«Hübsch gesagt«, antwortete der Anwalt vom Justizministerium lächelnd,»nur, daß dieser Satz ursprünglich von einem Engländer namens Blackstone stammt, Genosse.«
«Ich werde Ihre unerträgliche Anmaßung nicht weiter hinnehmen!«
«Das müssen Sie auch nicht, Genosse Priester, denn ich habe die Absicht zu gehen, und mein juristischer Rat an alle hier im Raum ist, das gleiche zu tun.«
«Sie wagen es?«
«Mit Sicherheit«, entgegnete der sowjetische Anwalt und gönnte sich einen amüsierten Augenblick, indem er in die Runde sah und lächelte.»Sonst würde ich mich vielleicht selbst anklagen müssen, und ich bin viel zu gut in meinem Job.«
«Das Geld!«kreischte der Schakal.»Ich habe Ihnen allen Tausende geschickt!«
«Wo ist das festgehalten?«fragte der Anwalt mit unschuldiger Miene.»Sie selbst haben sichergestellt, daß es nicht nachzuvollziehen ist. Papiertüten in Briefschlitzen oder Büroschubladen mit der Anweisung, sie zu verbrennen. Wer von unseren Bürgern würde zugeben, sie dort zurückgelassen zu haben? Da winkt einem Lubjanka… Auf Wiedersehen, Genosse Monseigneur«, sagte der Anwalt des Justizministeriums, schob seinen Stuhl zurück und ging zur Tür.
Einer nach dem anderen der versammelten Gruppe folgte dem Anwalt, so wie sie gekommen waren, und jeder einzelne drehte sich zu dem seltsamen Mann um, der ihr langweiliges Leben für kurze Zeit auf so bizarre Weise unterbrochen hatte, und jeder wußte instinktiv, daß er auf seinem Weg nichts als Ungnade und Gewalt finden würde. Den Tod.
Dennoch war keiner von ihnen vorbereitet auf das, was nun folgen sollte. Der Schakal drehte plötzlich durch. Innere Blitze elektrifizierten seinen Wahn. In seinen dunklen Augen brannte ein wildes Feuer das nur durch befreiende Gewalt gelöscht werden konnte — schonungslose, brutale, wütende Rache für all die Ungerechtigkeiten, die seinen reinen Absichten, die Ungläubigen zu töten, da angetan wurden! Der Schakal wischte die Dossiers vom Tisch und taumelte zum Stapel mit den
Zeitungen. Er riß die tödliche Waffe hinter dem Papier hervor und brüllte:»Stop! Alle!«
Niemand kam seiner Aufforderung nach, und die psychopathische Energie des Killers bestimmte den Augenblick. Carlos drückte wiederholt den Abzug, und die Männer und Frauen starben. Inmitten der Schreie zerschmetterter Opfer rannte der Attentäter nach draußen, sprang über die Leichen, sein Sturmgewehr auf Dauerfeuer, mähte die Gestalten auf der Straße um, stieß Flüche aus, verdammte die Ungläubigen in eine Hölle, die nur er sich vorstellen konnte.
«Verräter! Dreck! Abfall!«schrie der Wahnsinnige und rannte zu dem Wagen, den er sich vom Komitet und seiner unfähigen Beschattungseinheit angeeignet hatte. Der Morgen hatte begonnen.
Das Telefon des Metropol klingelte nicht, es brach aus. Verwirrt öffnete Alex Conklin die Augen, schüttelte sofort den Schlaf aus seinem Kopf und griff nach dem schrillen Gerät auf seinem Nachttisch.
«Ja?«verkündete er und fragte sich kurz, ob er den Hörer auch richtigherum hielt.
«Aleksej, bleib, wo du bist! Laß niemanden ins Zimmer und halt deine Waffen bereit!«
«Krupkin?… Wovon redest du?«
«In Moskau ist ein tollwütiger Hund los.«
«Carlos?«
«Er ist vollkommen verrückt geworden. Er hat Rodtschenko getötet und auch die beiden Männer abgeschlachtet, die ihm gefolgt sind. Ein Bauer hat ihre Leichen gegen vier Uhr heute morgen gefunden… Anscheinend haben ihn seine bellenden Hunde geweckt, der Wind hat den Blutgeruch zu ihnen hinübergeweht, nehme ich an.«
«Mein Gott, er ist durchgedreht… Aber warum glaubst du…?«
«Einer unserer Agenten wurde gefoltert, bevor Carlos ihn getötet hat«, unterbrach der KGB-Offizier, der die Frage erwartet hatte.»Er war unser Fahrer vom Flughafen, einer meiner Proteges und der Sohn eines Kameraden, mit dem ich mir auf der Universität ein Zimmer geteilt habe. Ein netter, junger Kerl aus einer klugen Familie, aber nicht für das ausgebildet, was er durchmachen mußte.«
«Du willst sagen, daß du glaubst, er könnte Carlos von uns erzählt haben. Richtig?«
«Ja… Aber es gibt noch mehr. Vor ungefähr einer Stunde wurden an der Wawilowa acht Leute von einer Maschinenpistole niedergemäht. Abgeschlachtet. Es war ein Massaker. Eine der Sterbenden, eine Frau aus dem Informationsministerium, eine Direktorin zweiter Klasse und Fernsehjournalistin, war aber nicht gleich tot und sagte, der Killer sei ein Priester aus Paris, der sich selbst >Monseigneur< nenne.«
«Mein Gott!«explodierte Conklin, warf seine Beine über die Bettkante und starrte abwesend auf den fleischigen Stumpf, an dem einmal ein Fuß gewesen war.»Das war sein Kader.«
«So sagt man, Vergangenheitsform«, sagte Krupkin.»Wie du dich erinnerst, habe ich dir gesagt, solche Rekruten lassen ihn beim ersten Anzeichen von Gefahr im Stich.«
«Ich werde Jason holen…«
«Aleksej, hör mir zu!«
«Was?«Conklin klemmte sich das Telefon unters Kinn, als er nach dem ausgehöhlten Prothesenstiefel griff.
«Wir haben eine taktische Angriffseinheit gebildet, Männer und Frauen in Zivilkleidung — sie bekommen gerade ihre Anweisungen und werden in Kürze bei euch sein.«»Sehr gut.«
«Wir haben das Hotelpersonal oder die Polizei nicht alarmiert.«
«Ihr wärt Idioten, wenn ihr das tun würdet«, ging Alex dazwischen.»Wir stellen uns darauf ein, den Scheißkerl hier zu schnappen! Was unmöglich wäre, wenn herum streunende Uniformen oder hysterische Angestellte zu sehen wären. Der Schakal hat seine Augen überall.«
«Tut, was ich sage«, befahl der Russe.»Laßt niemanden rein, bleibt von den Fenstern weg und trefft alle
Sicherheitsvorkehrungen.«
«Natürlich… Was meinst du damit, die Fenster? Er wird Zeit brauchen rauszufinden, wo wir sind… um die Zimmermädchen und die Kellner auszufragen.«
«Vergib mir, alter Freund«, unterbrach Krupkin,»aber ein engelsgleicher Priester, der sich an der Rezeption nach zwei Amerikanern erkundigt, einem mit einem auffällig lahmen Bein, im frühmorgendlichen Durcheinander in der Halle?«
«Guter Gedanke, auch wenn du paranoid bist.«
«Ihr wohnt in einem der oberen Stockwerke, und direkt gegenüber ist das Dach eines Bürogebäudes.«
«Du denkst außerdem ziemlich schnell.«
«Mit Sicherheit schneller als dieser Dummkopf vom Dserschinskij. Ich hätte dich schon längst angerufen, aber mein Kommissar Kartoschki da drüben hat mich erst vor zwei Minuten angerufen.«
«Ich werde Borowski wecken.«
«Seid vorsichtig!«
Conklin hörte die abschließende Warnung des Russen bereits nicht mehr. Er legte den Hörer auf und zog seinen Stiefel an, wobei er sich die Velcro-Riemen lose um seinen Unterschenkel legte. Dann öffnete er die Schublade des Nachtschränkchens und nahm die Graz-Burj a-Automatic heraus, eine speziell entwickelte KGB-Waffe mit drei Munitionsmagazinen. Die Graz war, wie allgemein bekannt, insofern einzigartig, als sie die einzige automatische Waffe war, auf die ein Schalldämpfer paßte. Das zylindrische Gerät war nach vorn in die Schublade gerollt. Er nahm es heraus und drehte es auf den kurzen Lauf. Schwankend stieg er in seine Hosen, schob sich die Waffe in den Gürtel und ging zur Tür hinüber. Er öffnete sie, hinkte hinaus und fand Jason vollständig angezogen am Fenster des verzierten Viktorianischen Wohnzimmers vor.
«Das muß Krupkin gewesen sein«, sagte Borowski.
«War er. Geh vom Fenster weg.«
«Carlos?«Borowski trat sofort zurück und drehte sich zu Alex um.»Er weiß, daß wir in Moskau sind?«fragte er, um noch hinzuzufügen:»Er weiß, wo wir sind?«
«Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Antwort auf beide Fragen >ja< lautet. «In knappen Statements gab Conklin Krupkins Informationen weiter.»Sagt dir das alles was?«fragte Alex, als er fertig war.