Jason sah auf die Uhr. Fünfzehn Minuten waren vergangen. Zweifellos prüften die Günstlinge von Santos die Straßen, eine abschließende Inspektion, bevor der Hohepriester der Kontakte erscheinen würde. Borowski dachte kurz an Marie, an die Gefühle, die er am Trocadero gehabt hatte, und er erinnerte sich an die Worte des alten Fontaine, als sie die Wege von Tranquility beobachtet und auf Carlos gewartet hatten.»Er ist in der Nähe. Ich fühle es. Wie das Nahen eines fernen Gewitters.«
Jasons Uhr zeigte eins, und die beiden Boten kamen aus der Gasse und überquerten die Straße zum Tor der alten Fabrik.
«Santos will Sie jetzt sehen«, sagte der eifrigere der beiden.
«Ich sehe ihn nicht.«
«Sie sollen mit uns kommen. Er wird das Coeur du Soldat nicht verlassen.«
«Warum finde ich das nicht nach meinem Geschmack?«
«Ohne jeden Grund: Er hat Frieden im Herzen.«
«Und was ist mit seinem Messer?«
«Er trägt nie eine Waffe bei sich.«
«Das ist schön zu hören. Gehen wir.«
«Er braucht keine Waffen«, fügte einer der Boten beunruhigenderweise hinzu.
Er wurde die Gasse hinunter, am neonbeleuchteten Eingang vorbei zu einem kaum wahrnehmbaren Spalt zwischen den Häusern eskortiert. Einer nach dem anderen gingen sie zur rückwärtigen Seite der Kneipe, wo Jason etwas sah, was er hier in dieser verkommenen Gegend zuallerletzt erwartet hätte — einen englischen Garten. Es war ein Grundstück, vielleicht zehn Meter breit und zwanzig tief, mit Spalieren, die verschiedene, blühende Kletterpflanzen stützten — prächtige Farben im Mondlicht.
«Das ist ein Anblick«, kommentierte Jason.»Das erfordert viel Mühe.«
«Eine Leidenschaft von Santos! Niemand versteht es, aber niemand berührt auch nur eine Blume.«
Faszinierend.
Borowski wurde zu einem kleinen Außenfahrstuhl geführt, dessen Stahlrahmen an der Steinmauer des Gebäudes befestigt war. Ein anderer Zugang war nicht in Sicht. Der Fahrstuhl faßte gerade sie drei, und als die eiserne Tür geschlossen war, drückte der schweigsame Bote in der Dunkelheit einen Knopf und sagte:»Wir sind hier, Santos. Kamelie. Hol uns hoch.«
«Kamelie?«fragte Jason.
«So weiß er, daß alles in Ordnung ist. Wenn nicht, hätte mein Freund Lilie oder Rose gesagt.«
«Was wäre dann passiert?«
«Daran möchten Sie bestimmt nicht einmal denken. Ich jedenfalls nicht.«
Der Fahrstuhl hielt mit einem doppelten Hopser, und der schweigsame Bote öffnete eine dicke Eisentür, was zu tun sein volles Gewicht erforderte. Borowski wurde in das ihm schon vertraute Zimmer geführt. Santos saß in einem übergroßen Lehnstuhl.
«Ihr könnt gehen, meine Freunde«, sagte er.»Holt euch das Geld vom Kellner und sagt ihm, daß er Rene und diesem Amerikaner, diesem Ralph, jedem fünfzig Francs geben soll und sie nach draußen befördert. Sie pissen in die Ecken… Sag ihnen, das Geld sei von ihrem Freund von neulich, der sie vergessen hat.«
«Oh, Scheiße!«kam es aus Jason heraus.
«Haben Sie doch, oder?«Santos grinste.
«Ich habe an andere Dinge denken müssen.«
«Ja, Sir!«Die beiden Boten, statt nach hinten zum Fahrstuhl zu gehen, öffneten eine Tür in der linken Wand und verschwanden. Borowski sah ihnen verwirrt hinterher.
«Da ist eine Treppe, die in die Küche führt«, sagte Santos und beantwortete Jasons unausgesprochene Frage.»Die Tür kann von dieser Seite geöffnet werden, nicht unten von den Stufen her, außer von mir… Setzen Sie sich, Monsieur Simon. Wie geht es Ihrem Kopf?«
«Die Schwellung ist zurückgegangen, danke. «Borowski setzte sich auf die Couch und versank in den Kissen.
«Wie ich höre, haben Sie Frieden im Herzen.«
«Und den Wunsch nach drei Millionen Francs.«
«Dann waren Sie also mit dem Anruf in London zufrieden?«
«Niemand kann den Mann so programmiert haben, derartig zu reagieren. Es gibt eine Schlangenlady, und sie flößt eine außerordentliche Zuneigung und Furcht ein, auch höheren Orts — was bedeutet, daß sie nicht ohne Macht sein kann.«
«Das hatte ich Ihnen zu erklären versucht.«
«Ihr Wort ist akzeptiert. Jetzt lassen Sie mich Ihre Forderung rekapitulieren… Sie, und nur Sie allein, müssen die Amsel treffen, richtig?«
«Das ist ein Muß.«
«Ich darf noch einmal fragen, warum?«
«Offen gesagt, wissen Sie bereits so schon zuviel, mehr als meine Kunden ahnen — aber schließlich hat auch keiner von ihnen im zweiten Stock einer Kneipe in Argenteuil beinahe sein Leben verloren. Sie wollen nichts mit Ihnen zu tun haben, sie wollen keine Spuren, keine Verwundbarkeit.«
«Wie haben Sie mich gefunden?«Santos schlug mit der Faust auf die Stuhllehne.
«Ein alter Mann in Paris, mit einem einschlägigen Vorstrafenregister, der versuchte, ein Parlamentsmitglied zu warnen, daß es ermordet werden sollte. Er war derjenige, der die Amsel erwähnte. Er war derjenige, der vom Le Coeur du Soldat sprach. Glücklicherweise hörte ihn unser Mann und gab insgeheim meinen Klienten die Nachricht weiter… Aber das hilft Ihnen nicht, so kommen Sie an meine Auftraggeber nicht heran. Wie viele alte Männer in Paris könnten in ihrer senilen Desillusionierung das Le Coeur du Soldat erwähnt haben — und Sie?… Hier, ich habe Ihnen etwas mitgebracht. «Borowski rutschte auf der Couch vor und lange in seine Gesäßtasche. Er holte eine Rolle eng gebundener Francsnoten heraus, die von einem schwarzen Gummi zusammengehalten wurden. Er warf sie Santos zu, der sie mühelos fing.»Zweihunderttausend Vorschuß — ich wurde bevollmächtigt, Ihnen das zu geben. Auf Basis der größtmöglichen Anstrengungen. Sie geben mir die Informationen, die ich brauche, ich liefere sie nach London, und ob die Amsel das Angebot meiner Klienten akzeptiert oder nicht, Sie erhalten den Rest der drei Millionen.«
«Aber Sie könnten vorher verschwinden, oder nicht?«
«Sie können mich beobachten lassen wie bisher, mich nach London und zurück beschatten lassen. Ich werde Ihnen sogar die Fluggesellschaft und die Flugnummer geben. Was könnte fairer sein?«
«Nur etwas, Monsieur Simon«, antwortete Santos, schob seinen gewaltigen Körper aus dem Sessel und schritt majestätisch zu einem Kartentisch.»Kommen Sie bitte her.«
Jason erhob sich von der Couch und ging zum Kartentisch hinüber, augenblicklich erstaunt.»Sie sind wirklich gründlich.«
«Ich versuche es zu sein… Oh, geben Sie nicht den Portiers die Schuld, die gehören Ihnen. Ich setze viel tiefer an. Zimmermädchen und Kellner sind mehr nach meinem Geschmack. Sie sind nicht so verdorben, und niemand vermißt sie, wenn sie eines Tages nicht mehr da sind.«
Auf dem Tisch lagen Borowskis drei Pässe sowie die Pistole und das Messer, das ihm in der vergangenen Nacht abgenommen worden war.
«Sehr überzeugend, aber was ändert es an der Sache?«
«Wir werden sehen«, antwortete Santos.»Ich akzeptiere Ihr Geld — für meine größtmöglichen Anstrengungen —, aber anstatt daß Sie nach London fliegen, lassen Sie London nach Paris fliegen. Morgen früh. Wenn er im Pont-Royal ankommt, rufen Sie mich an. Ich gebe Ihnen meine private Nummer — und wir spielen das sowjetische Spiel. Zwei Agenten, die sich auf der
Mitte der Brücke treffen und die gegeneinander ausgetauscht werden — Geld gegen Information.«