«Der Hed geht nt!«klagt sie.
Es ist nicht ihr erster Besuch bei uns, und noch nie hat sie es morgens auf Anhieb geschafft, den Herd in Gang zu setzen. Dabei ist es ein gewöhnlicher Herd, nur muß man die Platten per Tastendruck anstellen. Ich tue dies nun, ich zeige ihr, wie sie den Herd an- und ausschaltet, dann fülle ich Wasser in die Babyflasche und gehe zurück ins Bett. Stanislaus liegt auf meiner Seite, ich muß ihn vorsichtig zur Mitte schieben. Er röchelt wie ein Schloßgeist. Else auf der anderen Seite macht ein Auge auf. Wir sehen uns an und grinsen. Wir betrachten unseren Sohn, der zwischen uns liegt.
Schlafen kann ich nicht mehr. Um zehn stehe ich auf. Else sitzt in der Küche, sie hat dieses ironische Rate-mal-was-war-Lächeln aufgesetzt. Meine Mutter steht auf dem Balkon und raucht.
«Was war?«frage ich.
«Dr Wafferkocher war kputt!«mümmelt Else.
Ich dusche, beim Abtrocknen sehe ich aus Versehen kurz meine Hoden, und ich bilde mir ein, eine Schwellung wahrzunehmen.
Es nieselt. Angeblich war schönes Wetter angekündigt, zumindest verrät mir das ungefragt eine keifende Nachbarin. Ich weiß nie, wie das Wetter werden soll, es ist mir ein Rätsel, wieso man sich um Wettervorhersagen kümmert, es sei denn, man ist Bergsteiger.
Als ich vor dem Café IO auf die glatten Steinfliesen trete, mit denen der Boden vor dem Eingang ausgelegt ist, rutsche ich aus und donnere gegen die Tür. Durch die Glastür sehe ich, wie drinnen im Lokal die Leute die Köpfe recken.
Ich rappele mich auf. Ich habe mir nichts getan, nur die Hände haben etwas abgekriegt. Die Kellnerin kommt heraus.
«Du hast dich jetzt aber nicht wieder verletzt, oder?«
Vor kurzem hat sie mir beim Niesen zugesehen, Niesen ist mit verletzten Rippen schmerzhaft, ich wurde laut, so kamen wir ins Gespräch. Allerdings waren wir per Sie, der Schock über den Anblick eines gegen ihre Tür segelnden Kerls hat sie offenbar unwillkürlich zum Du wechseln lassen. Innerhalb einer Sekunde taxiere ich sie. Es geht automatisch, ich kann nichts dagegen tun.
Während ich zum Händewaschen nach hinten gehe, vorbei an den anderen Gästen, deren Mund seltsam starr bleibt, deren Augen jedoch fröhlich leuchten, wird mir eine interessante Tatsache bewußt: Ich habe mehr Sex mit Kellnerinnen gehabt als mit Angehörigen jeder anderen Berufsgruppe.
Ich wasche mir die Hände, sehr gründlich, weil ich Angst vor Tetanus habe, obwohl ich gegen Tetanus geimpft bin, aber vielleicht hat das Serum ja nicht gewirkt. Als ich zurück in den Gastraum trete, verstummen Gäste an verschiedenen Tischen und sehen in alle mögliche Richtungen, nur nicht zu mir. Ich bestelle Croissant und Kaffee und schlage die Zeitung auf.
Gegen elf hört es auf zu regnen, um halb zwölf strahlt die Sonne, und es ist so warm, daß ich mich nach draußen in den Gastgarten setze. Der Fotograf Korn ruft an, er muß mich für die Wiener Village Voice knipsen. Er schlägt den Naschmarkt als Treffpunkt vor, und, jawohl, er ist es, der zum Inder will. Wir verabreden uns für eins.
Ich trinke einen Grappa. Weil er schmeckt, noch einen, diesmal einen großen. Ich gehe nach Hause und ziehe mir passende Kleidung für Fotoaufnahmen an. Noch ehe Mutter, Frau und Kind über mich herfallen können, bin ich wieder weg. Sie wollen nach Schönbrunn in den Tierpark fahren. Nein, ich kann leider nicht mitkommen.
Die Sonne scheint, es ist warm, die mögliche Hodenschwellung vergessen. Naschmarkt. Normalerweise kann ich mich nicht rasch genug durch die träge an den Obst- und Gemüseständen vorbeiziehenden Menschen drängen, normalerweise nerven sie mich, und ich gestehe, ich habe ein einziges Mal jemanden, der sich allzu dumm in den Weg gestellt hat, zur Seite gestoßen. Diesmal lasse ich mir Zeit. Ich verstehe nicht, wieso ich es an anderen Tagen eilig habe. Es ist angenehm, sich von der Geschwindigkeit der Menge dahintreiben zu lassen. Guter Grappa.
Mir kommt eine pummelige Asiatin entgegen, wohl eine Koreanerin. Auf den Armen trägt sie einen kleinen Hund. Als wir auf gleicher Höhe sind, sage ich zu ihr:»Mahlzeit!«Ich lache, aber sie sieht mich nur verängstigt an und läuft weiter.
Beim Inder finde ich gleich einen freien Tisch im Freien. Ich bestelle das volle Menü — Cola, Mulligatawnysuppe, Samosa, Chicken Methi. Als das Cola gebracht wird und ich trinken will, entdecke ich eine graue Masse an meiner Hand. Sie klebt. Mein Blick fällt auf meine Hose. Auf Höhe des Knies ebenfalls graue Masse. Kein Zweifeclass="underline" Ein Vogel hat auf mich geschissen.
Unter Flüchen versuche ich mich an dem winzigen Waschbecken im ersten Stock des Pavillons notdürftig zu reinigen. Um nach Hause zu laufen und mich umzuziehen, ist es zu spät. Auf meinem Knie prangt ein großer nasser Fleck, durchzogen von schlierigen Vogelkackeresten, die nicht rauszubringen sind. Das Bein naßkalt, humple ich nach unten, ich bestelle ein Kingfisher.
Bettler kommen vorbei, ich weise sie ab. Mein schlechtes Gewissen ist nicht darunter. Es kommt der sich langsam dahinschleppende Alte, den ich neulich nach Feierabend über die Straße rennen sah, was in mir ein Gefühl sympathisierender Heiterkeit auslöste. Es kommt die verschleierte Romafrau, die jedem schroff und wortlos irgendeine Gazette unter die Nase hält. Es kommen Musikanten. Es kommt der junge Kerl im Rollstuhl, er zeigt auf sein hochgelegtes Bein und ruft:»Bitte! Operation!«Er trägt eine Jacke, auf der steht: A.S.S. Anlagen System Service. Ich frage mich, ob die das wissen.
Die Vogelgrippe fällt mir ein, ich werde nervös. Könnte das sein? Aber nein, das wäre doch zu verrückt, von einem vogelgrippekranken Vogel angekackt zu werden und daran zu sterben, nein. Keine Unruhe. Es soll sogar Glück bringen, von einem Vogel beschmutzt zu werden.
Nach einer Weile wird mir die ständige Bettelei so lästig, daß ich, als ein Tisch weiter weg vom Strom der Passanten frei wird, aufstehe und beginne, meine Sachen an den neuen Tisch zu schaffen. Als ich meine Jacke holen will, fummelt gerade irgendein Penner daran herum. Ich reiße sie ihm weg. Er greift nach meinem Besteck. Ich bin schneller.
«Verschwinde!«zische ich.
Ein Psychopath. Natürlich. Und zu wem kommt er, zu mir. Ich dränge ihn weg, laufe mit Jacke und Besteck zum neuen Tisch, laufe zurück. Der Psychopath hält gerade mein Cola in der Hand.
«He!«schreie ich.
Nun sehe ich ihn zum erstenmal an. Es ist der Fotograf Korn, der mir helfen will, meine Sachen an den anderen Tisch zu tragen. Ich entschuldige mich, er lacht, doch er lacht sowieso immer. Wir setzen uns, Herr Chandihok fragt leise, wie es ihm geht, Korn lacht, sagt» Gut!«und bestellt sich das Menü.
Der Fotograf Korn hat Leukämie. Ich weiß es von einem gemeinsamen Freund, aber Korn selbst scheut sich nicht, darüber zu sprechen. Wir reden über Flugangst. Er sagt, bis zur Diagnose (das Wort» Diagnose «hat einen grauenvollen Klang) hat er auch unter Flugangst gelitten, aber die ist ihm dann schnell vergangen. Wir reden über Hypochondrie. Er sagt, bis zur Diagnose war er auch sehr hypochondrisch. Er lacht, er lacht laut, die Leute ringsum hören uns zu, er verwendet für meinen Geschmack etwas zu oft grobe Wörter, und seine Lieblingsfloskel ist» Abteilung«:»Das ist eine andere Abteilung«, wenn er sich bei einem Thema nicht auskennt oder etwas nicht schätzt,»das ist nicht meine Abteilung«.
Ich bemühe mich, nicht zuviel von meiner Hysterie zu reden und von meinen Ängsten, an Vogelgrippe infolge einer Taubenkotattacke zu erkranken, denn das wäre gegenüber einem Leukämiepatienten nicht sehr taktvoll. Korn lacht und redet und lacht, und er tut es laut. Meine Hände, meine Arme, meine Beine zucken, ab und zu schnellt mein ganzer Körper in diese oder jene Richtung. Ich trinke noch ein paar Bier, bis ich Korn zuhören und ihn ansehen kann, ohne ständig das Gefühl zu haben, mich gleich in alle Bestandteile aufzulösen.