«Eine durchaus glaubhafte Erklärung und eine perfekte Tarnung«, stimmte Conklin zu und erwiderte Davids Blick.»Wir verfolgten die Spur zurück bis Tarn Quan und entdeckten, daß Borowski ein paranoider Abenteurer aus Tasmanien war, der in den Dschungeln von Nordvietnam Zuflucht gefunden hatte. Nirgends in diesem aufschlußreichen Dossier gab es den leisesten Hinweis auf eine Verbindung mit Washington.«
«Aber das ist doch alles gelogen, Alex. Es gab und gibt eine Verbindung zu Washington, und der Schakal weiß es. Er begriff es, als er dich und Mo Panov in Hongkong fand — eure Namen in den Ruinen jenes sterilen Hauses in der Victoria Peak fand, wo Jason Borowski angeblich in die Luft gesprengt worden war. Den letzten Beweis erhielt er vergangene Nacht, als seine Boten euch auf dem Smithsonian-Gelände ansprachen und — wie du dich ausgedrückt hast — >unsere Leute sehr sichtbar waren<. Endlich wußte er, daß alles, was er dreizehn Jahre lang vermutet hatte, wahr ist. Das Mitglied von Medusa, das man Delta nannte, war Jason Borowski, und Jason Borowski war eine Schöpfung des amerikanischen Geheimdienstes — und er ist noch am Leben. Am Leben und in einem Versteck, wo er von der amerikanischen Regierung geschützt wird.«
Conklin schlug mit der Faust auf seine Stuhllehne.»Wie hat er uns gefunden? Mich gefunden? Alles, alles lag unter einer schwarzen Decke. McAllister und ich hatten dafür gesorgt.«
«Ich könnte mir mehrere Möglichkeiten vorstellen, aber diese Frage können wir aufschieben. Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen uns dem zuwenden, was wir wissen, was Carlos weiß… Medusa, Alex.«
«Was? Wie zuwenden?«
«Wenn Borowski aus Medusa hervorging, folgt daraus, daß unsere Geheimagenten mit Medusa zusammenarbeiteten. Wie hätte sonst die Borowski-Geschichte gedreht werden sollen? Was der Schakal nicht weiß oder noch nicht herausgefunden hat, ist, wie weit diese Regierung zu gehen bereit ist, um Medusa unter Verschluß zu halten. Wie du schon gesagt hast, könnten sich ein paar sehr wichtige Leute im Weißen Haus und im Außenministerium die Finger verbrennen. Eine Menge Leute, die mit der Weltmacht spielen, könnten häßliche Flecken auf ihre weißen Westen bekommen.«
«Und plötzlich hätten auch wir ein paar Waldheims. «Conklin nickte mit gefurchter Stirn. Er sah zu Boden, wobei seine Gedanken sich offenbar mit rasender Geschwindigkeit durch sein Hirn bewegten.
«Shü Fu Nu«, sagte Webb im Flüsterton. Beim Klang der fernöstlichen Laute blickte Alex zu David auf.»Das ist der Schlüssel oder nicht?«fuhr Webb fort. »Shü Fu Nu… Schlangenlady.«
«Es ist dir eingefallen.«
«Erst heute früh«, entgegnete Jason Borowski mit kalten Augen.»Als Marie und die Kinder bereits in der Luft waren. Das Flugzeug verschwand im Nebel über dem Hafen von Boston, und da war ich plötzlich wieder dort. In einem anderen Flugzeug, in einer anderen Zeit, und die Worte krächzten aus einem Radio über den Äther. >Schlangenlady, Schlangenlady! Abbrechen… Schlangenlady, verstehen Sie mich? Abbrechen!< Ich antwortete, indem ich das verdammte Ding ausdrehte und mir die Männer in der Kabine ansah, die bei den Turbulenzen auseinanderzubrechen drohte. Ich studierte jeden einzelnen und fragte mich, ob dieser oder jener überleben würde, ob ich es überleben würde, und wenn nicht, wie wir sterben würden. Dann sah ich zwei der Männer ihre Ärmel hochkrempeln und ihre kleinen häßlichen Tätowierungen auf den Unterarmen miteinander vergleichen, diese lausigen kleinen Embleme, von denen sie so fasziniert waren…«
«Shü Fu Nu«, sagte Conklin klanglos.»Der Kopf einer Frau mit Schlangen als Haar. Das Haupt der Medusa. Die Schlangenlady. Du hast dich geweigert, tätowiert zu werden…«
«Ich betrachtete es nie als eine Auszeichnung«, unterbrach Webb Borowski blinzelnd.»Eher im Gegenteil.«
«Ursprünglich war es zur Identifizierung gedacht, nicht als Zeichen einer irgendwie gearteten Auszeichnung. Eine verschlungene Tätowierung auf der Unterseite des Unterarms. Das Muster und die Farben konnten nur von einem Künstler in Saigon hergestellt werden. Niemand konnte es kopieren.«
«Der alte Mann hat damals einen Haufen Geld damit gemacht.«
«Jeder Offizier im Hauptquartier, der Mitglied von Medusa war, trug diese Tätowierung. Sie waren verrückt danach wie Kinder auf die Zeichen einer Geheimschrift in einer Cornflakespackung.«
«Sie waren keine Kinder, Alex. Verrückt, ja, darauf kannst du deinen Arsch verwetten, aber keine Kinder. Sie waren von einem üblen Virus infiziert, genannt Unverantwortlichkeit, und im allgegenwärtigen Kommando Saigon ist mehr als eine Million gemacht worden. Die wirklichen Kinder wurden in den Dschungeln verstümmelt oder getötet, während im Süden eine Menge Leute in gebügelter Khakiuniform ihre persönlichen Kuriere zu den Banken in der Schweiz schickte.«
«Vorsicht, David. Du könntest von einigen sehr wichtigen Leuten in unserer Regierung reden.«
«Von wem zum Beispiel?«fragte Webb ruhig, mit dem Glas balancierend.
«Die, die ich kannte, die bis zum Hals im Dreck steckten, da habe ich, verdammt noch mal, dafür gesorgt, daß sie aus dem Verkehr gezogen wurden, als Saigon fiel. Aber meine Agentenzeit lag schon einige Jahre zurück, als das passierte. Und heute spricht niemand mehr viel über jene Monate und schon gar nicht über die Schlangenlady.«
«Aber du mußt doch ein paar Anhaltspunkte haben.«
«Sicher, aber nichts Konkretes, nichts, was sich auch nur annähernd beweisen ließe. Es gibt Indizien — einen bestimmten Lebensstil, Grundbesitz, den einige Leute nicht haben dürften,
Orte, an denen zu verkehren sie sich normalerweise nicht leisten könnten, Positionen in Unternehmen, Gehälter mit Aktienoptionen, die durch nichts gerechtfertigt sind.«
«Das klingt nach einem ganzen Netzwerk«, sagte David mit angespannter Stimme, der Stimme von Jason Borowski.
«Wenn es eins ist, dann ist es sehr dicht. Sehr exklusiv.«
«Mach doch mal eine Liste, Alex.«
«Sie hätte viele Lücken.«
«Dann zuerst nur von den wichtigen Leuten, von denen, die direkt im Kommando Saigon saßen. Vielleicht auch noch von denen mit Grundbesitz, den sie nicht haben sollten, oder denen mit unverständlich hochdotierten Posten im Privatsektor.«
«Ich wiederhole, jede derartige Liste könnte wertlos sein.«
«Nicht bei deinem Instinkt.«
«David, was hat das mit Carlos zu tun?«
«Einen Teil der Wahrheit, Alex. Einen gefährlichen Teil, das schwöre ich dir, aber idiotensicher und unwiderstehlich für den Schakal.«
Der CIA-Agent a. D. starrte seinen Freund verblüfft an.»In welcher Hinsicht?«
«Sei doch kreativ. Angenommen, du hast fünfzehn oder zwanzig Namen, dann müßten drei oder vier Treffer dabeisein, die wir auf die eine oder andere Weise identifizieren können müßten. Und wenn wir erst einmal herausgefunden haben, wer sie sind, werden wir Druck ausüben, sie auf verschiedene Weise ausquetschen, indem wir immer wieder dieselbe Botschaft übermitteln: Ein ehemaliger Medusa-Mann ist durchgedreht, ein Mann, der jahrelang gut aufgehoben war, und er ist dabei, die Schlangenlady zu erledigen, und er hat genügend Munition — Namen, Verbrechen, Orte, geheime Schweizer Konten —, den ganzen Mist. Dann — und das wird der Test für die Talente des heiligen Alex, wie wir ihn alle kennen und schätzen lassen wir verlauten, daß es jemanden gibt, der diesen gefährlichen, bösartigen Abtrünnigen noch lieber als sie erwischen würde.«
«Ilich Ramirez Sanchez«, ergänzte Conklin leise.»Carlos, der Schakal. Und was folgt, ist ebenso unmöglich: Irgendwie — nur Gott weiß, wie — lassen wir verlauten, daß ein Treffen der beiden interessierten Parteien möglich wäre. Das heißt also, interessiert an einer gemeinsamen Ermordung, wobei die eine Seite sich nicht aktiv daran beteiligen kann, dank der verletzlichen Natur der hohen öffentlichen Stellungen bestimmter Leute. Das meinst du doch, oder?«