«Eine Stunde. Einverstanden… Nur drei andere Menschen haben diese Nummer? Warum geben Sie mir nicht einen kleinen Hinweis auf jemanden, den Sie nicht besonders mögen. Dann könnte ich wenigstens eine vage Andeutung machen — falls es notwendig ist. «Santos gestattete sich ein kleines, leises Lächeln.»Moskau«, sagte er.»Hoch oben am Dserschinskij-Platz.«
«Der KGB?«
«Die Amsel baut einen Kader in Moskau auf. Moskau ist eine Obsession von ihm.«
Ilich Ramirez Sanchez, dachte Borowski. Ausgebildet in Nowgorod. Der Schakal!» Ich werde daran denken… Die Nummer?«
Santos nannte sie zweimal — zusammen mit den Worten, die Borowski sagen sollte. Er sprach langsam und war offenbar beeindruckt, daß sich Borowski keine Notizen machte.»Ist alles klar?«
«Unauslöschlich… Wie möchten Sie das Geld bekommen?«
«Rufen Sie mich an, Sie haben meine Nummer. Ich werde Argenteuil verlassen, zu Ihnen kommen und niemals ins Le Coeur zurückkehren.«
«Viel Glück, Santos. Irgend etwas sagt mir, daß Sie es verdienen.«
«Niemand mehr als ich. Ich habe zu oft vom Schierlingsbecher trinken müssen.«
«Sokrates«, sagte Borowski.
«Nicht direkt. Platons Gespräche, um genau zu sein. Au revoir.«
Santos marschierte los, und Borowski ging zurück zum Pont-Royal. Er versuchte verzweifelt, seinen Wunsch zu rennen zu unterdrücken.
Ein rennender Mensch ist ein Objekt der Neugierde, eine Zielscheibe. Eine Lektion aus dem Lehrbuch von Jason Borowski.
«Bernardine!«bellte er, als er den schmalen, verlassenen Flur zu seinem Zimmer entlanglief — und den alten Mann am Tisch sitzen sah, eine Granate in der einen Hand, eine Pistole in der anderen.»Legen Sie die Hardware beiseite, wir haben ins Schwarze getroffen!«
«Und wer muß dafür zahlen?«fragte der Veteran vom Deuxieme, als Jason die Tür schloß.
«Ich«, antwortete Borowski.»Wenn alles läuft, wie ich denke, daß es laufen wird, dann wird sich Ihr Konto in Genf freuen.«
«Ich tue das, was ich tue, nicht deswegen, mein Freund.«
«Ich weiß, aber solange wir die Francs verteilen, als würden wir sie selbst in der Garage drucken, warum sollten Sie dann nicht auch was abbekommen?«
«Dagegen läßt sich nichts sagen.«
«Eine Stunde«, verkündete Jason.»Dreiundvierzig Minuten noch, um genau zu sein.«»Wofür?«
«Um herauszufinden, ob es wirklich stimmt. «Borowski fiel aufs Bett und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Seine Augen leuchteten.»Schreiben Sie sich etwas auf, Francois. «Jason nannte die Telefonnummer, die ihm von Santos gegeben worden war.»Kaufen Sie, bestechen Sie oder drohen Sie jedem besseren Kontakt, den Sie jemals bei der Pariser Post hatten, aber finden Sie heraus, wo der zugehörige Apparat steht.«
«Das ist keine so teure Forderung…«
«Doch, ist es«, hielt Borowski dagegen.»Sie ist geschützt, unverletzbar gemacht. Etwas anderes käme für ihn nicht in Frage. Nur vier Leute aus seinem gesamten Netzwerk haben diese Nummer.«
«Dann sollten wir vielleicht nicht so hoch hinaufgehen, sondern lieber tief hinunter, unter die Erde, in den Untergrund. In die Tiefen des Telefonnetzes unter den Straßen.«
Jason schnellte herum.»Daran habe ich gar nicht gedacht.«
«Wie könnten Sie? Sie sind kein Mann vom Deuxieme. Der Schlüssel liegt in der Technik… Ich kenne da einige Fachleute. Lassen Sie mich am Abend telefonieren…«
«Heute abend?«unterbrach Borowski und erhob sich vom Bett.
«Es wird so etwa tausend Francs kosten.«
«Ich kann nicht bis heute abend warten.«
«Das bedeutet ein Risiko. Diese Leute werden bei ihrer Arbeit mit Monitor überwacht. Das ist das sozialistische Paradox: den Arbeitskräften Verantwortung geben, aber keine individuelle Autorität.«
«Sie haben also ihre Privatnummer?«»Sie stehen im Buch, ja. Diese Leute haben keine Geheimanschlüsse.«
«Dann lassen Sie die Frau von jemandem anrufen. Ein dringender Fall. Der Mann muß nach Hause kommen.«
Bernardine nickte.»Nicht schlecht, mein Freund. «Die Minuten dehnten sich zu Viertelstunden, als der ehemalige Agent des Deuxieme sich an die Arbeit machte. Rührselig machte er den Frauen Versprechungen, wenn sie tun würden, was er verlangte. Zwei hängten sofort auf, drei wiesen ihn wortgewaltig ab, aber die sechste erklärte inmitten von etlichen Obszönitäten:»Warum nicht?«Wenn nur der Schlappschwanz, den sie geheiratet hatte, auch begriff, daß das dann ihr Geld war.
Die Stunde war vorbei, und Jason verließ das Hotel. Er lief langsam, lässig das Trottoir hinunter, überquerte vier Straßen bis zu einer Telefonzelle am Quai Voltaire an der Seine. Ein Schleier von Dunkelheit senkte sich langsam über Paris. Die Boote auf dem Fluß und die Brücken waren mit Lichtern geschmückt. Als er die rote Zelle betrat, atmete er gleichmäßig, in tiefen Zügen. Er kontrollierte sich in einer Weise, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Er war dabei, den wichtigsten Telefonanruf seines Lebens zu machen, aber das durfte er den Schakal nicht wissen lassen — wenn es wirklich der Schakal war. Er ging hinein, warf eine Münze ein und wählte.
«Ja?«Es war die Stimme einer Frau — scharf und barsch. Eine Pariserin.»Amseln kreisen am Himmel«, sagte Borowski, Santos' Worte auf französisch wiederholend.»Sie machen viel Lärm, außer einer. Die schweigt.«»Von wo rufen Sie an?«»Aus Paris, aber ich bin nicht aus Paris.«»Von wo dann?«
«Wo die Winter sehr viel kälter sind«, antwortete Jason und spürte, wie seine Stirn feucht wurde. Kontrolle. Kontrolle!» Es ist dringend, daß ich eine Amsel erreiche. «Die Leitung war plötzlich voller Stille, einer tönenden Leere, die Borowski den Atem anhalten ließ. Dann, leise, unbewegt und so hohl wie die vorhergehende Stille:»Wir sprechen mit einem Moskowiter?«
Der Schakal! Es war der Schakali Sein weiches, geläufiges Französisch konnte seinen lateinamerikanischen Ursprung nicht verbergen.»Das habe ich nicht gesagt«, antwortete Borowski. Sein eigener französischer Dialekt, den er häufig benutzte, hatte den gutturalen Klang der Gascogne.»Ich sagte nur, bei uns seien die Winter kälter als in Paris.«
«Mit wem spreche ich?«
«Jemand, der auf jemanden, der Sie gut kennt, Eindruck gemacht und so diese Nummer erhalten hat. Ich kann Ihnen das Angebot Ihres Lebens machen. Das Honorar ist unwichtig, Sie können es selbst bestimmen — die, die bezahlen, gehören zu den mächtigsten Männern der Vereinigten Staaten. Sie kontrollieren einen großen Teil der amerikanischen Industrie und Finanzwelt, und sie haben direkten Zugang zu den Nervenzentren etlicher Regierungen.«
«Dies ist ein merkwürdiger Anruf. Sehr unorthodox.«
«Wenn Sie nicht interessiert sind, werde ich diese Nummer vergessen und mich an jemand anderes wenden. Ich bin nur der Mittler. Ein einfaches Ja oder Nein wird genügen.«
«Ich lege mich nicht auf Dinge oder Leute fest, von denen ich nie gehört habe.«
«Sie würden meine Auftraggeber sehr wohl kennen, wenn ich sie Ihnen nennen könnte. Ich will jedoch an diesem Punkt nur Ihr Interesse. Wenn es vorhanden ist, kann ich mehr sagen. Wenn nicht, gut, dann hab ich es versucht und werde gezwungen sein, mir einen anderen zu suchen. Die Zeitungen sagen, er sei erst gestern in Brüssel gewesen. Ich werde ihn finden. «Die Erwähnung von Brüssel ließ seinen Gesprächspartner scharf und kurz Luft holen.
«Ja oder nein, Amsel?«
Schweigen. Schließlich sprach der Schakal.»Rufen Sie mich in zwei Stunden wieder an«, befahl er und legte auf.
Es war geschafft! Jason lehnte sich gegen die Wand der Telefonzelle, der Schweiß rann ihm über Gesicht und Nacken. Er mußte zurück zu Bernardine!
«Es war Carlos!«verkündete er, als er die Tür hinter sich schloß und direkt zum Telefon ging, während er die Karte von Santos aus der Tasche holte. Er wählte und hatte ihn in Sekunden am Apparat.