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Das geht den ganzen Tag so dahin: Robert Walser, Robert Walser, Süddeutsche Spiegel NZZ FAZ Zeit, Die Arbeit der Nacht, Deutscher Buchpreis, Longlist Shortlist, in meinem Kopf wird es nicht ruhig, dabei sollte ich Ski fahren. Wiederholt kontrolliere ich mein Mobiltelefon, aber es hat niemand angerufen. Und niemand hat ein SMS geschickt.

Abends steckt sich hinter mir an einem anderen Tisch ein Gast eine Zigarette an. Weil ich beim Essen phobisch bin, stehe ich auf, schnappe meinen Teller und setze mich an einen freien Tisch, in dessen Nähe niemand raucht. Dem Übeltäter werfe ich böse Blicke zu.

«Was ist denn mit Ihnen?«fragt Maggie.

«Raucht!«Kauend fuchtele ich mit den Händen.»Der raucht!«

«Aha«, sagt Maggie.»Ach!«

Die zweite Kellnerin kommt herbei.»Was ist denn los?«

«Der raucht!«

Die zweite Kellnerin, sie hat ein dickes Bauerngesicht und scheint langsam zu denken, steht eine Weile da, dann dreht sie sich schweigend um und bedient wieder andere Gäste. Ich esse weiter. Die Wirtin kommt.

«Warum sitzen Sie denn hier?«

«Raucher!«Ich mache eine Handbewegung zu meiner Kehle.»Hals ganz zu!«

Ich verbringe mit Else eine Stunde im Zimmer, wir sperren ab. Um neun bekomme ich Durst, und da es keine Minibar gibt, setze ich mich hinunter in die Gaststube, um ein Bier zu trinken. Der Raum ist erfüllt mit Rauch, aber weil ich schon gegessen habe, stört mich das nun weniger. Ich bestelle ein Bier. Trinke und sitze da. Ab und zu kommt jemand vom Personal vorbei. Die Blicke, die sie mir zuwerfen, drücken Mißtrauen und Furcht aus.

Das Telefon läutet. Endlich. Daniel natürlich, sonst ruft mich ja niemand an. Er hat mit dem Chef von Hoffmann und Campe über meinen Roman gesprochen. Dieser findet ihn gut und ist gleichzeitig überzeugt, Hanser und ich werden davon nicht mehr als 8000 Exemplare verkau fen.

«Das ist nur eine Meinung. Auch Günter Berg kann sich mal irren. Hat sich auch schon geirrt.«

Nett, daß er das hinzufügt, aber das hilft mir nicht viel. Jetzt bin ich traurig. Wieso eigentlich, könnte man fragen, 8000 sind ja nicht wenig, wer verkauft das schon. Na Daniel zum Beispiel, könnte ich antworten, der verkauft das. Am Tag. Aber solche Vergleiche sollte man nicht anstellen. Jedenfalls betrübt es mich, daß jemand wie Günter Berg, von dem ich viel halte, der Arbeit der Nacht nicht mehr zutraut. Robert Walser, Robert Walser.

«Wie viele sind es bei dir gerade?«

«Willst du das jetzt wirklich wissen?«

«Na klar.«

«250.000.«

«Ach komm, wieso erzählst du mir das?«

Noch ein Bier. Rund um mich spielen Männer Karten, es ist warm, ich nehme noch eines. Das Telefon läutet, der Prinz. Er hört sich nicht gut an. Er mußte Baldur weggeben, die Allergie war zu stark.

«Und wo ist er jetzt?«

«Bei seinem früheren Besitzer.«

«Geht es ihm dort gut?«

Der Prinz hustet.»Ja. Ja, es geht ihm gut dort.«

Aber dem Prinz geht es nicht gut, das ist zu hören, er schnaubt und grunzt. Er merkt wohl selbst, wie aufgelöst er klingt, deshalb sagt er:»Keine Angst, ich fange nicht an zu heulen. Geheult habe ich schon genug. «Er lacht traurig.

Das ist wirklich eine üble Nachricht. Mir fällt nichts Tröstendes ein. Während der Prinz mir Details erzählt, muß ich daran denken, wie es war, als er sich von seiner Freundin trennte. Da führten wir ein ähnliches Gespräch. Aber ich werde das Gefühl nicht los, diesmal hat er mehr geweint. Ist auch verständlich, beim einen ging es darum, daß zwei Erwachsene in Frieden eine Entscheidung trafen, beim anderen geht es um: Pech.

Mittwoch. Das Wetter ist schlecht, an Skifahren nicht zu denken. Ich lege mich noch einmal hin. Ich habe die ganze Nacht von Günter Berg geträumt. Was insofern komisch ist, als ich ihn nur einmal getroffen und mit ihm nicht mehr als drei Sätze gesprochen habe. Aber heute nacht hat er mich verfolgt. Außerdem versuchte ich ständig, ein Flugzeug nach Berlin zu erwischen, und nachdem ich es versäumt hatte, verpaßte ich auch den Zug. Sehr durchsichtig, das Ganze. Ich erzähle Else davon. Sie fragt sich laut und ungehalten, ob mir Daniel Günter Bergs Prophezeiung wirklich habe mitteilen müssen.

Donnerstag. Schlechtes Wetter. Ich spiele mit Stanislaus, dann schaue ich Eurosport. Ich esse zu Mittag, dann schaue ich Eurosport. Zu Hause würde ich nie auf die Idee kommen, mir das anzusehen, aber in Hotels sind meine Lieblingssender Eurosport und DSF. Und natürlich MTV, besonders, wenn Jackass läuft.

Nach der dritten Runde Eurogoals bekomme ich solchen Lagerkoller, daß ich mir ein Bier hole. Es hilft, und ich gehe bald noch mal. Else fragt, ob ich mitkommen will, sie geht mit Stanislaus spazieren. Ich begleite sie, aber nur bis nach unten, und hole mir noch ein Bier.

Eine Weile sitze ich im Zimmer und höre Musik. Ich fühle mich wohl, lasse die Gedanken treiben. Ich hole mir von unten ein großes Glas Schnaps. Die dumme Kellnerin schaut mich entsetzt an, ich zwinkere ihr zu, sie läuft rot an, feixend gehe ich wieder nach oben. Ich trinke Birnenbrand, höre Musik, schaue aus dem Fenster. Nach einer Weile klappe ich den Laptop auf.

Ich weiß nicht, wie ich das, was ich nun tue, beschreiben oder erklären soll. Am besten wohl auf einem Umweg. Ich will es so formulieren: Sollte mich morgen ein Auto überfahren, wird irgend jemand, Else vermutlich, bald darauf mit Überraschung auf meinem Laptop Gedichte finden, die ich von 2005 an geschrieben habe und die höchstwahrscheinlich miserabel sind, ich zeige sie niemandem, ich verstehe nichts von Gedichten und kann sie nicht beurteilen.

Zwei, drei Stunden wandere ich durchs Zimmer, trinke, stelle mich auf den Balkon, betrachte den Berg, gehe zurück zum Schreibtisch und schreibe das nächste Gedicht. Wie immer werde ich keines davon jemandem zeigen, vermutlich werde ich morgen die meisten wieder löschen. Aber jetzt fühle ich mich am einzig richtigen Ort, in diesem ruhigen Zimmer mit dem braunen Bernsteinlicht, in dieser Atmosphäre des Vorübergehenden, Vergänglichen, mit dem Schnaps und den Gedichten in meinem Kopf.

Freitag mittag, strahlend blauer Himmel. Der Schnee ist aufgegangen. Aufpassen, denke ich mir, als ich über den Hang fahre, auf dem ich am Montag gestürzt bin, jetzt aber aufpassen. Ich fahre einfach wunderbar. Diese Eleganz kann nicht nur an den Skiern liegen, das bin ich! Ich!

Ein kleiner Rechtsschwung. Der Ski bleibt im schweren Schnee stehen, ich hebe ab. Nun passiert etwas Seltsames: Ich habe Zeit, meine Lage zu analysieren, so lange dauert der Flug. Mir wird sogar bewußt, daß es beinahe dieselbe Stelle ist, an der ich schon am Montag gestürzt bin. Ich segle sieben, acht Meter durch die Luft, ich weiß, ich war gerade ziemlich schnell unterwegs, und ich weiß, es wird weh tun.

Beim Aufprall krache ich mit den Rippen heftig auf meinen Skistock, und ich spüre, wie sie eingedrückt werden. Es tut wirklich weh, und zwar so, daß ich es kaum wahrnehme, als ich mit dem Kopf aufschlage. Ich brülle ein bißchen. Als die auf den Flug folgende Rutschpartie über den Hang endet, spucke ich sofort aus. Kein Blut, das beruhigt mich, offenbar steckt mir keine Rippe in der Lunge.

Ich sitze im Schnee und ringe nach Luft. Ein Junge, zehn Meter entfernt, etwa zehn Jahre alt, der den ganzen Auftritt mit angesehen haben muß, beginnt zu weinen und fährt davon. Ein Amerikaner bleibt stehen und fragt mich, ob alles okay sei. Ich verständige mich mit ihm darauf, daß an mir keine Verletzungen zu sehen sind und ich allein bis zur nächsten Hütte komme. Else, die vorausgefahren ist, ruft an, wo ich bleibe.