Toni, ein typischer Sportjournalist, der sich, bedingt durch Termindruck und Redaktionsschlußzeiten, hauptsächlich von Pizza ernährt, bestellt Backhendl. Prohaska und ich wollen die Goldbrasse. Die Kellnerin nickt. Kurz darauf kommt Peter, der Wirt, der zugleich Chefkoch ist, an unseren Tisch und entschuldigt sich, Brasse sei aus, er biete uns eine feine Lachsforelle an.
Prohaska verzieht das Gesicht.»Nein, Lachs mag ich nicht.«
«Aber das ist kein Lachs«, erkläre ich eifrig,»Lachsforelle ist eine Forelle.«
«Das weiß ich«, sagt Prohaska.
«Das kriegen wir schon hin«, beharrt Peter,»eine sehr gute Forelle, halb gar, wird wunderbar, mit Fenchel und Calamari, Sie werden sehen, es wird Ihnen schmecken!«
«Halb gar?«wiederhole ich.»Das mag ich nicht.«
«Aber ja«, sagt der Wirt,»eine sehr gute Forelle, sie wird dir schmecken!«
Er deutet mit den Händen, ruhig Blut, wir machen das schon.
«Statt der Calamari hätte ich gern Kartoffelpüree«, sage ich.
Unser Gespräch dreht sich in der Hauptsache um Fußball. Dazwischen sprechen wir über Essen und Wein. Ich erzähle von meinem Turnlehrer, der vor der Klasse verkündete, jemand, der in Leibesübungen eine schlechtere Note bekomme als Befriedigend, sei beinamputiert. Ich hatte ein Nicht genügend, und er mußte sich entschuldigen. Die Geschichte sorgt kurz für Heiterkeit. Gleich sind wir wieder beim Sport. Eigentlich rede ich nicht so wahnsinnig gern über Fußball, aber diese Gelegenheit kann ich nicht auslassen. Manchmal führen Toni und Prohaska eine kurze Nebenunterhaltung über ein aktuelles Thema, von dem ich zuwenig weiß, dann widme ich mich meinem Kater, der immer heftiger wird. Ich habe Kopfschmerzen und hänge meinen Gedanken nach. Ich horche auf, als der Name Vogel fällt, Peter Vogel. Der Schauspieler Peter Vogel, so erfahre ich, hat vor Jahrzehnten seinen Sohn zum Training von Austria Wien gebracht.
«Peter Vogel, der hat sich doch aufgehängt«, sage ich vor mich hin.»Der Schauspieler, hat sich der nicht aufgehängt? Der war doch krank oder so, oder depressiv, und dann hat er sich…«
Ich schaue auf. Der größte Fußballer der österreichischen Geschichte stochert in seiner Lachsforelle und nickt ausdruckslos. Es fällt auf, denn gewöhnlich lacht er. Oder lächelt. Es ist wahr, ich kenne keinen Menschen, der ständig so vergnügt aussieht wie er. Ich beeile mich, zum Thema Fußball zurückzukehren. Dann lasse ich die beiden reden und widme mich meinen Kopfschmerzen.
Es ist sehr interessant, eine Ikone zu treffen. Aber fast ebenso interessant wie die Person finde ich zu beobachten, wie ihr andere Leute begegnen. Vor kurzem sah ich Prohaska bei einer Veranstaltung. Er signierte in einer Ecke seine Biographie. Rund um ihn standen Männer unterschiedlichen Alters, hörten ihm zu und starrten ihn an. Oder hörten ihm nicht zu, doch sie starrten ihn an. Keiner näherte sich ihm auf mehr als zwei Meter. Es muß sonderbar sein, so zu den Leuten sprechen zu müssen anstatt mit ihnen.
Auch jetzt sehe ich diese Distanz, und sie geht nicht von Prohaska aus. Toni nimmt sie ihm gegenüber ein, obwohl er sein Biograph ist. Wenn er, sich an mich wendend, über ihn spricht, sagt er» der Herr Prohaska«. Es soll respektvoll sein, es ist auch respektvoll, aber es ist mehr als das. Darin liegt ein Zu-ihm-Aufschauen, das weniger soziale als psychologische Ursachen hat. Prohaska» ist einfach mehr«, würde Toni wohl sagen, wenn er sich bewußtmachen würde, was er da tut. Prohaska ist natürlich, redet natürlich, und trotzdem knien ringsum die Leute nieder. Das kann auch nicht immer angenehm sein.
Am Nachmittag lege ich mich eine Stunde ins Bett. Die Kopfschmerzen lassen nach. Ich fahre ins Hilton, wo sich während des Festivals die Viennale-Zentrale befindet. Zu früh. In der Halle trinke ich ein Glas Wein. Daniel ruft an. Ich frage, ob ihm der größte Starautor der westlichen Welt schon gemailt hat. Hat er nicht. Wir reden über den Buchpreis. Morgen abend ist es soweit. Ich garantiere Daniel, er gewinnt. Er sagt nein. Ihn wollen sie nicht. Er ist bei 55.000.
Ich bemerke, es ist schon fünf nach acht und ich muß noch den Konferenzraum finden, hastig verabschiede ich mich.
55.000. Und ich warte, daß mich Karin Graf anruft.
Nicht in einem Konferenzraum, sondern in einem einfachen Hotelzimmer treffe ich die Mitjuroren, die mir die freundliche Viennale-Organisatorin vorstellt: Herrn Kaindlgruber von der ORF-Kultur, die Filmkritikerin der Oberösterreichischen Nachrichten, einen Kinobesitzer. Es fehlt nur Frau N., die ebenfalls beim ORF arbeitet und vor einem halben Jahr ein belletristisches Werk bei einem kleineren österreichischen Verlag veröffentlicht hat. Sie schreitet gegen halb neun in Rock und Stiefeletten ins Zimmer und umarmt Herrn Kaindlgruber, Küßchen, Küßchen.
Sogleich beginnt die Diskussion. Jeder nennt fünf Filme, die für ihn in Frage kommen. Ich sage nur drei, was mir das erste Naserümpfen der Filmkritikerin beschert. Es wird ein Punkt angesprochen, der mir bei der Auswahl Schwierigkeiten bereitet hat: Zwei Drittel der Arbeiten sind Dokumentarfilme, bloß sieben oder acht kann man als Spielfilme bezeichnen. Es gibt aber nur einen Preis zu vergeben. Die Organisatorin sieht das Problem, es wird aber trotzdem nicht mehr als einen Preis geben, und uns obliegt die Entscheidung, ob für einen Spielfilm oder eine Doku.
Für mich steht fest, was ich wilclass="underline" einen Spielfilm, ich möchte Kunst auszeichnen. Ich weiß, daß es künstlerische Dokus gibt, kunstvoll gearbeiteten Journalismus, aber von kunstvoll gearbeitet kann man bei den zur Auswahl stehenden Streifen nicht so recht sprechen.
«Ich bin für eine Doku«, sagt Frau N.»Ich lebe in einem rechtskonservativen Land, und dagegen muß man etwas tun!«
Ringsum macht sich Zustimmung breit. Der Trend geht eindeutig in Richtung Doku. Ich fordere Unterstützung für Spiele leben ein. Herr Kaindlgruber stimmt mir bei, die Filmkritikerin und der Kinobesitzer lehnen ab. Frau N. legt sich für Operation Spring ins Zeug, eine sympathische, nicht besonders gut gemachte Doku über eine Drogenrazzia im Jahr 1999 und deren Folgen. Aus dem Film geht hervor, daß 130 Schwarzafrikaner zu teilweise mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, obwohl ihre Unschuld erwiesen ist. Es geht um einen Justizskandal. Wichtiges Thema, keine Frage, aber der Film, naja, er wird nicht bleiben.
«Ja, ich finde auch, daß man diesen Film auszeichnen sollte«, sagt die Filmkritikerin.»Es wäre ein Zeichen!«
Herr Kaindlgruber nickt.»Ich bin auch dafür.«
Der Kinobesitzer gibt meinem Einspruch recht, der Film sei so schlecht gemacht, daß die Wahl auf uns zurückfallen würde. Er regt an, keinen Preis zu vergeben.»Wir, die Jury, haben uns die Entscheidung nicht leichtgemacht, doch wir sind übereingekommen, in diesem Jahr den Wiener Filmpreis nicht zu vergeben, so etwas in der Art, das wäre auch ein Zeichen!«
«Durchaus, ein Zeichen, daß wir arrogante Trottel sind«, sage ich, was mir einen unfreundlichen Blick des Kinobesitzers einträgt.»Wir sind doch nicht die Jury von Cannes, ein Preis von 7000 Euro sollte einen Preisträger finden.«
«Das sehe ich auch so«, sagt Frau N.,»und deshalb bin ich für Operation Spring! Wenn der Film prämiert wird, muß der ORF das auf Sendung bringen, er muß über den Film berichten, das wünsche ich dem ORF, und ich wünsche es diesem rechten Land!«
Meine Kopfschmerzen sind längst wieder da, und sie werden stärker.
«Das hätte wirklich etwas Gutes«, sage ich.»Wir könnten uns nächstens das Anschauen ersparen und gleich die von der Kommunistischen Jugend eingereichten Filme auswählen.«
Die Filmkritikerin neben mir japst nach Luft. Die übrigen Jurymitglieder brummen zornig auf. Ich schenke mir ein Glas Mineralwasser ein. Frau N. fragt, ob man rauchen darf. Keiner sagt etwas. Ich verziehe mich ins Badezimmer. Gedämpft höre ich von draußen die Stimmen meiner Mitjuroren. Wieso habe ich mich auf so etwas eingelassen?