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«Ich habe trotzdem Angst!«

«Aber wieso denn?«

«Gut, es ist ja nicht der Blinddarm. Jetzt fürchte ich mich vor dem Blutbild!«

«Aber wieso denn?«

«Mein Gott, mit dir ist ja nicht zu reden! Bist du denn überhaupt nicht neurotisch?«

«Nicht daß ich wüßte.«

Ein arabischer Zeitungskolporteur kommt vorbei. Ich kaufe ihm ein Profil ab. Ich lese einen Artikel über Jungaristokraten, die einen Klub gegründet haben, der für die Wiedererrichtung des Adelsstandes in Österreich kämpft, oder so ähnlich. Ich kann mich nicht recht konzentrieren und lege das Heft weg.

Nach einer Stunde ist die Analyse noch nicht da. Auch nicht nach eineinviertel Stunden, auch nicht nach anderthalb Stunden. Nach zwei Stunden: Panik. Das dauert so lange, weil sie etwas gefunden haben. Aber was? Irgend etwas Gefährliches natürlich.

Ich rufe Erwin an. Die Veranstaltung ist in vollem Gang, er spricht schon etwas schleppend, im Hintergrund höre ich schrille Frauenstimmen, Männergebrüll und Gläserklirren. Ich erkläre ihm, warum ich nicht da bin, er zeigt Verständnis. Gerade will ich ihn fragen, ob er glaubt, daß ich an einer schweren Krankheit leide, da kommt die Ärztin auf mich zu, ihre Miene ist ausdruckslos. Ich verabschiede mich von Erwin. Der Kloß in meinem Hals ist so groß, daß ich schlucken muß.

Sie rollt mich zurück in das Ambulanzzimmer.

«Und?«frage ich.»Und?«

Sie setzt sich und gähnt. Sie öffnet ein Kuvert.

«Also, was haben wir denn da… hmmmm… hmhm… hmmmm… hmhm…«

«Und? Bin ich todkrank?«

«Nein, sind Sie nicht. Der Wert hier ist etwas erhöht… aber das«— sie deutet auf meinen grummelnden Bauch —»ist mit dem Darm auch normal. Diät halten, ich drucke Ihnen einen Plan aus. Und eine Woche lang Bioflorin

Mit dem Taxi fahre ich zur Nachtapotheke, dann ins Hotel zurück. Es gibt einen Computer. Ich zahle für eine Stunde im voraus. Ich rufe meine Mails ab, nichts Wichtiges. Ich gebe meinen Namen bei Google News ein, keine Meldung. Ich beginne eine Partie Spider Solitär. Es ist zwar blöd, für eine Stunde Internet zu zahlen und dann virtuelle Patiencen zu legen, aber das ist mir egal, ich spiele eine Partie, dann noch eine, dann noch eine.

Irgendwann fällt mir auf, daß ich in Gedanken mit den Jungaristokraten aus dem Artikel streite. Ich spiele die nächste Partie, ich kaufe noch eine Stunde. Nach ein paar weiteren Spielen merke ich, daß ich in einem heftigen Wortwechsel mit einem der Jungaristokraten verwickelt bin, es geht hin und her, wir argumentieren, ich kann es nicht abstellen, es hört einfach nicht auf in meinem Kopf, egal was ich versuche.

Ich habe Daniel im Fernsehen versäumt, fällt mir ein. Ich nehme das zweite Bioflorin.

Dreizehn

Ich kann mich nicht weiter der Erkenntnis verschließen, daß ich zu dem geringen Prozentsatz jener Capillotin-Anwender gehöre, die auf das Haarwuchsmittel allergisch reagieren. Meine Kopfhaut ist bis zu den Ohren rot und heiß, und es juckt fürchterlich. Es kann nur das Mittel sein. Also absetzen, ich werde versuchen, meine Glatze mit Selbstbewußtsein zu tragen.

Nachdem mein Organismus dank der Behandlung durch die namenlose Ärztin im Grazer Krankenhaus wieder störungsfrei zu arbeiten scheint, habe ich für diesen Tag zwei Termine vereinbart: beim Friseur — und beim Zahnarzt. Mit meiner Brücke ist etwas nicht in Ordnung, sonst würde die nicht einfach so in Zugtoiletten herumfliegen.

Als ich Sophie’s Salon betrete, ist Frau Sophie noch nicht da. Die weiblichen Lehrlinge begrüßen mich, Frau Sophie hat angerufen, sie kommt gleich. Ich setze mich, weise dankend den Kaffee zurück, die Kronen Zeitung nehme ich an (man muß wissen, was der Feind denkt: Sun-tzu).

Ich schaue mich um. Zwei Stühle weiter wird eine Frau von drei Mädchen gleichzeitig bearbeitet, so daß ich ihr Gesicht nicht sehe, nicht einmal im großen Wandspiegel. Außer mir ist sie die einzige Kundin. Das mag ich, ich kann überfüllte Läden nicht leiden, egal ob Friseur oder Schuhmacher oder Elektrogeschäft.

Nach einer Weile ertönt die Türglocke. Es ist jedoch nicht Sophie, sondern ihr Mann. Ich werde nicht schlau daraus, was seine Aufgabe in diesem Frisiersalon ist. Einmal hat er mir die Haare gewaschen, eine Prozedur, die ich nicht wiederholen möchte, nicht weil er es schlecht gemacht hätte, sondern weil ich fast jede Art von Berührung durch Männer unerträglich finde. Ansonsten sitzt er nur rum.

Allerdings gibt er fachliche Kommentare ab. Meinen Haarausfall möchte er mit irgendeiner Bestrahlung behandeln, ich habe nicht so genau zugehört, weil ich mein Haar nicht bestrahlen lasse. Ich weiß also nicht, was er ist, und eigentlich kümmert es mich auch nicht. Ich komme wegen Frau Sophie hierher, die die einzige Friseurin in der Gegend ist, zu der ich Vertrauen habe. Einmal war der Salon so überfüllt, daß ich zur Konkurrenz ging. Dort schnitt mir eine betrunkene, geistig unterprivilegierte Frau mit Mundgeruch die Haare. Ich lief von dort direkt zu Frau Sophie, um die Sache reparieren zu lassen, seither nehme ich die Wartezeit gern in Kauf.

Der Frisiersalon ist groß. Doch was tut Frau Sophies Mann? Er setzt sich in den Frisierstuhl neben mich.

«Und, wie geht’s?«

«Hmhm!«sage ich und lächle ihn an, wie ich es vom größten Starautor der westlichen Welt gelernt habe.

Er spricht weiter. Daß ich in die Zeitung schaue, stört ihn nicht. Er fragt nach Stanislaus. Um nicht unhöflich zu sein, erkundige ich mich nach seiner kleinen Tochter. Sie ist ein halbes Jahr jünger als Stanislaus und hält sich recht oft im Salon auf. Mir gefällt das Bild, das die drei an solchen Tagen bieten: Mama schneidet jemandem die Haare, Papa sitzt in einem Stuhl und spricht quer durch den Raum laut mal mit diesem, mal mit jenem, und die Tochter beschäftigt sich mit diversen Friseurutensilien, also Lockenwicklern und dergleichen.

«Wie machen Sie das eigentlich«, fragt er,»wer von Ihnen beiden geht arbeiten, und wer bleibt zu Hause?«

Ich wittere Gefahr. Aber lügen kann ich nicht, ich hasse es zu lügen. Also sage ich:

«Wir sind gewissermaßen beide zu Hause. DAS IST SEHR GUT FÜR DAS KIND…«, ich versuche ihn von seinem Thema abzulenken und lieber über die Vorzüge eines Haushalts mit ganztägig anwesenden Eltern zu sprechen, aber natürlich will er davon nichts wissen.

«Beide zu Hause? Wieso? Was sind Sie denn von Beruf?«

Ich frage mich, wieso er so laut spricht, man hört es nicht nur im ganzen Raum, sondern vermutlich auch noch draußen auf der Straße. Und was sage ich jetzt? Früher habe ich auf diese Frage oft» Student!«oder ähnlichen Unsinn geantwortet, aber das geht nicht mehr. Und wie gesagt, ich will nicht lügen. Egal, es wird schon nicht so schlimm werden. Frau Sophie hat mich auch einmal gefragt, ich habe geantwortet, und es ist nicht schlimm gewesen. Wenn das auch unter anderen Umständen geschah, da spitzten nicht neben mir drei Lehrmädchen und eine Kundin die Ohren. Und so flüstere ich:

«Ch bn Schrftstllr.«

«WAS, SCHRIFTSTELLER SIND SIE?«

«Mhm.«

«Sie schreiben Bücher?«

«Mhm.«

Ich kann förmlich zusehen, wie es im Hirn des Mannes zu rattern beginnt.

«Und davon können Sie leben?«schreit er.

«Hmja«, sage ich und denke an die sechs- oder siebentausend Euro, die ich der Bank schulde.

«Ist das nicht schwer?«schreit er.

Ich nicke und murmle etwas wie» sehr schwer«. Mittlerweile ist mein Kopf nahezu vollständig in der Zeitung verborgen, aber das irritiert den Mann nicht, er stellt die nächste Frage. In diesem Moment läutet die Türglocke. Frau Sophie und eine andere Dame, wohl Kundin, treten ein. Ich setze mich zurecht.