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Suppe kommt. Schmeckt nicht besonders. Vor allem der Leberknödel gibt mir Rätsel auf, er ist so fest, daß ich ihm eigentlich mit Messer und Gabel zu Leibe rücken müßte. Es gelingt mir, ein Stück abzukneifen. Ich koste, er schmeckt — na ja, schon genießbar, aber… nein, ich will das nicht essen, das muß nicht sein.

Aber zurückschicken? Diese Diskussionen. Bloß stehenlassen? Auch Diskussionen, und das noch dazu mit der Kellnerin, die mich nicht versteht.

Ich schaue mich um. Außer mir sitzt nur eine Frau im Gastgarten, sie liest am Nebentisch ein Journal. Die Kellnerin ist nicht zu sehen. Ich starre hinüber, ob die Frau nicht zu mir herschaut, und lasse den Knödel von meinem Löffel zwischen meinen Beinen auf den Boden fallen. Natürlich dreht sich die Frau genau in diesem Moment zu mir. Sie sieht mich an, sieht auf den Knödel.

«Oha«, sage ich und rolle den Knödel mit dem Schuh aus dem Blickfeld der Kellnerin.

Ich lasse einige Zeit verstreichen, ehe ich mich an den zweiten Knödel wage. Ich bin der Ansicht, daß man Menschen mit einem intensiven Blick» rufen «kann, sie schauen dann leichter her, und hätte ich daran vorhin gedacht, wäre die Frau am Nebentisch wohl nicht Zeugin meiner Säuberungsaktion geworden. Deshalb starre ich nun vor mich hin, als ich den zweiten Knödel auf den Löffel lade, und verfolge nur aus den Augenwinkeln die Vorgänge am Nebentisch. Unter mir macht es zum zweiten Mal» Patsch!«.

Während ich auch diesen Knödel mit den Schuhen zur Seite rolle, drehe ich den Kopf. Die Frau wirft mir fassungslose Blicke zu. Ich trinke die Suppe aus. Die Kellnerin kommt und fragt, ob alles gut war.»Ja«, sage ich,»danke.«

Das Schnitzel schmeckt auch nicht besser. Ich habe keine Lust, es auf demselben Weg zu entsorgen wie den Suppeninhalt, nicht nur wegen der Frau, sondern weil ich fürchte, hungrige Hunde anzulocken. Als die Kellnerin vorbeigeht, tue ich so, als führte ich gerade ein wichtiges Telefonat, ich stoße Rufe des Erstaunens aus. Mit hektischen Bewegungen winke ich der Kellnerin. Ich deute auf mein Handgelenk, ich habe einen Termin vergessen, leider kann ich nun das wunderbare Schnitzel nicht aufessen. Ich lege einen Zwanzig-Euro-Schein auf den Tisch —»Rest für Sie!«— und renne davon.

Dem Bierbetreuer im Zug kaufe ich eine asiatische Suppe, einen Pennesalat, eine Flasche Cola, zwei Schnäpse und drei Dosen Bier ab. Er zuckt bei der Bestellung mit keiner Wimper und bekommt ein anständiges Trinkgeld. Um nicht für völlig verrückt gehalten zu werden, erkläre ich ihm, ich mag zu kaltes Bier nicht, aber ich merke, es ist ihm egal.

Ich esse, dann trinke ich den Schnaps und das Cola, dann mache ich das erste Bier auf. Kurz vor Wiener Neustadt beginne ich wieder in Train Dreams zu lesen. Vielleicht liegt es am Alkohol, aber das ist unwichtig, jedenfalls bin ich glücklich, dieses Buch gekauft zu haben und jetzt lesen zu können. Dieses Gefühl ist etwas Konstantes und Kostbares in meinem Leben, ich kenne es, seit ich sieben Jahre alt war und unter dem Weihnachtsbaum mit Huckleberry Finn anfing. Ich sitze im Zug, lese in Train Dreams und fühle mich geborgen, ich habe mehr als ein Buch, mehr als einen Gegenstand gekauft, ich habe mir Gedanken gekauft, die Chance, mehr zu werden.

Als ich in Graz ankomme, habe ich das Buch ausgelesen. Ein unfaßbares Meisterwerk. Ich fühle mich emporgehoben, und trotz vier Dosen Bier bin ich nicht betrunken. Etwas melancholisch vielleicht, weil ich mich frage, ob ich je imstande sein werde, etwas auch nur annähernd so Gutes zu schreiben.

Ich bringe meine Tasche ins Hotel am Bahnhof. Mir gefällt die Idee, die Lektüre mit einem Whisky aus der Zimmerbar zu feiern. Ich schraube das Fläschchen auf, will ansetzen — und habe im letzten Moment das Gefühl, etwas stimmt nicht. Ich schnuppere. Kann nicht glauben, was ich da rieche. Ich halte die Flasche gegen das Licht. Kein Zweifel, jemand hat den Whisky durch Urin ersetzt. Deshalb hat der Sicherheitsverschluß vorhin nicht geknackt.

Ich liefere dem Mann an der Rezeption einen Auftritt. Er entschuldigt sich, aber so wie er mich ansieht, habe ich den Eindruck, er verdächtigt mich, auf diese geschmacklose Art zu einem kostenlosen Whisky kommen zu wollen. Ich schreie auf ihn ein, ich will wissen, wer vor mir in diesem Zimmer war, wie der Gast heißt, aber er beruft sich auf Datenschutz. Immerhin verspricht er mir, alle anderen Flaschen in der Minibar auszutauschen.

Im Maykäfer, meinem Stammlokal in dieser Stadt, trinke ich Schnaps. Eigentlich hatte ich Hunger gehabt.

Mit Heinz, dem Wirt, der aussieht wie ein schmächtiger Ernest Hemingway, rede ich über Erwins Ausstellung. Ich beschließe, erst später hinzugehen, weil Heinz neue Kellnerinnen hat, und wie seit fünfzehn Jahren sind sie jung und hübsch.

Ein Bier, ein Schnaps. Ein Bier, ein Schnaps. Ich denke an Else und Stanislaus und werde ein wenig rührselig. Ich schreibe ein SMS:

Hey, Schneegranate, alles okay? Bussi.

Im Moment des Absendens bin ich unkonzentriert, was dazu führt, daß ich die Nachricht nicht an Else sende, sondern an Daniel, der in meinem Handy der erste im Alphabet ist. Den Rest meines Biers trinke ich in Unruhe, ich trete von einem Fuß auf den anderen und frage mich, was er jetzt wieder von mir denkt.

Kurz darauf kommt eine SMS, nicht von Daniel, ich kenne die Nummer nicht.

Das mag ja sein, daß man von vielen Schriftstellern nichts lernen kann. Aber tu doch nicht so, als wärst du der 23jährige Stürmerstar von Galatasaray. Außerdem sollte man darauf achten, auf Autorenfotos nicht zu gut auszusehen, die Groupies sind sonst enttäuscht.

Ein Verrückter. Tage zuvor habe ich einen kleinen Artikel veröffentlicht, in dem es um literarische Vorbilder ging. Das hier ist eine Reaktion darauf, doch von wem? Und wieso Groupies und gut aussehen, ich sehe fürchterlich aus auf dem Foto, was soll das Ganze?

Ich denke nach. Das Wort Galatasaray macht mir schließlich klar, was ich da bekommen habe: eine subtil ausländerfeindliche Nachricht. Glavinic! Ob das türkisch oder jugoslawisch ist, kümmert einen Nazi nicht.

Aber woher bekommt irgendein Nazi meine Nummer?

Ich bin bedrückt. Ich mag es nicht, verfolgt zu werden. Ich könnte ja die Nummer zurückrufen, aber ich will mich solchen Leuten nicht stellen, ich finde sie so widerlich. Eine Weile trinke ich, erst gegen neun fühle ich mich in der Verfassung, um es mit Erwins Verrückten aufzunehmen. Ich zahle und spaziere zum Café Känguruh.

Die Schlagermusik ist laut, der Raum raucherfüllt. Auf Barhockern sitzen ältliche Damen vor halbleeren Bierflaschen, in einer Ecke stehen ein paar Kerle mit Pferdeschwanz und Cowboystiefeln, in der anderen einige Frauen, die sich gegenseitig schminken und dabei torkeln. Der Lärm wird ab und zu von schaurigen spitzen Schreien übertönt, die eine Frau auszustoßen scheint.

Ich sage Erwin hallo, bestelle ein Bier und sehe mir die Bilder an.

Erwin Michenthalers Bilder zu beschreiben fällt mir schwer, ich schreibe ja schon über Literatur nicht gut, wie erst über Malerei. Ich will es so ausdrücken: Seine Bilder sind ausdrucksvoll, klar und kräftig. Er ist ein echter Maler, versteckt sich nicht hinter Abstraktionen. Selten malt er Bilder, mit denen ich weniger anfangen kann, blasse, tastende Werke, und ich weiß nie, ob das so gehört, oder ob er mit Zweifel gemalt hat. Ich habe ein paar zu Hause hängen, aber ich fürchte, in diesem Leben und in dieser Welt werden sie nicht mehr viel an Geldwert gewinnen. Was meines Erachtens nicht so sehr an Erwin liegt.

«Kannst du ein Karl-May-Quiz machen?«flüstert er mir zu.

«Jetzt?«

«Ja.«

«Okay, sorg dafür, daß jeder Papier und etwas zu schreiben hat.«

Ich nehme mir einige Minuten Zeit, um mir zehn Fragen auszudenken. Ab und zu kommt einer von Erwins seltsamen Freunden zu mir, die mich für einen berühmten Schriftsteller halten. Der schöne Oskar, auch ein Maler, der so gern ein Star wäre, um mit anderen Prominenten Champagner zu trinken, hält sich besonders ran. Er hat mich schon auf seiner Homepage verewigt, weil ich mal seine Galerie besucht habe, als Erwin dort zusammen mit ihm ausstellte.