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Die Diskussion zieht sich in die Länge. Mittlerweile bin ich als einziger für Spiele leben und als einziger gegen Operation Spring. Frau N.s Argument ist immer dasselbe:

«Es ist wichtig, ein politisches Zeichen zu setzen.«

«Ist es wirklich wichtig?«

«Ja natürlich!«ruft Frau N.

«Ist es nicht auch eine politische Aussage, einen künstlerischen Film zu prämieren und ihn einem schlecht gemachten Dokumentarfilm vorzuziehen?«

Die Filmkritikerin wird energisch:»Aber wir können hier ein Zeichen setzen!«

Ich kann ihnen nicht einmal einen Vorwurf machen, ich rede ja vermutlich selbst Blödsinn. Aber immerhin ahne ich es. Und jetzt wird mir endlich klar, warum ich mich schon die ganze Zeit über so unwohl fühle. Nicht weil sie andere Meinungen haben als ich, nicht weil sie einen schlechten Film auszeichnen wollen, nicht weil sie eitel sind. Mich stört, daß sie auf alles eine Antwort haben, prompt und ohne Zögern. Sie sind sich ihrer Meinungen so sicher.

Frau N. fragt wieder, ob man hier rauchen darf. Und wieder antwortet niemand.

Wir verlegen die Zusammenkunft in die Halle. Eine Entscheidung muß bald fallen, weil die Filmkritikerin der Oberösterreichischen Nachrichten noch heim nach Linz muß und den Zug nicht versäumen darf. Frau N. sagt, sie hat Kopfweh, und will deshalb einen Whisky. Sie studiert die Getränkekarte, dann bestellt sie Wasser, denn der Whisky kostet 14 €. Ich bestelle mir Wein, viel Wein. Die Diskussion beginnt von neuem. Eigentlich ist es keine Diskussion, jemand sagt müde einen Satz, dann blicken mich alle flehend an. Nach dem dritten Glas ist es mir zu blöd, und ich willige ein. Allgemeines Aufatmen. Herr Kaindlgruber wird beauftragt, die Laudatio zu verfassen.

«Da sollten wir unsere Bedenken hinsichtlich der Qualität des Films erwähnen!«fordert der Kinobesitzer.

«Gute Idee«, sagt Herr Kaindlgruber.»Etwas wie: Die politisch-moralische Botschaft des Films ist brisant, die Umsetzung hält nicht Schritt… Jury hat es sich nicht leicht… Zeichen setzen…«

Ich blende mich aus dem Gespräch aus. Mittlerweile geht es mir recht gut, und ich kichere vor mich hin. Gerade als ich gehen will, kommt Hans Hurch, der Viennale-Direktor, vorbei.

«Wie ist es gelaufen?«fragt er Frau N.»So wie du grinst, hast du dich durchgesetzt.«

Frau N. setzt sich zurecht, sie lächelt breit, ihre Augen funkeln.»Ein wichtiger Film.«

«Welcher?«

«Operation Spring

Hurch wischt sich den Bart.»Gute Wahl. Sehr gute Wahl.«

Die Filmkritikerin verabschiedet sich. Ich winke dem Kellner, aber der übersieht mich. Kaindlgruber fragt mich nach Daniel. Ich schwärme von seinem neuen Roman. Frau N. mischt sich ein, sie liest ihn gerade, große Literatur ist das nicht, große Literatur ist Spieltrieb von Juli Zeh. Aber es ist schon recht ordentlich. Daniel kann eben nicht über Emotionales schreiben. Weil er, sie kennt ihn nämlich persönlich, und das sogar ganz gut, selbst ein Mensch ist, der zu seinen Emotionen nicht steht oder sie unterdrückt oder ähnliches, den genauen Wortlaut höre ich nicht mehr, weil ich mich darauf konzentrieren muß, meine Mimik zu kontrollieren.

Im Taxi sende ich Daniel ein SMS: Habe mit der Jury über dein Buch gesprochen. Frau N. findet, du bist emotional gehandicapt.

Ring-ring.

Gespräch mit Daniel während der Taxifahrt, große Heiterkeit.

Mir ist noch nicht nach Heimkehr und Bett. Ich gehe ins , das Lokal bei mir an der Ecke, fühle mich schon beim Eintreten erleichtert. Die Kellnerin fragt mich, ob ich an der Theke stehenbleibe. In diesem Moment erspähe ich einen meiner neuen Nachbarn aus dem Haus allein an einem der Tische. Mir fällt sogar sein Name ein: Marvin. Ich frage, ob er etwas dagegen hat, und setze mich. Begeistert schlage ich ihm auf die Schulter, ich freue mich wirklich, ihn zu sehen, obwohl ich noch nie mehr als zwei Sätze mit ihm gewechselt habe. Aber er ist etwa in meinem Alter, er hat wie ich Frau und Kind, und ich sehe ihn immer wieder mal allein und offensichtlich erschöpft im Lokal sitzen. Es ist Zeit, daß wir mal zusammen trinken. Denke ich, und bestelle Wein.

«Na, wie läuft es mit der Tochter?«

«Zur Zeit… etwas anstrengend… Ich — «

«Wem sagst du das? Stanislaus ist elf Monate älter! Oh oh, und was noch auf dich zukommt, hehe!«

Freimütig offenbare ich ihm, es werde noch schlimmer, die schlimmste Zeit stehe ihnen erst bevor. Meine Behauptung belege ich mit Beispielen. Ich bestelle noch ein Glas. Es kann sein, daß ich etwas zu laut spreche, denn Marvin zuckt immer wieder zusammen und sieht mich ängstlich an, obwohl er ein Riesenkerl ist, größer und breiter als ich. Ich frage ihm Löcher in den Bauch, er muß mir von seiner Anstellung bei einer sozialdemokratischen Politikerin erzählen. Er sagt, der Job geht ihm auf die Nerven und er ist darin unglücklich. Ich bestätige, das ist auch wirklich das Allerletzte, und ermuntere ihn, sich nach Veränderung umzusehen.

Ich halte Jasmin, die Kellnerin, fest und bitte um das dritte Glas. Sie fragt den Nachbarn, ob er auch noch einen Wunsch habe. Apfelsaft, flüstert er.

«Und wie geht es so weiter mit euch?«schreie ich fröhlich.

«Nächsten Sommer. Beginnt mein Karenzjahr. Rita. Sie will wieder. Arbeiten.«

«Um Gottes willen!«rufe ich.»Du bist aber sehr mutig!«

Ich versichere ihm, er ist dann gerade in der schlimmsten Zeit, also wenn seine Tochter am lästigsten, wildesten, anstrengendsten und unfolgsamsten ist, mit ihr allein. Sie wird nicht auf dich hören, sage ich, sie wird machen, wonach ihr der Sinn steht, sie wird brüllen und auf den Tisch klettern und vom Schrank springen und sich den Kopf einschlagen, und dann wird sie wieder brüllen. Und du wirst kochen und putzen und Wäsche waschen, und sie wird 24 Stunden auf deinen Nerven herumreiten.

«Ich bewundere das«, sage ich, während er mich mit flackernden Augen ansieht,»ich könnte das nicht, ehrlich. Ich finde das großartig von dir! Wenn ich nur einen Tag mit Stanislaus allein bin, bin ich kurz davor, mich zu erschießen oder wenigstens ihn beim Fenster hinauszuwerfen, ehrlich! Sich monatelang einem Kind zu widmen, allein, das ist toll, du bist ein fabelhafter Kerl!«Und schlage ihm wieder auf die Schulter.»Versprich mir, daß du zu uns runterkommst, bevor du ausflippst, versprich es mir!«Ich presse ihm meine Finger in den Oberarm.»Versprich es!«

«Ich muß dir was sagen«, röchelt er.»Ich bin nicht immer so. Still. Sorry. Ich bin ziemlich… ich bin… ich habe… ein paar Joints durchgezogen… bin total hinüber. Eigentlich bin ich. Hergekommen… ja. Her gekommen… weil ich allein sein… allein sein wollte.«

Sechs

Ich habe von dem indischen Weltklasseschachspieler Viswanathan Anand geträumt. Man nennt ihn» Vishy«. Ich sagte zu ihm:»Hello, Wischi«, worauf er behauptete, ich spreche seinen Namen falsch aus, er heißt Ffffischi. Das ist solcher Blödsinn, daß ich mich wundere, warum ich nicht sofort aufgewacht bin, doch der Traum ging weiter. Da war noch etwas Kurioses, aber was? Sowieso seltsam, wieso Anand? Ich bin doch Iwantschuk-Fan.

Ich habe keine große Lust, aufzustehen, aber ich muß. Meine Agentin, Karin Graf, erwartet mich zu einem Gespräch in München, es gibt gute Neuigkeiten für mein Buch.

Ich schaue auf die Uhr. Fünf Minuten noch. Ich überlege. Ja — der Traum ging weiter. Ein junges Paar will mich zu einem Sexabend überreden. Der Mann hat eine seltsam hohe Stimme. Er ruft mich an und beklagt sich, ich habe versprochen, mit seiner Frau zu schlafen. Ich antworte, mir paßt das nicht. Er insistiert, ich hätte es doch versprochen. Ich sage, heute nicht, vielleicht morgen, und dann bin ich zum Glück aufgewacht.