«Was ist mit den Kindern?«fragte sie mit erhobener Stimme.
«Alles in Ordnung, besser, als wir es erwarten konnten. Alex ist zum selben Schluß über den Schakal gekommen wie ich. Peter Holland fliegt sie allesamt zu einem sicheren Haus in Virginia, Mrs. Cooper eingeschlossen.«
«Gott sei Dank!«
«Alex sei Dank. «Borowski betrachtete den rosafarbenen Plastikbecher mit dem dünnen, blauen Löffel.»Was ist das denn bloß? Gab's kein Vanille?«
«Das ist ein Eisbecher mit Sirup, der eigentlich für den Mann neben mir gedacht war. Er hat seine Frau aber derart angeschrien, daß ich ihn genommen habe.«
«Ich mag keinen Sirup.«
«Dann schrei deine Frau doch auch an. Komm schon, wir müssen was zum Anziehen kaufen.«
Die frühe, karibische Nachmittagssonne brannte herab auf Tranquility Island, als John St. Jacques die Treppe zur Lobby hinunterging, in der rechten Hand eine Sporttasche. Er nickte Mr. Pritchard zu, mit dem er eben erst telefoniert und ihm erklärt hatte, daß er für einige Tage verreisen und sich wieder bei ihm melden würde, sobald er in Toronto sei. Die letzten verbliebenen Angestellten waren von seiner plötzlichen, äußerst dringenden Abreise unterrichtet worden, und er setzte volles Vertrauen in Mr. Pritchard. Faktisch wurde das Tranquility Inn vorübergehend geschlossen. Allerdings sollte man sich im Falle von Schwierigkeiten mit Sir Henry Sykes auf der großen Insel in Verbindung setzen.
«Es wird nichts geschehen, was meine Sachkenntnis überfordert!«hatte Pritchard erwidert.»Die Reparatur- und Wartungsleute werden während ihrer Abwesenheit genauso hart arbeiten wie sonst.«
St. Jacques ging durch die Glastüren des Rundbaus zur ersten Villa auf der Rechten, die der Steintreppe zum Pier und den beiden Stranden am nächsten gelegen war. Drinnen warteten Mrs. Cooper und die zwei Kinder auf die Ankunft des seetüchtigen Langstreckenhelikopters der United States Navy, der sie nach Puerto Rico bringen sollte, wo sie einen Militärjet zur Andrews Air Force Base außerhalb von Washington besteigen würden.
Durch die großen Scheiben beobachtete Mr. Pritchard, wie sein Arbeitgeber hinter der Tür von Villa eins verschwand. Im gleichen Moment hörte er das anschwellende Donnern der Rotoren eines großen Hubschraubers. Minuten später würde er über dem Wasser hinter dem Pier kreisen, herunterkommen und auf seine Passagiere warten.
Offensichtlich hatten diese Passagiere gehört, was auch er gehört hatte, dachte Mr. Pritchard, als er sah, wie St. Jacques, der nach der Hand seines jungen Neffen griff, und die unerträglich arrogante Mrs. Cooper, die ein in Decken gewickeltes Kind in ihren Armen hielt, aus dem Haus gelaufen kamen, gefolgt von zwei ihrer bevorzugten Wachen, die das Gepäck trugen. Pritchard langte unter den Tresen nach dem Apparat, mit dem man die Telefonzentrale umgehen konnte. Er wählte.
«Hier ist das Büro des stellvertretenden Direktors der Einwanderungsbehörde, selbst am Apparat.«
«Hochgeschätzter Onkel…«
«Bist du es?«unterbrach der Beamte des Flughafens von Blackburne, um dann mit gedämpfter Stimme zu fragen:»Was hast du herausgefunden?«
«Informationen von unschätzbarem Wert, das versichere ich dir. Ich habe alles mitgehört!«
«Man wird uns beide großzügig entlohnen, das weiß ich von höchster Stelle. Möglicherweise sind es Terroristen, weißt du, und St. Jacques selbst ist ihr Anführer. Könnte sein, daß sie sogar Washington zum Narren halten. Was kann ich melden, vortrefflicher Neffe?«
«Man bringt sie in ein, wie sie sagen, sicheres Haus in Virginia, bekannt als der Tannenbaum-Landsitz. Es hat seinen eigenen Flugplatz, kannst du so was glauben?«
«Ich glaube alles, was mit diesen Leuten zusammenhängt.«
«Denk daran, meinen Namen und meine Stellung zu erwähnen, hochgeschätzter Onkel.«
«Wie könnte ich das vergessen!? Wir werden die Helden von Montserrat sein!.. Aber, mein intelligenter Neffe, alles muß äußerst geheim bleiben. Wir sind zum Schweigen verpflichtet, vergiß das nie. Denk nur! Wir sind erwählt, einer großen, internationalen Organisation zu Diensten zu sein. Auf der ganzen Welt werden große Männer von unserem Beitrag erfahren.«
«Mein Herz platzt vor Stolz… Darf ich fragen, wie diese erhabene Organisation heißt?«
«Ruhig! Sie hat keinen Namen, das ist Teil der Geheimhaltung. Das Geld wurde per Bankcomputer direkt aus der Schweiz überwiesen, das ist der Beweis.«
«Ein heiliges Kartell«, fügte Mr. Pritchard hinzu.
«Das außerdem gut bezahlt, getreuer Neffe, und das ist erst der Anfang. Ich selbst überwache sämtliche Flugzeuge, die hier eintreffen, und schicke die Passagierlisten weiter nach Martinique, an einen berühmten Chirurgen. Im Moment sind allerdings alle Flüge auf Eis gelegt, auf Befehl der Regierung.«
«Der amerikanische Militärhubschrauber?«fragte der eingeschüchterte Pritchard.
«Ruhig! Auch das ist geheim, alles ist geheim.«
«Dann ist es ein ziemlich lautes und offensichtliches Geheimnis, mein hochgeschätzter Onkel. Die Leute stehen gerade am Strand und sehen es sich an.«
«Was?«
«Der Hubschrauber, er ist hier. Mr. St. Jacques und die Kinder steigen gerade ein. Außerdem diese entsetzliche Mrs. Cooper…«
«Ich muß sofort Paris anrufen«, ging der Beamte der Einwanderungsbehörde dazwischen und unterbrach die Leitung.
«Paris?«wiederholte Mr. Pritchard.»Wie anregend! In was für Kreisen wir uns doch bewegen!«
«Ich habe ihm nicht alles erzählt«, sagte Peter Holland leise und schüttelte den Kopf, während er sprach.»Ich wollte es — ich hatte es vor —, aber da war etwas in seinen Augen, sogar in seinen Worten. Er sagte, er würde es uns im nächsten Augenblick versauen, wenn es Borowski und seiner Frau helfen könnte.«
«Das würde er tatsächlich. «Charles Casset nickte. Er saß im Sessel vor dem Direktorenschreibtisch, den Computerausdruck einer längst abgelegten Geheimakte in der Hand.»Wenn Sie das hier lesen, werden Sie es verstehen. Alex hat vor Jahren in Paris tatsächlich versucht, Borowski zu töten, seinen engsten Freund.«
«Conklin ist gerade auf dem Weg nach Paris. Er und Morris Panov.«
«Das geht auf Ihre Kappe, Peter. Ich hätte ihn nicht weggelassen, nicht ohne ihn an der Leine zu haben.«»Ich konnte es ihm nicht abschlagen.«»Natürlich konnten Sie. Sie wollten es nicht.«»Wir sind ihm etwas schuldig. Er hat uns auf die Spur von Medusa gebracht, und von jetzt an, Charlie, ist das alles, was uns interessiert.«
«Ich verstehe, Direktor Holland«, sagte Casset kalt.»Und ich nehme an, daß wir uns aufgrund ausländischer Verwicklungen in die einheimische Verschwörung hineinarbeiten können, für die wir allerdings absolut wasserdichte Beweise in Händen halten sollten, bevor wir die Hüter unserer heimatlichen Harmonie, das Federal Bureau, alarmieren.«
«Drohen Sie mir etwa?«
«Allerdings, Peter. «Casset nahm den eisigen Ausdruck von seinem Gesicht, ersetzte ihn durch ein ruhiges, dünnes Lächeln.»Sie brechen das Gesetz, Herr Direktor…«
«Was wollen Sie von mir?«rief Holland.
«Schützen Sie einen der Ihren, einen der Besten, die wir jemals hatten. Ich möchte das nicht nur, ich bestehe darauf.«
«Wenn Sie glauben, ich würde ihm alles geben, auch den Namen der Anwaltskanzlei an der Wall Street, dann sind Sie vollkommen übergeschnappt. Das ist unser Grundpfeiler!«
«Um Himmels willen, gehen Sie zurück zur Navy, Admiral«, sagte der stellvertretende Direktor, die Stimme ruhig, wieder kalt, ohne besondere Betonung.»Wenn Sie glauben, daß ich
Ihnen das vorschlagen wollte, dann haben Sie in diesem Sessel nicht viel gelernt.«
«He, kommen Sie, Schlaumeier, ich bin immer noch Ihr Vorgesetzter.«