Wir steigen in ein im Hangar stehendes Flugzeug. Zur Ansicht, zur Vorbereitung, es ist nicht das, mit dem wir fliegen. Ein Airbus 330. Die Angst kommt wieder, aber mein Gehirn spielt allmählich nicht mehr mit. Es weigert sich, dauernd Angst zu haben, und so marschiere ich recht teilnahmslos, ja benommen durch die Maschine. Die Männer lassen sich im Cockpit die Technik erklären. Mich interessiert das kein bißchen, ich bleibe hinten in der Business-Class bei den Frauen. Eine dicke alte Spanierin hat ihr Namensschild so an ihrer Bluse befestigt, daß sein Gewicht diese hinunterzieht, ich weiß gar nicht, wo ich hinschauen soll vor lauter Dekolleté.
Ich höre mich ein wenig um. Eine Frau hat das Seminar von ihren Kindern zum Geburtstag geschenkt bekommen, eine andere will ihren Sohn, der nach London gezogen ist, regelmäßig besuchen können, eine dritte ist einfach nur neugierig. Ich rede mit diesen Menschen, mit denen mich nichts verbindet, und habe dabei ständig eine Frage im Kopf: Sind das Menschen, die bei einem Flugzeugunglück ums Leben kommen werden?
Mittags kommt ein SMS von Danieclass="underline" Hab keine Angst, es ist wie Busfahren.
Schon wieder dieser Busvergleich. Ich finde das ja nett, aber gleichzeitig weiß ich, daß Fliegen eben nicht wie Busfahren ist, denn sonst würden übergewichtige Bauernlümmel in den Cockpits sitzen. Es muß einen Grund haben, warum sie nur Helden und Genies an den Steuerknüppel lassen.
Am Nachmittag verschlechtert sich mein Zustand. Ich kann fast nicht mehr reden. Es ist der Mund, er geht nicht mehr auf. Ich bin müde.
Wir sitzen mit den Piloten und der Chefflugbegleiterin in einem Seminarraum und besprechen den bevorstehenden Flug. Die Frauen wollen von der Flugbegleiterin wissen, wie der Job ist, sie machen Ah und Oh, sind fasziniert und scheinen ihre Angst zu vergessen. Die Männer sitzen schweigend da und schauen beim Fenster raus. Oder auf ihre Schuhe. Oder haben die Augen geschlossen. Wie der Silberblickmann, in dessen Gesicht es unablässig zuckt, und um den ich mir Sorgen machen würde, wäre ich dazu noch in der Lage.
Eine Frau erzählt von einem Bekannten, der Pilot war, aber leider bereits verstorben ist. Wie sie darauf gekommen ist, habe ich versäumt, dafür höre ich deutlich, was Kapitän Wolfauer antwortet:»Piloten sterben entweder jung oder werden sehr alt.«
Ich frage mich, ob er uns damit aufmuntern will. Wenn ja, geht es daneben, denn ich finde, er sieht noch ganz jung aus und ist somit durchaus Kandidat für einen heutigen Absturz.
Mike und ich gehen als erste in die Maschine. In der Hand halte ich die Presse, die Seite mit meinem Roman vorn. Ich habe das Gefühl, jemand ist dicht hinter mir. Ich schaue nach hinten, und da ist wirklich jemand. Mike und ich reden nicht, gehen, ich habe mehr Angst als je zuvor in meinem Leben. Der Mann bleibt hinter uns, er ist unangenehm nahe, er klebt förmlich an uns. Ich drehe mich um. Er gehört nicht zu unserer Gruppe, ich habe ihn noch nie gesehen. Er hat einen irren Blick, liest laut murmelnd in der Bibel, um den Hals trägt er ein Werbeplakat für den Wachturm, die Zeitung der Zeugen Jehovas. Man braucht ihn nur anzusehen, und man erkennt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Trotz meiner Angst muß ich lachen. Weil es einfach unmöglich ist, daß dieser Kerl hinter jemand anderem herschleicht als mir. Ich muß es sein. Ich bin es immer. Das sind die Geheimnisse des Seins. Ich glaube an Netze, ich glaube an Felder, ich glaube daran, daß alles auf rätselhafte Weise miteinander verwoben ist, daß sich bestimmte Dinge, die zusammenhängen, immer wieder finden. Nur: Wieso finden mich die Gestörten und Verrückten? Ich habe nicht das Gefühl, wirklich zu ihnen zu gehören. Ich will nicht zu ihnen gehören. Ich will ans Licht, immer schon, aber es dauert ziemlich lang.
Das Heulen der Turbinen ist das furchtbarste Geräusch, das ich je gehört habe. Ich habe solche Angst, daß mir übel ist. Ich überlege auszusteigen, ich tue es nicht, weil ich weiß, wie ich mich hinterher fühlen würde.
Ein Kerl, der nicht zu uns gehört, tippt in seinem Mobiltelefon herum. Der Mann spielt mit meinem Leben. Hätte ich die Kraft dazu, ich würde hingehen und ihm irgend etwas über den Schädel ziehen. Nein, das sage ich nur so, das stelle ich mir vor. Aber trotzdem.
Auf der Startbahn, kurz vor dem Start, schaltet er es aus.
Den Start erlebe ich wie in Trance, weil sich mein Hirn mittlerweile weigert, alle Angstimpulse zu verarbeiten, und ich das Gefühl habe, neben mir zu sein. Was ich nicht weiß, was mir Else später erzählen wird, ist, daß wir in den Sekunden nach dem Start über die Badener Bahn fliegen, und in dieser Bahn sitzen Else und Stanislaus, die bei IKEA waren, und schauen hoch zu dem Flugzeug. Stanislaus sitzt auf Elses Schoß, sie zeigt zum Himmel und sagt:»Schau, vielleicht sitzt Papa in diesem Flugzeug!«Später werden wir anhand der Uhrzeit und des Aussehens des Flugzeugs feststellen, daß es meines war, daß ich wirklich in diesem gesessen habe. Und Else wird mir erzählen, daß sie sich, Stanislaus auf dem Schoß, gefragt hat, ob das jetzt ein Zeichen ist — sie mit dem Jungen allein am Boden, ich am Himmel davonfliegend, ein Zeichen dafür, daß ich nicht zurückkomme.
Zum Glück weiß ich das in diesem Moment nicht. Ich versuche mir etwas zu notieren, aber ich kann den Kugelschreiber nicht fest genug halten und bringe nicht mehr als ein unleserliches Gekrakel zustande. Wir steigen und steigen, ich schaue benommen aus dem Fenster. Was ich fühle, ist eigentlich nicht mehr Angst zu nennen, ich bin schon jenseits der Angst, die Angst ist hinter mir, ohne daß das bedeutet, daß ich angstfrei wäre.
Das Anschnallzeichen erlischt. Ich stehe auf, als allererster, und gehe herum. Ich sperre mich in der Toilette ein. Über diese winzige Zelle haben mir sogar Menschen ohne Flugangst berichtet, sie würden sie nur ungern betreten. Ich stehe da, pinkle, horche in mich hinein, finde keine Angst. Es ist seltsam.
Ich setze mich wieder. Eine wunderschöne junge Flugbegleiterin bringt mir Kopfhörer. Die Schonbezüge fallen ab, und ich versuche ungefähr zehn Minuten lang, sie wieder dranzukriegen. Schließlich gebe ich es auf, meine Feinmotorik ist nicht besser als die eines Menschen mit Gipsarm. Das ist der Moment, in dem mich die Flugbegleiterin ins Cockpit holt.
Die Piloten begrüßen mich, sie sitzen so entspannt, als wären sie irgendwo in einer Eisdiele. Kapitän Wolfauer sagt, wir hätten 100 km/h Seitenwind, was ich erstaunlich finde, denn man merkt nicht das Geringste davon.
Als wir über 8500 Meter kommen, muß ich daran denken, daß sich in dieser Höhe Menschen bewegen, daß mein Freund Gerfried Göschl, der ohne Sauerstoff auf dem Everest war, sich immer wieder in diese Höhe wagt. Der Kerl muß verrückt sein.
Ich sehe zum ersten Mal in meinem Leben die Erdkrümmung. Meine Ohren knacken, ich sage danke und mache einem der anderen Teilnehmer Platz. Es ist der Mann mit dem Silberblick. Wirkt vollkommen weggetreten. Besorgt warte ich, ob ich meine schwachen Kräfte einsetzen muß, um beim Niederringen eines Wahnsinnigen zu helfen. Als ich in den Passagierbereich zurückkehre, nehme ich die Blicke eines orientalisch aussehenden Mannes auf, der im Koran liest. Er sieht beunruhigt aus, mißtrauisch verfolgt er das Kommen und Gehen im Cockpit.