«Wir sind nicht Ihretwegen hier, Monsieur«, fuhr die Lautsprecherstimme fort.
«Nicht meinetwegen, sagen Sie? Sie kommen hier an wie eine Armee, erschrecken meine Frau und die Kinder zu Tode, und dann sagen Sie, Sie kommen nicht wegen mir?«
Beeil dich! dachte Jason. Um Himmels willen, beeil dich. Jede Sekunde ist eine Minute Fluchtzeit, eine Stunde für den Schakal!
Oben auf der Treppe auf der linken Seite des Gebäudes öffnete sich eine Tür, und eine Nonne erschien im wallenden schwarzen Gewand ihres Ordens. Sie stand trotzig im Türrahmen und zeigte keinerlei Furcht. Mit beinahe befehlender Stimme rief sie:»Wie können Sie es wagen, sich hier zu dieser Stunde so aufzuführen? Beten Sie lieber um Vergebung für Ihre Sünden, als jene zu unterbrechen, die ihre gerade im Gebet an Gott richten.«
«Hübsch gesagt, Schwester«, tönte es unbeeindruckt über den Lautsprecher.»Aber wir haben andere Informationen, und mit allem Respekt bestehen wird darauf, Ihr Haus zu durchsuchen, notfalls mit Gewalt.«
«Dies ist ein geheiligter Ort Christus geweihter Frauen!«rief die Nonne.
«Wir respektieren Sie, Schwester, aber wir werden dennoch hineinkommen. Wir haben keine Wahl.«
Ihr verschwendet Zeit! schrie Borowski für sich. Er entkommt!
«Dann mögen eure Seelen verdammt sein… Kommt und entweiht diesen heiligen Boden!«
«Wirklich, Schwester?«fragte eine andere Stimme ebenfalls über Lautsprecher.»Ans Werk, Messieurs. Unter der Kutte trägt sie wahrscheinlich Wäsche, die eher zum Faubourg gehört.«
Er kannte diese Stimme! Es war Bernardine! Was war geschehen? War Bernardine nicht auf seiner Seite? War er ein Verräter? Wenn das stimmte, dann würde es noch in dieser Nacht einen Toten geben!
Die schwarzuniformierte Antiterroreinheit rannte mit ihren Automatic-Waffen im Anschlag zu den beiden Treppen, während Gendarmen den Boulevard im Norden und Süden ab sperrten. Die rot-blauen Lichter der Polizei wagen, die unaufhörlich blinkten, waren eine Warnung an alle außerhalb des Gebietes: Wegbleiben!
«Kann ich wieder hinein?«rief der Bäcker. Niemand antwortete. Der dicke Mann machte kehrt und hielt sich dabei an seinen Hosenträgern fest. Ein Beamter in Zivil, offenbar der Leiter des Sturmangriffs, gesellte sich zu seiner Truppe an Fuß der Treppe. Mit einem Kopfnicken stürmten er und seine Leute die steilen Stufen hinauf durch die Tür, die von der trotzigen Nonne aufgehalten wurde.
Jason blieb an seinem Platz an der Ecke des Gebäudes, den Körper an die Wand gepreßt. Ungläubig und gebannt zugleich beobachtete er die unverständliche Szene, die sich vor ihm abspielte. Stimmte es wirklich? War der Mann, dem Alex Conklin und er am meisten vertraut hatten, in Wirklichkeit nur ein weiteres Paar Augen und Ohren des Schakals? Gott, er wollte es nicht glauben!
Zwölf Minuten vergingen, und die schwarze Truppe tauchte mitsamt ihrem Leiter wieder aus dem Haus auf, wobei mehrere Mitglieder sich über die Hand der Äbtissin beugten und sie küßten. Da begriff Borowski, daß Conklin und er sich nicht getäuscht hatten.
«Bernardine!«schrie der Beamte und näherte sich dem ersten Polizeiwagen.»Du bist erledigt! Out! Du wirst bei uns nicht mal mehr die Toiletten putzen dürfen. Das war's, ein für allemal. Für Leute wie dich gehört die Guillotine neu erfunden… Ein internationaler Mörder am Boulevard Lefebvre! Ein Freund des Büros! Ein Agent, den wir schützen müssen!.. Ein verdammtes Kloster, du elender Hurensohn! Scheiße! Raus aus meinem Wagen, raus, bevor sich hier aus Versehen ein Schuß löst!«
Bernardine kroch aus dem Einsatzwagen. Seine alten, schwankenden Beine konnten kaum das Gleichgewicht halten. Jason wartete, obwohl er zu ihm hinwollte, doch er wußte, daß er warten mußte. Die Polizeiautos und der Mannschaftswagen rasten davon. Immer noch mußte Borowski warten, während seine Augen sowohl Bernardine als auch den Vordereingang zum Haus des Schakals beobachteten. Es war das Haus des Schakals', die Nonne bewies es! Carlos konnte niemals von seinem verlorenen Glauben lassen.
Bernardine stolperte in den Schatten eines lange aufgegebenen Ladens gegenüber von Carlos' Stützpunkt. Jason verließ seine Ecke, lief die Straße hinunter und packte den Veteran des Deuxieme, der dort schwer atmend gegen das Fenster gelehnt stand.
«Um Gottes willen, was ist geschehen?«fragte Borowski und stützte Bernardine an den Schultern.
«Ruhig, mon ami«, sagte Bernardine halb erstickt.»Das Schwein eben neben mir im Wagen — ein Politiker zweifelsohne, der ein Resultat sehen wollte — hat mir einen üblen Schlag versetzt, bevor er mich aus dem Wagen warf… Ich hab ja gesagt, ich kenne all die neuen Leute nicht mehr, die heute mit dem Büro zu tun haben. Ihr habt dieselben Probleme in Amerika. Also keine Lektion, bitte.«»Das wäre das letzte, was ich tun wollte… Es ist das Haus, Bernardine. Genau hier, genau uns gegenüber!«
«Und eine Falle.«
«Was?«
«Alex und ich haben es herausgefunden. Mit der Telefonnummer stimmt was nicht. Ich nehme an, Sie haben nicht mehr mit Carlos telefoniert.«
«Nein. Ich hatte die Adresse, und ich wollte ihn zur Strecke bringen. Was ist der Unterschied? Das da ist das Haus!«
«Nein, nein. Das ist der Ort, wo ein Mr. Simon hingehen sollte, und dann wäre er zu einem weiteren Rendezvous gebracht worden. Aber wäre es nicht der richtige Mr. Simon gewesen, sondern jemand anders, dann wäre er erschossen worden — baff! — , eine weitere Leiche auf der Suche nach dem Schakal.«
«Falsch!«bestand Jason, schüttelte den Kopf und sagte ganz leise:»Es mag ein Umweg sein, aber Carlos ist noch am Drücker. Er wird es nicht zulassen, daß mich sonst jemand erwischt.«
«Genau wie Jason Borowski den Schakal niemand anderem überlassen wird.«
«Ja. Er ist so weit gegangen, wie es für ihn möglich war. Der einzige Weg, auf dem er noch weiterkommt, ist der, der auf mein Territorium führt — auf David Webbs Territorium —, um Jason Borowski zu eliminieren.«
«Webb? David Webb? Wer in Gottes Namen ist das?«
«Ich«, antwortete Borowski mit einem verlorenen Lächeln und lehnte sich gegen das Fenster neben Bernardine.»So ein Quatsch, wie?«
«Quatsch?«rief der ehemalige Agent des Deuxieme.»Es ist völlig verrückt! Wahnsinnig, unglaublich!«
«Aber es ist so.«»Ein Familienvater mit Kindern macht diese Arbeit?«
«Alex hat Ihnen nichts erzählt?«
«Wenn er es getan hätte, hätte ich es nicht geglaubt, für eine Tarnung gehalten… Sie haben wirklich eine Familie?«
«Zu der ich so schnell wie möglich zurückwill. Es sind die einzigen Menschen auf Erden, die ich wirklich liebe.«
«Aber Sie sind Jason Borowski, das Killer-Chamäleon!
Die abgebrühtesten Elemente der Unterwelt zittern vor Ihrem Namen! Borowski, nur vom Schakal übertroffen…«
«Nein! Er ist kein Problem für mich! Ich greife ihn mir! Ich töte ihn!«
«Schon gut, schon gut, mon ami«, sagte Bernardine ruhig und begütigend. Er starrte den Mann an, den er nicht verstehen konnte.»Was soll ich tun?«
Jason Borowski drehte sich um, und gegen die Scheibe gestützt, atmete er einige Augenblicke lang tief durch. Aus dem Nebel der Unentschlossenheit bildete sich eine Strategie heraus. Er schnellte herum und studierte die Gebäude auf der anderen Seite der dunklen Straße.»Die Polizei ist weg«, sagte er ruhig.
«Gut bemerkt.«
«Haben Sie auch bemerkt, daß niemand aus den beiden anderen Häusern herausgekommen ist? Obwohl in einer ganzen Anzahl von Fenstern Licht brennt?«
Bernardine hob die Augenbrauen, plötzlich konzentriert.»Aber es gab Gesichter an den Fenstern, mehrere Gesichter, ich habe sie gesehen.«
«Dennoch ist niemand herausgekommen.«
«Sehr verständlich. Die Polizei… Männer mit Waffen, die herumrennen. Am besten, sich zu verbarrikadieren. Nicht?«
«Selbst nachdem die Polizei und die Waffen und Wagen weg sind? Sie setzen sich alle ganz einfach wieder vor ihren