so viel angst kann man vor ärzten gar nicht haben dass man einfach nicht zu einem treffen ins cafe geht.
nun, sie werden schon ihre gründe gehabt haben. müssen es auch nicht sagen.
schönen tag noch,
ingrid thallner
Liebe Ingrid Thallner,
waren Sie etwa die Dame, die die Wirtschaftswoche gelesen, geraucht und Cola getrunken hat? Nicht nur, weil ich zumindest zwei dieser drei Handlungen als arztuntypisch qualifiziert habe, sondern weil Sie mir nie einen Blick zugeworfen haben, kam ich nicht auf den Gedanken, Sie anzusprechen. Ich saß ja als einziger Mann im Lokal und war überzeugt, Sie würden mich schon nicht übersehen.
Wirklich schade! Es tut mir sehr leid. In den nächsten Tagen habe ich viel zu tun — vielleicht ergibt sich in einer oder zwei Wochen wieder Gelegenheit für eine Zusammenkunft.
Liebe Grüße
TG
Ich spiele zwei Stunden Civilization, dann steige ich wieder ins Netz ein.
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Gier. Adrenalin. Wer? Meine Agentin? Jemand, der mich zu einer Lesung einladen will? Eine Studentin mit einer Anfrage für ihre Dissertation?
Ingrid Thallner
Re: Re: Angst?
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da hört sich doch alles auf.
da sitzt ein mann im cafe, der mich nicht beachtet, in sein buch vertieft ist, kaffee trinkt und ab und zu telefoniert.
die kerle an der theke mustern mich mit geilem grinsen — hm. der junge mit dem laptop macht auch nicht den eindruck eines journalisten, der auf jemanden wartet.
habe mehrfach nachgedacht ob einer der anwesenden der journalist sein könnte und bin nur auf sie gekommen, aber sie haben in ihrem buch gelesen, gekichert und mit dem gesicht gezuckt sodass ich sicher war, sie seien es nicht.
ausserdem habe ich nicht den nerv, alleinsitzende (alleinstehende?) männer in cafes anzustarren.
nun. es scheint, als hätten wir beide eine schüchterne ader. nein, sie als journalist wahrscheinlich nicht, ich sehr wohl. bei ihnen nennt man das sicher einfach taktvoll.
rauchen… wirtschaftswoche… cola… was davon machen ärzte denn nicht? ich glaube eher, dass sie etwas an meinem äußeren an meinem arztsein zweifeln hat lassen, nicht wahr? was war es denn? meine figur? dass ich nicht hohe schuhe trug? die wirtschaftswoche allein kann’s doch nicht gewesen sein, oder?
habe mich zu Hause geärgert, dass ich nicht bis fünf gewartet habe, denn ich weiss ja, sie haben einen sohn, und mit kindern kann es bald mal verspätung geben.
aber wir wären vermutlich bis 6 so dagesessen.
ich hätte sie nie angesprochen. dafür bin ich einfach zu feige. und ich hätte es mir nie verziehen, wenn sie es nicht gewesen wären.
der fehler war, wir hätten unsere telefonnummern austauschen sollen. Meine ist 0650/….
irgendwie ist die sache ja zum lachen. dennoch tut es mir sehr sehr leid dass es so gekommen ist.
ganz liebe grüße
ingrid thallner
Das zweite Email.
ach ja, das hatte ich vergessen: ich habe sogar eigens meinen» kurier«-regenschirm zu Hause gelassen und eine regenjacke angezogen, um sie nicht zu verunsichern! ☺
…weil Sie ja beim» Standard «arbeiten, Herr Glavinic, ergänze ich. Die weiß überhaupt nicht, daß ich Schriftsteller bin, die hält mich wirklich für einen Journalisten! Ich hole mir Kaffee. Das Telefon läutet, ich zucke zusammen. In akutem Verfolgungswahn fürchte ich, es könnte die Verrückte sein, die irgendwie meine Nummer herausbekommen hat. Es ist jedoch Karin Graf, meine Agentin. Für Die Arbeit der Nacht sieht es gut aus. Das Gespräch heitert mich auf, trotzdem muß ich ständig daran denken, was wohl in den zwei übrigen Mails steht.
…und wahrscheinlich habe ich mein bösestes gesicht gemacht (weil ja verunsichert und natürlich von minute zu minute mehr sauer), und deswegen wollten sie mich nicht ansprechen… (klingt sehr logisch, ich hätte mich ja auch nicht angesprochen!) ☺
Und das vierte:
…aber nicht, dass sie glauben ich wäre zu schüchtern ein handy zu bedienen. die nummer haben sie jetzt ja. ich hätte auch heute noch zeit, bis spät abends. wenn sie wollen, können sie auch gern zu mir kommen. fürchten brauche ich mich ja nicht, oder? ☺ ich lege mich jetzt in die wanne, nehme aber das handy mit ins bad.
seien sie herzlich gegrüßt von ihrer
ingrid thallner
Drei
Am Nachmittag gehe ich essen (indisch). Dann zu Fuß zur U1 in die Taubstummengasse, ein für meine Verhältnisse gar nicht so kurzer Spaziergang, weil ich mir einbilde, die U1 hält am Kardinal-Nagl-Platz. Es ist aber die U3. Ich muß am Stephansplatz umsteigen.
Es ist gräßlich warm, die Anzeige in der Station steht auf 22 °C. Weil ich wie üblich Angst habe zu frieren, halte ich zwei Sweatshirts in der Hand. Mir fällt auf, wie blöd das ist, und ich verstehe, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen ständiger Nahrungsaufnahme im indischen Restaurant am Naschmarkt und der Furcht, zu wenige Schichten anzuziehen. Immerhin merke ich es langsam selbst.
Am Kardinal-Nagl-Platz ausgestiegen, ein paar Schritte zum Rabenhof-Theater. Dort liest an diesem Abend der größte Starautor der westlichen Welt.
Thomas Gratzer, der Chef, und Roman Freigaßner, der Dramaturg des Hauses, begrüßen mich mit jener grölenden Herzlichkeit, die sie für den gebräuchlichen Umgang unter Künstlerkollegen halten. Roman springt um mich herum, schreit, schlägt mir gegen die Schulter, erzählt mir eine Geschichte, ich weiche zurück, er drängt mir nach, bis ich an der Wand stehe, mit seiner Selbstgedrehten durchlöchert er mir beinahe das Sakko. So geht das immer, mich beglückt diese Vorstellung nicht, aber ich mag ihn und bringe es nicht fertig, ihm zu sagen, daß ich normal reden will mit den Leuten, also auch mit ihm.
Der größte Starautor der westlichen Welt ist noch nicht da, dafür treffe ich in der Garderobe Daniel, der mit seinem Kumpel Marco gekommen ist, sowie die FAZ-Kritikerin, die die Einführung halten wird. Sie ist elegant und attraktiv und auch sehr klug. Mir gefällt ihr Gesicht. Schon wieder so eines, dem man ansieht, daß seine Besitzerin denkt. Wahrscheinlich fällt mir das deswegen auf, weil ich zuvor meines im Spiegel gesehen habe.
Mit Daniel und Marco setze ich mich ins Foyer. Der Wein an der Bar ist nicht ganz mein Fall, aber ohne Alkohol halte ich solche Veranstaltungen nicht aus, also trinke ich Gespritzten (Weißweinschorle). Marco trinkt Heineken, Daniel Apfelsaft.
Eine Frau grüßt mich freundlich. Ich grüße zurück, ohne mich zu erinnern. Nach einer Weile fällt es mir ein. Sie war auch in der Foer-Runde im Gasthaus Wild. Romans Freundin, Nora. Sie ist sauber und frisch wie ein Apfel. Mich fesseln solche Frauen, ohne daß ich mich für sie interessieren würde: Sie wirken, als würden sie täglich zweimal je zwei Stunden lang baden, natürlich in einer Wanne, in der ein ph-neutrales Zitrus-Joghurt-Gemisch schäumt. Sie treiben Sport, trinken nur Mineralwasser, putzen sich fünfmal am Tag die Zähne und haben perfekt manikürte Fingernägel. Dazwischen oder parallel dazu lernen sie Spanisch oder lesen medizinische Fachbücher. Noch dazu sind sie wirklich nett. Jedenfalls haben sie Mütter, die auf sie stolz sein können. Solche Frauen faszinieren mich auf eine unkörperliche Art. Das klingt ironisch, ist aber nicht so gemeint.