Gestern nachmittag hatte er um ein kurzes Routinetreffen mit Ogilvie gebeten. Wahrend der ausgesprochen unschuldigen und sehr freundlichen Konferenz hatte Rodtschenko auf sein Stichwort gewartet — das ihn, entsprechend all seiner Nachforschungen, ans Ziel bringen würde.
«Sie verbringen Ihre Sommer in Cape Cod, da?« hatte der General gesagt.
«Ich hauptsächlich nur an den Wochenenden. Meine Frau und die Kinder sind die Saison über da.«»Als ich in Washington stationiert war, hatte ich in Cape Cod zwei großartige amerikanische Freunde. Ich habe mehrere wundervolle, wie sie sagen, Wochenenden mit ihnen verbracht. Vielleicht kennen Sie sie… die Frosts, Hardleigh und Carol Frost?«
«Natürlich. Er ist Anwalt wie ich, spezialisiert auf Seerecht.«
«Eine sehr attraktive Lady, Mrs. Frost.«
«Sehr.«
«Da. Haben Sie jemals versucht, ihren Mann für Ihre Kanzlei anzuwerben?«
«Nein. Er hat seine eigene. Frost, Goldfarb & O'Shaunessy.«
«Es kommt mir fast so vor, als würde ich Sie kennen, Mr. Ogilvie, wenn auch nur durch gemeinsame Freunde.«
«Schade, daß wir uns nie am Cape getroffen haben.«
«Nun, vielleicht kann ich Sie dennoch — angesichts unserer gemeinsamen Freunde — um einen Gefallen bitten, weit weniger groß als die Annehmlichkeiten, die meine Regierung Ihnen, soweit ich weiß, bereitwillig zukommen läßt.«
«Man hat mir zu verstehen gegeben, daß die Annehmlichkeiten auf Gegenseitigkeit beruhen«, sagte Ogilvie.
«Ahh, von solchen diplomatischen Angelegenheiten weiß ich nichts, aber es ist vorstellbar, daß ich in Ihrem Sinne intervenieren könnte, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten würden — mit meiner kleinen, wenn auch nicht unbedeutenden Abteilung.«
«Worum geht es?«
«Es gibt einen Priester, einen sozial desorientierten, militanten Priester, der behauptet, ein marxistischer Agitator, bei Gericht in New York City eine Berühmtheit zu sein. Er ist erst vor einigen Stunden hier eingetroffen und verlangt möglichst bald ein heimliches Treffen. Es gibt einfach keine Zeit, seine Behauptungen zu verifizieren, aber er besteht darauf, eine
Vorgeschichte von > Verfolgungen durch die Gerichte in New York, inklusive Fotos etcetera, in den Zeitungen zu haben. Vielleicht würden Sie ihn wiedererkennen.«
«Das könnte ich wahrscheinlich — wenn er derjenige ist, der er zu sein vorgibt.«
«Da! Und auf die eine oder andere Weise werden wir sicher verlauten lassen, wie Sie mit uns zusammengearbeitet haben.«
Es war arrangiert worden. Ogilvie sollte in der Menge in der Kathedrale des heiligen Basilius in der Nähe des Treffpunktes sein. Wenn er sah, daß Rodtschenko zu einem Priester zur Rechten des Altars ging, sollte er den KGB-General zufällig treffen — als wäre er überrascht. Ihre Begrüßung sollte knapp, ja geradezu unhöflich sein, so eilig und beiläufig, daß sie bedeutungslos erschien, die Art von Zusammentreffen, die zivilisierte, aber feindliche Bekannte nicht vermeiden können, wenn sie sich an einem öffentlichen Ort über den Weg laufen. Unmittelbare Nähe war nötig, da das Licht dort so trübe und derart voller Schatten sein würde, daß der Anwalt sonst wahrscheinlich keinen ordentlichen Blick auf den Priester würde werfen können. Ogilvie war mit der Gewandtheit eines perfekten Strafverteidigers aufgetreten, der den Zeugen der Anklage mit einer unzulässigen Frage in eine Falle lockt und dann ruft:»Ich ziehe die Frage zurück«, und den Staatsanwalt sprachlos dastehen läßt.
Der Schakal hatte sich sofort wütend abgewandt, aber erst nachdem eine korpulente, ältere Frau mit einer Minikamera im Griff ihrer Handtasche eine Reihe von Fotos mit einem Ultra-High-Speed-Film gemacht hatte. Dieser Beweis lag jetzt im Tresorraum von Rodtschenkos Büro.
Die Akte war betitelt mit:»Beschattung des Amerikaners B. Ogilvie«.
Auf der Seite unter dem Foto, das den Attentäter und den amerikanischen Anwalt zusammen zeigte, stand folgendes:»Objekt mit bisher nicht identifiziertem Kontakt bei geheimem Treffen in Kathedrale des heiligen Basilius. Treffen dauerte elf Minuten und zweiunddreißig Sekunden. Fotos zur möglichen Verifikation nach Paris geschickt. Es wird angenommen, daß es sich bei dem nicht identifizierten Kontakt um Carlos, den Schakal, handelt. «Selbstverständlich arbeitete Paris an einer Erwiderung, die mehrere Fotomontagen vom Deuxieme Bureau und der Sürete enthielt. Die Antwort:»Bestätigt. Definitiv der Schakal.«
Wie schockierend! Auf sowjetischem Boden! Dagegen hatte sich der Attentäter als weniger entgegenkommend erwiesen. Nach der kurzen, unangenehmen Konfrontation mit dem Amerikaner hatte Carlos seine eiskalte Befragung wiederaufgenommen, sein wildes, brennendes Ich nah unter der gefrorenen Oberfläche.»Sie sind Ihnen auf der Spur!«sagte der Schakal.»Wer?«
«Das Komitet.«»Ich bin das Komitet!«»Vielleicht täuschen Sie sich.«
«Im KGB geschieht nichts ohne mein Wissen. Woher haben Sie diese Information?«»Paris. Krupkin.«
«Krupkin würde alles tun, was ihm nützt, das Verbreiten von Fehlinformationen eingeschlossen, selbst was mich betrifft. Er ist ein Rätsel — im einen Moment ein tüchtiger, mehrsprachiger Geheimdienstoffizier, im nächsten ein schwatzhafter Clown in französischen Federn und immer wieder Zuhälter für reisende Minister. Man kann ihn nicht ernst nehmen, nicht, wenn es ernste Angelegenheiten betrifft.«
«Ich hoffe, Sie haben recht. Ich rufe Sie morgen an, am späten Abend. Sind Sie da zu Haus?«
«Nicht für einen Anruf von Ihnen. Ich werde im Lastotschka essen, allein, ein spätes Abendbrot. Was wollen Sie morgen tun?«
«Sichergehen, daß Sie recht haben. «Der Schakal war in der Menge der Kathedrale verschwunden.
Das war vor mehr als vierundzwanzig Stunden gewesen, und Rodtschenko hatte nichts gehört, was den Zeitplan durcheinandergebracht hätte. Vielleicht war der Psychopath nach Paris zurückgekehrt, irgendwie überzeugt davon, daß sein paranoider Verdacht grundlos war, sein Drang, in Bewegung zu bleiben, zu hetzen, durch ganz Europa zu fliegen… Wer konnte es wissen? Carlos war ein Rätsel. Ein Teil von ihm war ein geistig zurückgebliebener Sadist, ein Muster der düstersten Methoden der Grausamkeit und des Tötens, und dennoch offenbarte ein anderer Teil einen kranken, verdrehten Romantiker, einen hirngeschädigten Jugendlichen, der einem unerreichbaren Traum hinterherlief. Konnte ihn jemand verstehen? Doch die Zeit nahte, in der eine Kugel in seinem Kopf dem Rätsel ein Ende machen würde.
Rodtschenko hob seine Hand, um dem Kellner zu winken. Er wollte Kaffee und Brandy bestellen, den milden französischen Brandy, der den wahren Helden der Revolution vorbehalten war. Statt des Kellners kam der Geschäftsführer des Lastotschka an den Tisch gelaufen und trug ein Telefon bei sich.
«Das ist ein dringender Anruf für Sie, General«, sagte der Mann in dem weiten schwarzen Anzug und hielt den Plastikstecker der Verlängerungsschnur, den man in die Steckdose in der Wand drücken mußte.
«Danke. «Der Geschäftsführer ging, und Rodtschenko stellte die Verbindung her.»Ja?«
«Sie werden beschattet, wohin Sie auch gehen«, sagte die Stimme des Schakals.
«Von wem?«
«Ihren eigenen Leuten.«
«Ich glaube Ihnen nicht.«
«Ich habe es den ganzen Tag über beobachtet. Möchten Sie, daß ich Ihnen die Orte beschreibe, an denen Sie in den letzten dreißig Stunden gewesen sind? Angefangen mit den Drinks in einem Cafe an der Kalinin, einem Kiosk an der Arbat, im Slawjankij zu Mittag, einem Nachmittagsspaziergang über die…?«