUMMER SAGEN? FALLS ETWAS BEI DER ÜBERGABE SCHIEFGEHT! DAMIT WIR DEN HANDSCHUH SICHER ZURÜCKBEKOMMEN! JA NE! WIR HABEN ABER NICHTS ZU SCHREIBEN! HOLLA, WOHIN? AUF WIEDERSEHEN! Jetzt wirft er den Handschuh weg! Hast du das gesehen? Jetzt wirft der den…«
«Das ist doch nicht möglich! Die müssen uns doch hier rausholen! Mir ist eiskalt, am ganzen Körper! Der Wind, der bringt mich um! Die spinnen doch!«
«Dir ist kalt, ja?«
«Was ist das? Es geht weiter, hurra! Es geht weiter! Juchu!«
«Was ist denn jetzt das, ja? Jetzt bleibt der wieder stehen, ja ne!«
«O NEIN!«
«Na, also, ha, ja ne!«
«Lieber Schwiegersohn, es ist zwar nicht die angenehmste Situation, und Umgebung, ja ne, aber irgendwie müssen wir ja die Zeit verbringen, ja ne. Ich habe nachgedacht, ja, über dich und deine Abneigung gegenüber Musik, ja ne.«
«Welche Abneigung?«
«Das behauptest du, ja, aber es stimmt nicht, ja. Zum Beispiel heute morgen, ja. Du hast verlangt, daß wir das Radio ausschalten beim Frühstück…«
«Gebeten. Darum gebeten.«
«Darum gebeten, ja, egal, ja ne. Du magst keine Musik hören. Wieso?«
«Erstens war das keine Musik. Das war irgendeine idiotische Sendung. Und zweitens will ich am Morgen einfach meine Ruhe haben, zumindest in den ersten fünfzehn Minuten beim Frühstück.«
«Also erlaube mal, das war keine idiotische Sendung, das war Österreich 1, das war der Guglhupf! Du wirst ja wohl nicht im Ernst den GU-GEL-HUPF als idiotisch bezeichnen, das ist Spitzenkabarett, ja ne, das ist der Bronner! Obwohl sie zugegebenermaßen etwas nachgelassen haben, ja, früher war es besser, sind einige weggestorben, aber trotzdem, das ist eine Spitzensendung. Und die Lore Krainer, ja…«
«Wenn ihr bei uns zu Besuch seid, schalte ich zum Frühstück auch nicht Stereolab ein.«
«Was?«
«Ich schalte keine Musik ein, die euch überfordern könnte.«
«Mich? Musik überfordern? Du bist doch der, der keine Musik mag!«
«Wenn ich mich nicht für Musik interessiere, wieso habe ich jetzt einen Discman bei mir?«
«So? Ach ja. Aber warum sehe ich dich nie damit?«
«Weil ich HÖFLICH bin! Weil ich nicht neben dir Kopfhörer aufsetze und Musik anschalte! Aus demselben Grund, aus dem ich nicht Stereolab höre, wenn ihr bei uns frühstückt!«
«Ist da das drinnen, ja ne, das mit dem Flattern?«
«Was?«
«Was du gesagt hast.«
«Was habe ich gesagt?«
«Dein Lieblingslied, ja.«
«Ach — ach so. Mein Gott. Nein. Das ist da nicht drauf. Das ist Foyer des Arts.«
«Foyer de Sade?«
«Hör einfach mal rein.«
«Also, ich weiß nicht recht.«
«Sieh mal, da bringen sie jemanden mit dem Ackja weg.«
«Wenn wir an einem Tisch wären, ja ne, würde ich sagen, die Suppe ist dünn, ja. Diese Musik. Was soll denn das?«
«Was gefällt dir daran nicht? Ist das denn nicht wunderbar?«
«Was soll daran wunderbar sein? Aus der Erde schneiden! Fallende hören die herrlichste Musik! Also ich weiß wirklich nicht.«
«Das ist Poesie, Gunther.«
«Und werfen. Ja ne. Und einer, der fällt, hört keine Musik, er sieht seinen Lebensfilm, oder? Vielleicht hört er aber auch nur das Pfeifen des Windes, ja. Ich habe mal erlebt, wie einer abgestürzt ist, ja, nicht ich habe geführt, Gott behüte, das war die Tour des Dr. Steinscherer aus Vöcklabruck, der damals bekannt war, im kleinen Kreis natürlich, ja ne, für seine Couplets, war ein guter Sänger, der eine gute Stimme gehabt hat, und dessen Tochter war mit dabei, deren Verlobter ist abgestürzt, im Wilden Kaiser war das, ich glaube 1962 oder so, ja ne.«
«Achtzehn?«
«Neunzehn! 1962!«
«Übrigens, weißt du, daß der Name Stangassinger aus dieser Gegend stammt?«
«Was?«
«Der Name Stangassinger stammt aus dieser Gegend hier, das ist eigentlich ein Berchtesgadener Name.«
«Ja und?«
«Na, es gab doch den österreichischen Olympiasieger, ja, im Slalom, Stangassinger, der Name stammt aus dieser Gegend, ja ne.«
«Na und?«
«Der Name Stangassinger, das wird dich interessieren, ist ein alter Berchtesgadener Name, ja ne, sozusagen ein Talname, der von hier vermutlich seit Jahrhunderten sich verbreitet hat, ja, aber wenn du einen Stangassinger triffst, ist es fast mit Sicherheit jemand, der hierher Verbindungen hat, ja ne, so wie der Skiläufer welche hat, haben muß, ja ne, der stammt bestimmt von hier.«
«He — es geht weiter! Es geht weiter!«
«Ja wirklich, es geht weiter. Endlich, ja ne! Es wird allmählich kühl, ja.«
Elf
Ich erwache, weil der Nachbar in der Wand bohrt, und ich habe einen Monsterkater. Ich bin allein, Else liegt nicht neben mir. Ich drehe mich auf die Seite, um zum Wecker zu schauen, bei dieser Bewegung wird mir noch mehr übel. Die Kopfschmerzen sind schlimm, aber zu ertragen. Was ich nicht ertragen kann, ist diese entsetzliche Übelkeit.
Es ist neun. Wieso bohrt dieser Mensch? Wieso macht er das nicht am Nachmittag? Ich stelle mir vor, wie ich ihm die Meinung sage, aber das hilft auch nicht, denn das Bohren hört nicht auf, und mir ist weiterhin übel. Wieso eigentlich? Was habe ich gestern wieder getrieben?
Und es ist nicht nur der jämmerliche körperliche Zustand. Ich fühle einen seelischen Alpdruck, ich habe ein schlechtes Gefühl, als laste ein moralisches Gewicht auf mir. Ich kann mir das nicht erklären, es geht über den gewöhnlichen Moralischen nach starkem Alkoholkonsum hinaus.