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Eines Morgens wurde ich gegen sieben von Klopfen an der Tür geweckt. Ich sprang auf und lief verschlafen in die Küche, um vom Fenster aus zu sehen, wer da war. Und wer war es — die Polizei. Zwei Angehörige einer Eliteeinheit. Sie trugen schwarze Uniform und seltsame Mützen, am Gürtel des einen baumelte eine eindrucksvolle Waffe.

Ich, ins Schlafzimmer stürmend: Astrid, schnell, alles Gras ins Klo, die Polizei ist da.

Astrid, schlagartig hellwach: WAS?

Ich: Schnell, schnell, wo ist die Schuhschachtel mit dem Gras? Alles runterspülen!

Astrid, im Bett stehend: Die Polizei? Wo?

Ich: An der TÜR!

(Wie zum Beweis ertönt erneutes Bollern.)

Astrid schleicht hager und nackt durch die Küche. Mit steifem Rücken späht sie aus dem Fenster. Nach ein paar Sekunden sagt sie:

Du Trottel. Das ist der SCHORNSTEINFEGER!

Ich trinke und male mir aus, was mir Astrid erzählt hätte, wenn ich ihre gesamten Grasvorräte ins Klo gekippt hätte. Weitere Episoden aus meiner Vergangenheit fallen mir ein, deren Pointen meine Paranoia zugrunde liegt, und ich beginne mich zu beschimpfen. Bis ich bemerke, daß ich von den meisten Gästen an der Theke angestarrt werde. Judith lächelt mir zu, offenbar hat sie gerade mit dem Kerl hinter den Zapfhähnen über mich und mein Herumhampeln geredet. Oder ist das jetzt wieder nur Paranoia?

Ein altes Leiden von mir, wenn ich zuviel getrunken habe, ist die plötzliche Anwandlung, überall Homosexuelle sowie Swingerclubbesucher zu sehen (der Prinz behauptet, das sei reine Projektion, ich sei eigentlich bisexuell und swingerclubaffin). Gerade habe ich damit begonnen, gerade enttarne ich einen feisten Mann an der Bar als schwul und ein überdreht wirkendes Paar in der Ecke als geile Schweinchen, da kommt endlich Else herein.

«Wie siehst du denn aus?«ruft sie.»Was hast du denn aufgeführt?«

«Sag mir bitte, hörst du das auch?«

«Was?«

«Da betet doch jemand!«

Else will mich sofort nach Hause schleppen. Ich muß ihr versprechen, nur noch Kaffee zu trinken. Ich willige ein, sie bleibt. Nach einer Weile bin ich in der Lage, einigermaßen vernünftige Gespräche zu führen.

Wir reden über meine Flugangst. Else hat ja auch Flugangst, aber sie überwindet sie, ich hingegen bin seit 1983 nicht geflogen, da war ich elf. Sie rät mir dringend, ein Seminar zu besuchen, denn sie will endlich mit mir Städtereisen unternehmen und nicht immer nur Kurzurlaub in irgendeinem Thermenhotel in der Oststeiermark machen.

«Du meinst, Fliegen ist sicher?«

Else sieht mich scharf an, es ist der Ich-sag-dir-jetzt-was-Blick:»Ein Linienmaschinenpilot, weißt du, was der für einen normalen Piloten ist? Ein Au-to-bus-fahrer!«

Mir geht es allmählich besser. Else geht es auch gut, weil sie zu Hause mit Ursel auch eine Flasche getrunken hat, und bald geht es uns beiden so gut, daß wir uns von einem Taxi zum Hotel Orient bringen lassen. Eine Stunde später fahren wir wieder nach Hause. Das heißt, Else fährt nach Hause, ich steige eine Straße vorher beim D-Zug aus.

Was steht mir bevor, wenn das Buch erscheint? Schon wieder taucht dieser Gedanke auf. Schaffe ich es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises? Unter die ersten Sechs? Da muß ich es vorher erst mal unter die ersten Zwanzig schaffen, also auf die Longlist. Wäre schön, denn ein Erfolg kann mich materiell weitgehend sorgenfrei machen, zumindest für eine Weile, ein Mißerfolg hingegen hat nicht nur auf mich, sondern auch auf Else und indirekt auf Stanislaus negative Auswirkungen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein erster Verleger, als mein erster Roman erschien, mir erklärte: Ein Buch muß krachen. Seit Wochen laufe ich im Kreis. Ich denke immer dasselbe. Zeitungsartikel, Fernsehauftritte, Lesungen, und dabei abwarten, ob es kracht. In jeder Saison lassen es nur sehr wenige Romane krachen.

Ich trinke White Russians, ab und zu lädt mich Werner auf einen B-52 ein, und ich revanchiere mich. Langsam wird es rund um mich finster. Ich gehe pinkeln, danach wasche ich mir am Gang die Hände, die Tür zur Damentoilette fliegt auf, Judith und irgendein Kerl kommen heraus. Sie kichert, als sie mich sieht. Ich bin zu betrunken, um mir darauf einen Reim zu machen, mir ist es im Grunde egal, was andere Leute tun.

An der Theke unterhalte ich mich mit Werner. Mir fällt eine Geschichte ein, die ich seit Jahren anderen Schriftstellern erzähle. Ich behaupte, Schriftsteller seien besondere Schützlinge Gottes, er schätze sie besonders, das stehe in der Bibel. Manchmal erzähle ich auch, es sei Jesus, der die Schriftsteller besonders liebe. Egal, welche Version ich erzähle, ich erlebe immer die gleiche Reaktion: Jeder Schriftsteller horcht auf, selbst der zynischste Misanthrop, jeder staunt und fragt erfreut: Ach ja? In welchem Widerspruch diese Behauptung zur christlichen Lehre steht, in der alle Menschen gleich viel wert sind, fällt keinem auf, alle, alle, alle freuen sich. Und deshalb erzähle ich sie noch immer.

Aber wieso ist mir das jetzt eingefallen?

Ich erzähle die Geschichte Werner, ich erzähle ihm auch, daß sie nicht stimmt, und frage ihn, ob er weiß, warum sie mir eingefallen ist. Er weiß es auch nicht.

Judith geht schon wieder in Begleitung aufs Klo, diesmal ist es ihr Freund.

«Was ist denn da los«, sage ich zu Werner,»ich will ja nicht Moralapostel spielen, aber zuerst der eine… dann wieder ihr Freund… also ich weiß nicht…«

Werner fährt sich mit dem Zeigefinger an den Schnurrbart und zieht die Nase auf.

«Ach sooooo«, sage ich. Ich höre wieder den Betenden. Zwei Schwule kommen herein.

Achtzehn

Als ich mittags in die Küche komme, ist meine Mutter zu Besuch. Ich winke ihr einen Gruß zu, sie winkt zurück, sie ist gerade mitten im Erzählen einer Geschichte, die sich ihrem Ton nach schon einige haben anhören müssen. Mit einer bewußten Willensanstrengung schließe ich die Ohren, ich öffne sie wieder, als Else neben mir steht und mich fragt, ob sie mir Rührei machen soll. Ich schüttle den Kopf, statt dessen wärme ich mir zwei Tütensuppen, asiatisch.

«Wißt ihr, was mir imponiert?«fragt meine Mutter ansatzlos.»Wenn jemand ›Sie…‹ sagen und dann furzen kann.«

Else und ich schauen uns an. Sie sagt übrigens nicht furzen, sie drückt es landschaftlicher aus.

«Nicht daß ich es gutheiße«, versichert meine Mutter,»ich finde es nur imponierend, wenn jemand auf Kommando furzen kann.«

Mit meinen Suppen und meinem Kaffee verziehe ich mich ins Arbeitszimmer. Ich nehme ein Aspirin. Ich setze Kopfhörer auf und höre Musik, Stereolab, mit voller Lautstärke, doch es ist nicht laut genug, um nicht in gewissen Abständen das hysterisch-wahnsinnige Gelächter meiner Mutter aus der Küche zu hören.

Posteingang: (0)

Ich durchsuche meine Taschen nach den Notizen der vergangenen Nacht. Wenn ich allein trinke, fallen mir über einen bestimmten Zeitraum allerhand geniale Dinge ein, die ich auf Gasthausrechnungszetteln notiere. Gestern war ich im , und ich glaube mich zu erinnern, daß ich mir wichtige Dinge notierte, ehe ich begonnen habe, mit den Kellnern armzudrücken (Armdrücken ist bei mir immer Indiz für das Erreichen des Stadiums totaler Gottlosigkeit und Stumpfheit). Aber wo sind die Zettel?

Das Telefon läutet, ich erkenne die Nummer sofort: der Absender des Galatasaray-SMS. Jetzt ruft er also an. Mein Herz schlägt schneller, erst will ich ihn abweisen, aber dann hebe ich doch ab, das Weglaufen und Nichtkonfrontieren muß ein Ende haben.