«Unter den alten Männern macht die Nachricht die Runde, daß der Monseigneur ein paar Tage fort sein wird. Allerdings sollen sie alle weiter nach dem großen Amerikaner und seinem verkrüppelten Freund Ausschau halten und melden, wo sie gesehen werden.«
«Du mußt deinen Job gut gemacht haben.«»Als ich die Information an ihn durchgab, war er vollkommen still. Allerdings hörte man in seinem Atmen abgrundtiefen Abscheu, der mir die Knochen gefrieren ließ.«
«Er ist auf dem Weg nach Moskau«, sagte der Russe.»Zweifellos über Prag.«
«Was willst du jetzt tun?«
Krupkin warf den Kopf in den Nacken und richtete die Augen mit einem falschen, stillen Lachen auf die Decke. Dann sah er sie wieder an und antwortete ihr lächelnd.
«Moskau.«
Kapitel 33
Bryce Ogilvie, geschäftsführender Teilhaber von Ogilvie, Spofford, Crawford & Cohen, war stolz auf seine Selbstdisziplin. Damit meinte er nicht nur seine äußere Gelassenheit, sondern vor allem die kühle Ruhe, die er seinen tiefsten Ängsten in Krisenzeiten aufzuzwingen wußte. Als er jedoch vor kaum fünfzehn Minuten in sein Büro gekommen war und sein verstecktes Privattelefon geläutet hatte, hatte er den Stich einer bösen Vorahnung gespürt. Als er dann den schweren Akzent des sowjetischen Generalkonsuls von New York hörte, der umgehend eine Zusammenkunft verlangte, mußte er sich das plötzliche leere Gefühl in seiner Brust eingestehen… und als der Russe ihn anwies — ihm befahl in einer Stunde im Carlyle Hotel, Suite Vier-C, zu sein, und nicht an ihrem üblichen Treffpunkt Ecke 32. Straße und Madison Avenue, spürte Bryce einen siedend heißen Schmerz, der diesen Leerraum in seiner Brust erfüllte. Und als er der Plötzlichkeit der bevorstehenden, außerplanmäßigen Besprechung vorsichtig widersprochen hatte, war der Schmerz in seiner Brust zu einem Feuer ausgebrochen, dessen Flammen bei der Erwiderung des Russen seine Kehle hinaufwanderten:»Was ich Ihnen zu zeigen habe, wird Sie inbrünstig wünschen lassen, daß wir uns niemals kennengelernt hätten, geschweige denn einen Grund hätten, uns heute morgen zu treffen. Seien Sie da!«
Ogilvie lehnte sich in seiner Limousine zurück, so weit, wie die Polster sich zusammendrücken ließen, die Beine ausgestreckt, fest auf dem Teppichboden. Abstrakte, herumwirbelnde Gedanken an persönlichen Reichtum, Macht und Einfluß durchkreisten seinen Kopf. Er mußte sich in den Griff bekommen! Schließlich war er Bryce Ogilvie, der Bryce Ogilvie, und auf der Überholspur der Körperschafts- und
Antitrustgesetze wahrscheinlich nur noch von Randolph Gates in Boston übertroffen.
Gates! Der bloße Gedanke an diesen Scheißkerl war eine willkommene Ablenkung. Medusa hatte den gefeierten Gates um einen kleinen Gefallen gebeten, einen irrelevanten, absolut akzeptablen Termin bei einer ad hoc einberufenen, regierungsorientierten Kommission, und er hatte ihre Anrufe nicht einmal beantwortet! Anrufe, die von einer weiteren, absolut akzeptablen Quelle weitergegeben wurden, dem angeblich untadeligen, unbefangenen Chef des PentagonNachschubs, einem Arschloch namens General Norman Swayne, der nur die besten Informationen verlangte. Nun, vielleicht mehr als Informationen, aber davon konnte Gates nichts wissen… Gates? Am Morgen zuvor hatte in der Times etwas darüber gestanden, daß er sich aus einem aggressiven feindlichen Übernahmeverfahren zurückgezogen hatte. Worum mochte es sich dabei wieder handeln?
Die Limousine hielt vor dem Carlyle Hotel, früher einmal die bevorzugte Adresse der Familie Kennedy, jetzt die Lieblingszuflucht der Sowjets. Ogilvie wartete, bis der uniformierte Portier die linke hintere Tür des Wagens öffnete, bevor er auf den Gehsteig hinaustrat. Normalerweise hätte er nicht darauf gewartet, da er der Meinung war, daß diese Verzögerung eine unnötige Affektiertheit war, aber heute morgen tat er es. Er mußte sich in den Griff bekommen! Er mußte der eiskalte Ogilvie sein, den seine Gegenspieler fürchteten. Die Fahrt des Fahrstuhls in den vierten Stock ging schnell, der Weg über den blauen Teppich des Korridors zur Suite Vier-C weitaus langsamer. Der Bryce Ogilvie atmete tief und ruhig durch und stand aufrecht, als er auf die Klingel drückte. Achtundzwanzig Sekunden später, nachdem er bis zum Überdruß leise» eintausend, zweitausend «gezählt hatte, wurde die Tür vom sowjetischen Generalkonsul geöffnet, einem schlanken, mittelgroßen Mann, dessen Adlergesicht straffe, weiße Haut und große, braune Augen hatte.
Wladimir Sulikow war ein drahtiger, dreiundsiebzigjähriger Mann voller nervöser Energie, ein Gelehrter und ehemaliger Geschichtsprofessor an der Moskauer Universität, ein überzeugter Marxist und dennoch — seltsam genug, wenn man seine Stellung bedachte — kein Mitglied der Kommunistischen Partei. Er zog die passive Rolle des unorthodoxen Individuums innerhalb eines kollektivistischen Systems vor. Dies und sein einzigartig scharfer Verstand hatten ihm gute Dienste erwiesen. Man gab ihm Posten, auf denen konformistischere Männer nicht halb so effektiv gewesen wären. Die Kombination dieser Eigenschaften — zusammen mit seiner Hingabe an körperliches Training — ließ Sulikow zehn bis fünfzehn Jahre jünger aussehen, als er war. Für jeden, der mit ihm verhandelte, war er auf beunruhigende Weise präsent, denn irgendwie strahlte er die Weisheit aus, die er sich über die Jahre angeeignet hatte, und ebenso die jugendliche Lebenskraft, sie zur Wirkung zu bringen.
Die Begrüßung war knapp. Sulikow bot nur einen steifen, kalten Händedruck und einen hartgepolsterten Lehnsessel an. Er stand vor der schmalen Kamineinfassung aus weißem Marmor, als wäre sie die Tafel eines Klassenzimmers, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ein erregter Professor, der im nächsten Augenblick einen lästigen, streitsüchtigen Studenten gleichzeitig befragen und belehren wollte.
«Zur Sache«, sagte der Russe kurz angebunden.»Sie kennen Admiral Peter Holland?«
«Hab von ihm gehört. Er ist der Direktor der Central Intelligence Agency. Warum fragen Sie?«
«Ist er einer von Ihnen?«
«Nein.«
«Sind Sie ganz sicher?«
«Natürlich bin ich das.«
«Ist es möglich, daß er ohne Ihr Wissen einer von Ihnen wurde?«
«Mit Sicherheit nicht, ich kenne den Mann gar nicht. Und wenn das hier eine Art Amateurverhör sowjetischer Art sein soll, dann üben Sie sich an jemand anderem.«
«Ohhh, der feine, teure amerikanische Anwalt hat Einwände, einfache Fragen zu beantworten?«
«Ich verwehre mich dagegen, beleidigt zu werden. Sie haben mir am Telefon eine erstaunliche Mitteilung gemacht, die ich erklärt haben möchte, also kommen Sie bitte zur Sache.«
«Ich werde zur Sache kommen, Herr Rechtsanwalt, glauben Sie mir, aber auf meine eigene Weise. Wir Russen verteidigen unsere Flanken. Es ist eine Lektion, die wir aus der Tragödie und dem Triumph von Stalingrad gelernt haben — eine Erfahrung, die ihr Amerikaner niemals machen mußtet.«
«Ich war in einem anderen Krieg, wie Sie sehr wohl wissen«, sagte Ogilvie kühl,»aber wenn Ihre Geschichtsbücher stimmen, dann mußte Ihnen Ihr russischer Winter aus der Patsche helfen.«
«Das kann man Tausenden und Abertausenden russischer Leichen schwer erklären.«
«Zugegeben, und ihnen gehört mein Mitgefühl, aber das ist nicht die Erklärung, die ich haben wollte.«
«Wie man so sagt, junger Mann, es sind die schmerzlichen Lektionen der unerlebten Geschichte, die wir wiederholen werden… Sehen Sie, wir schützen unsere Hanken, und wenn wir den Verdacht haben, man hätte uns auf internationaler Ebene in Verlegenheit gebracht, dann stärken wir sie noch. Das sollte eine einfache Lektion sein für jemanden, der so gelehrt ist wie Sie, Herr Rechtsanwalt.«
«Und so offensichtlich wie trivial. Was ist mit Admiral Holland?«