Glavinic: (Denunziantenschlampe.) Ja, als mir das Buch eingefallen ist, nannten mir Freunde als Vorläufer vor allem Rosendorfer, Großes Solo für Anton. Kannte ich auch nicht. Dann bekam ich einen Brief von Herbert Rosendorfer. (Ich kriege Briefe von Rosendorfer und du vom Versandhaus.) Darin stand, daß er meinen» Kameramörder «mochte (oja!) und gern von mir einen Beitrag für eine Literaturseite hätte, die er in einer Südtiroler Tageszeitung betreut. Ich schrieb ihm zurück, ich hätte keinen Text, aber dafür eine Frage… Ich schilderte ihm mein Problem…
Kaindlgruber: Das heißt, Rosendorfers Brief kam ganz zufällig und hatte nichts mit Ihrem Buch zu tun?
Glavinic: Hatte nichts mit meinem Buch zu tun. (Hehe.) Er schrieb mir auf meinen bangen Brief zurück, ich solle mir keine Sorgen machen, er sei auch nicht der erste gewesen, dem diese Idee gekommen ist.
Wir reden darüber, daß ich nachts ohne Licht und Radio nicht schlafen kann, jedenfalls nicht, wenn ich allein bin.
Kaindlgruber: Wenn Sie nachts Radio hören, hören Sie da Ö1?
Glavinic: (Mir reicht’s. Es muß etwas passieren.) Oft ist es so, daß ich gar nicht Radio höre, sondern Fredl Fesl.
Kaindlgruber: Da gibt es doch diesen Jodler.
Glavinic: Den Königsjodler. Aber ich werde Ihnen den jetzt nicht vorjodeln.
Kaindlgruber: Hätte ich auch nicht verlangt. Wir haben den nächsten Anrufer, Herrn Mustafa. Herr Mustafa, bitte.
Herr Mustafa: Äh, äh, äh. Äääääh, äh, äh. Daaank fir Seeenduung! Daank! Kann redeeen von Aaangst… ist viel schlimm… auf Laand… ist aaainsam… vieel Aaangst…außen… äh, äh, äh… macht ihr und andere Maaannschen… er ist allaain… Auslander aainzig… Dooorf… aainsam… Aaangst… ähhhhhh, äh, äh…
Kaindlgruber: Herr Mustafa, Sie meinen, Sie fühlen sich einsam, weil Sie der einzige Ausländer im Dorf sind?
Herr Mustafa: Niiiecht füühle aainsam! Biiiien aainsam!
Kaindlgruber: Danke, Herr Mustafa. Der nächste Anrufer ist Herr Schoiswohl.
Herr Schoiswohl (lallend): Also, ich muß sagen, der Autor scheint ein schlichtes Gemüt zu sein, wenn er… wenn er Fredl Fesl hört!
Kaindlgruber: Herr Schoiswohl, das ist nicht in Ordnung, daß Sie das sagen!
Herr Schoiswohclass="underline" Also ich, ich höre die GANZE NACHT Ö1! Und ich schaue Bildung… Bildungsfernsehen! Und ich habe Tausende Bü… Bücher gelesen! Aber das von dem Autor im Studio werde ich… werde ich mir nicht kau… kaufen, weil der Freeedl Feeeeeesl hört!
Vor der Lesung bin ich mit dem Prinzen bei Umar zum Fischessen verabredet. Als ich über den Karlsplatz gehe, höre ich ein sirrendes Geräusch, gefolgt von einem Krachen. Auf der Straße ist ein Lastwagen mit ausgefahrenem Baggerarm in die Oberleitung der Straßenbahn gekracht. Der Fahrer scheint nichts zu merken, fährt noch ein Stück, es kracht wieder, Funken sprühen, ringsum beginnen Laternenmasten zu wackeln. Das Wackeln und Taumeln pflanzt sich immer weiter fort. Hier und da stürzen die Kabel zu Boden.
Ich hebe den Kopf. Ich stehe direkt unter einer der Stromleitungen, die von den Oberleitungen zum Straßenrand gespannt sind. Ich springe zur Seite. Neben mir beginnt die Laterne zu wackeln, beinahe stürzt sie um. Zehn oder fünfzehn Passanten merken erst an meinem Verhalten, daß wir nicht nur Zeugen eines Unfalls sind, sondern Beteiligte, und laufen in verschiedene Richtungen, weg von den nun überall herunterkommenden Stromleitungen. Alles geht gut.
Ich bin über die Schnelligkeit meiner Reaktion überrascht, aber so ist das eben mit Angsthasen, sie haben eine Witterung für Gefahren. Ich beobachte noch eine Weile, wie die Polizei und die Feuerwehr die Straßen absperren. Es entsteht Chaos, weil keine Straßenbahn mehr weiterkommt. Ich hoffe, niemand hatte vor, zu meiner Lesung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen.
Am Naschmarkt begegnet mir mein schlechtes Gewissen. Wir grüßen einander, ich drücke ihm die Zwei-Euro-Münze in die Hand, er dankt und zeigt auf das Leseexemplar von Die Arbeit der Nacht, das ich mit mir trage.
«Was hast du denn da?«
«Ein Buch«, sage ich zögernd.
«Was denn für eines? Zeig her! Aaah, von Glavinic! Der ist toll! Nicht wahr?«
Fassungslos schaue ich auf seinen zahnlosen Mund.
«Kennst du sein erstes?«fragt der Bucklige.»Den Krimi? Den Kamera… Kameramann?«
«Kameramörder?«
«So heißt er! Kameramörder! Das ist ein tolles Buch! Hast du es gelesen?«
«Ich habe nicht viel Zeit zu lesen.«
Bei Umar treffe ich den Prinzen, wir bestellen uns Wolfsbarsch für zwei. Wir bekommen ein Riesending von Fisch. Etwas juckt mich am Nacken. Ich greife hin, ein Insekt, ich packe es und schleudere es weg. Kurz bevor es hinter der Tischkante verschwindet, sehe ich, daß es ein Käfer war, irgendeine mir unbekannte Art. Sekunden darauf stinkt es am Tisch infernalisch. Was ist jetzt los, frage ich mich, bis ich verstehe, es sind meine Finger, die so stinken, meine Finger und mein Nacken. Ich habe einen Stinkkäfer zu einer Abwehrreaktion getrieben.
Auf der Toilette wasche ich mich mit Seife ab. Ich rubble, bis mir der Nacken weh tut, ich spüle mir ein halbes dutzendmal die Hände, aber es hilft nichts, ich rieche wie ein Baubudenklo.
Ich frage mich, wie ich jetzt vor der Lesung zu einem kräftigen Parfüm komme, denn die Läden haben schon geschlossen. Es ist halb acht, um acht muß ich im Museumsquartier sein, um halb neun geht es los. Ich rufe Else an. Die ist gerade am Weggehen, verspricht aber, mir etwas mitzubringen.
Im Museumsquartier stelle ich mich am Büfett um ein Bier an. Ich rede mit Gabi Hegedüs und Christoph Möderndorfer, den Veranstaltern. Else kommt und gibt mir ein Parfüm. Ich laufe aufs Klo, sprühe mich ein, in meiner Aufregung erwische ich zuviel, ich kehre zu den anderen in einer abscheulichen Duftwolke zurück.
Es wird dunkel. Der Stadtrat kommt und begrüßt mich:»Long time no see!«Darauf fällt mir nichts ein, ich stehe da, bis er mir ein neues Bier in die Hand drückt. Ich setze mich in die erste Reihe, der Kasuar nimmt neben mir Platz, sein Leibfotograf schleicht herum und macht Fotos. Gabi hält eine kurze Ansprache, Applaus, ich steige aufs Podium, rings um mich ist es Nacht, die kleine Lampe auf meinem Pult die einzige stärkere Lichtquelle weit und breit, binnen Sekunden bin ich umschwärmt von Hunderten Insekten. Ich beginne zu lesen. Sie fliegen mir in die Haare, in die Ohren, in die Nase, sie fliegen mir in den Mund, sie ersäufen sich in meinem Bier, sie lassen sich beim Umblättern zwischen den Seiten zerquetschen, und ich fuchtle herum und lese. Es klappt ganz gut.
Nachher sind wir ungefähr zwanzig Leute. Else ist da. Gerrit, mein niederländischer Übersetzer ist da, Beate, die Ärztin ist da, Gabi und Christoph sind da, der Prinz ist da, Elses Bruder ist da, Michaela Puchberger vom Hanser-Vertrieb ist da, der Verlagsvertreter Schlieber ist da, auch die Rabenhofleute, wenigstens kurz, nur Daniel sitzt mit Till Fellner zu Hause und schaut sich Shining an.
Irgendwann landen wir auf der Dachterrasse des Café Leopold, und hier ist es nun richtig angenehm. Über dem Naturhistorischen Museum geht der Mond auf. Der erste warme Abend im August, drei Wochen hat es geregnet, heute sind die Wolken weggezogen. Zeichen! Zeichen! Ich sitze im ärmellosen T-Shirt da. Die Besitzer des Lokals stellen uns eine Flasche Metaxa auf den Tisch.
Etwa gegen drei Uhr sitze ich neben Christoph in dessen Auto. Wir fahren zur Gräfin am Naschmarkt. Um fünf Uhr früh bestelle ich mir Spiegelei, oder etwas völlig anderes. Ich bin in einer Runde von sechs oder acht Übriggebliebenen. Alle schwer betrunken. Um acht gehe ich nach Hause. Mache mir ein Bier auf. Keine Emails schreiben, denke ich noch, dann setze ich mich an den Computer und beginne, Emails von fragwürdigstem Inhalt zu schreiben. Um neun Uhr hole ich mir noch ein Bier, dann lese ich auf ORF.at die Nachrichten.