Kapitel 31
«Hör auf, David!«
«Mein Gott, er ist verrückt geworden, Aleksej. Sergej, schnapp ihn dir, halt ihn fest… Du da, hilf Sergej! Legt ihn auf den Boden, damit ich mit ihm reden kann. Wir müssen schnell weg hier!«
Alles, was die beiden russischen Helfer tun konnten, war, den schreienden Borowski im Gras niederzuringen. Er war durch das herausgesprengte Loch in der Wand hinausgelaufen und in dem vergeblichen Versuch, den Schakal zu finden, ins hohe Gras hinausgerannt, hatte seine AK-47 ins Feld dahinter abgefeuert, bis das Magazin leer war. Sergej und der überlebende Russe aus der Rückendeckung waren ihm hinterhergerannt, einer hatte Jason die Waffe aus den Händen gerissen, und gemeinsam hatten sie den hysterischen Mann wieder zurück zum Gasthof geführt, wo Alex und Krupkin auf sie warteten. Borowski befand sich in schwitzender, unregelmäßig atmender Trance; die Männer gingen eilig zur Vorderseite des Restaurants. Und wieder hatte die unkontrollierbare Hysterie vom Chamäleon Besitz ergriffen.
Der Transporter des Schakals war verschwunden. Carlos war entkommen und Jason Borowski dem Wahnsinn nahe.
«Haltet ihn fest«, brüllte Krupkin, als er neben Borowski kniete und die beiden Helfer Jason an den Boden drückten. Der KGB-Offizier spreizte seine Hand über dem Gesicht des Amerikaners, stach ihm mit Daumen und Zeigefinger in die Wangen und zwang Treadstone Seventy-One, ihn anzusehen.
«Ich sage es nur einmal, Mr. Borowski, und wenn es dann nicht sitzt, können Sie hierbleiben und sehen, wie Sie aus der Sache rauskommen! Wir müssen weg hier. Wenn Sie sich zusammennehmen, haben wir innerhalb der nächsten Stunde von Paris aus Kontakt zu den entsprechenden Stellen Ihrer Regierung. Ich habe die Warnung an Sie gesehen, und ich kann Ihnen versichern, daß Ihre Leute in der Lage sind, Ihre Familie zu schützen… Aber Sie, Sie selbst, müssen Teil dieser Kommunikation sein. Sie können sich zusammennehmen, Mr. Borowski, oder zum Teufel gehen. Was ist Ihnen lieber?«
Das Chamäleon atmete aus, als wolle es nie wieder Luft holen. Seine Augen waren klar, und er sagte:»Holt diese Scheißkerle von mir runter.«
«Einer von diesen Scheißkerlen hat dir das Leben gerettet«, sagte Conklin.
«Und ich hab einem von denen das Leben gerettet.«
Der gepanzerte Citroen raste die Landstraße zur Autobahn nach Paris hinunter. Über das tragbare Telefon, das mit einem Signalverwürfler ausgestattet war, bestellte Krupkin ein Team nach Epernon, das die Reste des Wagens der russischen Rückendeckung entfernen sollte. Die Leiche des erschossenen Mannes war vorsichtig im Kofferraum des Citroen verstaut worden, und der offizielle sowjetische Kommentar, falls danach gefragt wurde, beschränkte sich auf Nichteinmischung: Zwei untergeordnete Angestellte des diplomatischen Dienstes seien zu einem Mittagessen auf dem Land gewesen, als das Massaker passierte. Mehrere Killer hätten Strumpfmasken getragen, die anderen seien kaum zu erkennen gewesen. Die Botschaftsmitarbeiter seien durch eine Hintertür entkommen und um ihr Leben gelaufen. Als es vorbei war, seien sie zum Restaurant zurückgekehrt, hätten die Opfer zugedeckt und versucht, die hysterischen Frauen und den einzigen überlebenden Mann zu beruhigen. Sie hätten ihre Vorgesetzten angerufen, um den gräßlichen Zwischenfall zu melden, und seien angewiesen worden, die örtliche Polizei zu informieren und umgehend in die Botschaft zurückzukehren. Die sowjetischen Interessen dürften durch Akte französischer Krimineller nicht gefährdet werden.
«Das klingt so russisch«, sagte Krupkin.
«Wird das irgend jemand glauben?«fragte Alex.
«Das ist egal«, antwortete der Sowjetbürger.»Epernon riecht nach einer Vergeltungsmaßnahme des Schakals. Der zerfetzte, alte Mann, zwei untergeordnete Terroristen mit Strumpfmasken— die Sürete kennt diese Indizien. Wenn wir darin verwickelt waren, dann auf der richtigen Seite, also werden sie nicht weiter nach unserer Anwesenheit fragen.«
Borowski saß schweigend am Fenster. Er brach sein wütendes Schweigen, nahm den Blick von der vorbeifliegenden Szenerie und schlug seine Faust gegen die Armlehne.»Oh, Gott, die Kinder!«rief er.»Wie nur hat dieser Scheißkerl überhaupt von ihrem neuen Aufenthaltsort erfahren können?«
«Verzeihen Sie, Mr. Borowski«, unterbrach ihn Krupkin sanft.»Ich bin mir darüber im klaren, daß es viel leichter für mich zu sagen als für Sie zu akzeptieren ist, aber schon sehr bald werden Sie Kontakt mit Washington haben. Ich weiß ein bißchen über die Fähigkeiten der CIA, ihre eigenen Leute zu beschützen, und ich garantiere Ihnen, daß es zum Verrücktwerden wirkungsvoll ist.«
«Es kann nicht so gottverdammt weit damit her sein, wenn Carlos so gut informiert ist.«
«Kommt auf die Quelle an«, sagte der Russe.
Sie schössen in der blendenden Nachmittagssonne durch die Straßen von Paris. Schließlich erreichten sie die sowjetische Botschaft am Boulevard Lannes und rasten durch das Tor, da die Wachen sie durchwinkten, als sie Krupkins grauen Citroen erkannten. Sie wendeten auf dem Kopfsteinpflaster des Hofes und hielten vor der imposanten Marmortreppe und dem mit Skulpturen verzierten Rundbogen, der den Eingang umgab.
«Halte dich verfügbar, Sergej«, sagte der KBG-Offizier.»Falls die Sürete direkte Nachfragen hat, übernimmst du das. «Und dann, als wäre es ihm gerade erst eingefallen, sagte er zu dem Russen, der neben Sergej saß:»Nichts für ungut, junger Mann, aber über die Jahre ist mein alter Freund und Fahrer in diesen Situationen äußerst einfallsreich geworden. Für Sie gibt es allerdings auch Arbeit. Bereiten Sie die Leiche unseres loyalen verstorbenen Kameraden für die Einäscherung vor. Die Abteilung für Interne Angelegenheiten wird Ihnen die entsprechenden Formulare aushändigen. «Mit einem Kopfnicken wies Dimitrij Krupkin Borowski und Alex Conklin an, auszusteigen.
Im Gebäude erklärte Dimitrij der Militärwache, daß ihm nicht daran gelegen sei, seine Gäste durch den Metalldetektor zu schicken, den die Gäste der sowjetischen Botschaft normalerweise zu passieren hatten. Zur Seite gewandt, flüsterte er seinen Gästen auf englisch zu:»Könnt ihr euch den Alarm vorstellen, der hier losgehen würde? Zwei bewaffnete Amerikaner von der brutalen CIA streunen durch die Hallen dieser Bastion des Proletariats? Gütiger Himmel, ich spüre schon den kalten Wind Sibiriens zwischen den Beinen.«
Sie gingen durch die geschmückte, reich verzierte Lobby aus dem neunzehnten Jahrhundert zu einem typischen messingvergitterten französischen Fahrstuhl. Sie traten ein und fuhren in den dritten Stock. Das Gitter öffnete sich, und Krupkin ging voraus.
«Wir werden einen hausinternen Konferenzraum benutzen«, sagte er.»Ihr werdet die einzigen Amerikaner sein, die ihn jemals gesehen haben oder sehen werden. Es ist eins der wenigen Büros ohne Abhöranlagen.«
«Du würdest diese Erklärung keinem Lügendetektor anvertrauen, oder?«fragte Conklin leise lachend.
«Genau wie du, Aleksej, habe ich schon vor langer Zeit gelernt, wie man diese idiotischen Maschinen zum Narren halten kann, aber selbst wenn es nicht so wäre, in diesem Fall hätte ich keine Bedenken, denn es ist wahr. Es hilft uns, uns vor uns selbst zu schützen. Hier entlang.«
Der Konferenzraum hatte die Größe eines durchschnittlichen Eßzimmers einer Stadtrandwohnung, war jedoch mit einem langen, schweren Tisch und dunklen, maskulinen Möbeln ausgestattet, die Sessel dick, sperrig und ziemlich bequem. Die Wände waren dunkelbraun getäfelt, das unumgängliche Portrait von Lenin demonstrativ in der Mitte hinter dem Sessel am Kopfende, neben dem ein niedriger Tisch stand, damit die Telefonkonsole in Griffnähe war.
«Ich weiß, daß es eilt«, sagte Krupkin, als er zur Konsole ging.»Also laßt uns gleich eine internationale Leitung schalten. «Er nahm den Hörer ab, drückte einen Knopf, sagte schnell etwas auf russisch, legte wieder auf und drehte sich zu den Amerikanern um.»Nummer sechsundzwanzig, der letzte Knopf rechts, zweite Reihe.«