Krupkin hängte das Mikrofon zurück in die Halterung am Armaturenbrett.»Alles geht seinen Gang«, sagte er zögernd.»Wenn ich entweder mit einem wahnsinnigen Attentäter oder einem verdrehten Irren untergehen soll, der einen gewissen Anstand zeigt, nehme ich an, ist es das beste, letzteren zu wählen. Entgegen den erleuchtetsten Ungläubigen mag es am Ende doch einen Gott geben… Hättest du Interesse, ein Haus am Genfer See zu kaufen, Aleksej?«
«Ich vielleicht«, antwortete Borowski.»Wenn ich diesen Tag überlebe und tue, was ich tun muß, nennen Sie mir einen Preis.«
«He, David«, mischte sich Conklin dazwischen.»Marie hat das Geld verdient, nicht du.«
«Sie wird auf mich hören. Auf ihn.«
«Was jetzt, wer immer Sie sind?«fragte Krupkin.»Geben Sie mir aus Ihrem Kofferraum alle Waffen, die Sie haben, und lassen Sie mich kurz vor dem Arsenal unbemerkt raus. Geben Sie mir zwei Minuten, um in Stellung zu gehen, dann biegen Sie auf den Parkplatz ein und entdecken offensichtlich, sehr offensichtlich, daß der Wagen weg ist, und hauen schnell ab, mit heulendem Motor.«»Und lassen dich allein?«rief Alex.
«Das ist die einzige Möglichkeit für mich, ihn zu erwischen.«
«Wahnsinn!«stieß Krupkin mit mahlendem Unterkiefer aus.
«Nein, Kruppie, Realität«, sagte Jason Borowski schlicht und einfach.»Wie schon ganz zu Anfang. Einer gegen einen, das ist die einzige Möglichkeit.«
«Das sind die Worte eines Oberschülers!«polterte der Russe und schlug mit der Hand gegen die Rückseite des Sitzes.»Und was noch schlimmer ist: Es ist eine lächerliche Strategie. Wenn Sie recht haben, kann ich das Arsenal von tausend Soldaten umstellen lassen!«
«Was genau das wäre, was er will — was auch ich wollen würde, wenn ich Carlos wäre. Verstehen Sie denn nicht? Er könnte im Durcheinander entkommen, in der Masse der Leute — so was wäre für keinen von uns beiden ein Problem, das haben wir schon zu oft gemacht. Menschenmengen und Angst sind ein Schutz. Ein Messer in eine Uniform, die Uniform gehört uns. Wirf eine Granate in die Truppe, und nach der Explosion sind wir eines der schwankenden Opfer. Das ist ein Kinderspiel…«
«Und was glaubst du, kannst du alleine ausrichten, Batman?«fragte Conklin, während er wütend sein nutzloses Bein massierte.
«Den Killer jagen, der mich töten will, und ich werde ihn erwischen.«
«Scheiße, du bist größenwahnsinnig!«
«Du hast absolut recht. Das ist die einzige Möglichkeit in diesem Spiel, der einzige Vorteil, den man haben kann.«
«Wahnsinn!« schrie Krupkin.
«Auch die gesamte russische Armee könnte mein Überleben nicht sichern — sonst würde ich danach schreien. Aber sie könnte es nicht. Es gibt nur diese eine Möglichkeit… Stoppen Sie den Wagen, und lassen Sie mich die Waffen wählen.«
Kapitel 39
Die dunkelgrüne KGB-Limousine nahm die letzte Kurve der abfallenden Straße, die sich durch die Landschaft schnitt. Das Gefalle war gleichmäßig. Dahinter wurde das Land flach und sommergrün, mit Feldern voll von wildwachsendem Gras, das bis an die Zufahrt des klotzigen, braunen Gebäudes des Kubinka-Arsenals reichte. Das Arsenal war eine riesige, kastenförmige Störung der ländlichen Szenerie, ein häßlicher, von Menschenhand erbauter Eindringling aus schwerem, braunem Holz, mit mickrigen Fenstern, drei Stockwerke hoch und etwa achttausend Quadratmeter groß. Wie der Bau selbst war auch der Eingang groß, quadratisch und schmucklos, abgesehen von den schwerfälligen Reliefs über der Tür, die drei sowjetische Soldaten auf ihrem Weg in die tödlichen Stürme einer Schlacht zeigten, die Gewehre im Anschlag, bereit, dem Gegner die Köpfe wegzuschießen.
Bewaffnet mit einer russischen AK-47 und fünf dreißigschüssigen Standardmagazinen, sprang Borowski aus der abgewandten Seite des leisen, im Leerlauf dahinrollenden Regierungswagens und nutzte die Masse des Fahrzeugs, um sich im Gras auf der anderen Straßenseite gegenüber des Eingangs zu verstecken. Der riesige, unbefestigte Parkplatz des Arsenals lag rechts vom Gebäude, eine einzelne Reihe ungepflegter Büsche umrandete den vorderen Rasen, in dessen Mitte ein hoher, weißer Mast stand, an dem die sowjetische Flagge schlaff in der stillen Morgenluft hing. Jason rannte über die Straße und hockte sich mit gebücktem Körper neben die Hecke. Es blieben ihm nur Augenblicke, durch die Büsche zu sehen und sich ein Bild der Sicherheitsmaßnahmen im Arsenal zu machen. Rechts neben dem Eingang, ähnlich der Abendkasse eines Theaters, gab es eine Glasscheibe. Dahinter saß eine uniformierte Wache und las in einer Illustrierten. Neben ihr, schlechter zu sehen, aber dennoch deutlich genug, saß ein anderer Mann, den Kopf auf den Tisch gelegt, und schlief. In diesem Moment traten zwei weitere Soldaten aus dem riesigen Doppeltor hervor, beide lässig, unbeteiligt, von denen einer auf seine Uhr sah und der andere sich eine Zigarette ansteckte.
Das also waren Kubinkas Sicherheitsmaßnahmen. Weder erwartete man einen plötzlichen Überfall, noch hatte einer stattgefunden, zumindest keiner, der bei der Eingangswache Alarm ausgelöst hatte. Es war unheimlich, unnatürlich, unerwartet. Der Schakal befand sich innerhalb dieser militärischen Anlage, und dennoch gab es keinerlei Anzeichen dafür, daß er dort eingedrungen war, keinen Hinweis darauf, daß er irgendwo innerhalb dieses Komplexes mindestens fünf Leute in seine Hand gebracht hatte — einen Mann, der ihn darstellte, drei andere Männer und eine Frau.
Der Parkplatz selbst? Er hatte das Gespräch zwischen Alex, Krupkin und der Stimme aus dem Funkgerät nicht verstanden, aber jetzt war ihm klar, daß sie, als sie von Leuten gesprochen hatten, die herauskamen und zu dem gestohlenen Wagen liefen, nicht den Vordereingang gemeint hatten. Es mußte noch einen Ausgang am Parkplatz geben! Herrgott noch mal, ihm blieben nur Sekunden, bevor der Fahrer des KGB-Wagens den Motor anließ und auf den riesigen Parkplatz gedonnert kam, ihn umkreisen und wieder hinausrasen würde und beide Aktionen die Ankunft des Regierungsfahrzeugs und seine eilige, panikartige Abfahrt verkündeten. Wenn Carlos einen Fluchtversuch wagen wollte, dann würde dies der Moment sein! Jeder Augenblick, den er zwischen sich und das Arsenal brachte, würde es schwieriger machen, seine Spur aufzunehmen. Und er Delta one, die leistungsfähige Mordmaschine, war an der falschen Stelle! Es war ein kleines, dummes Mißverständnis! Drei oder vier zusätzlich übersetzte Worte und ein weniger arroganter eindringlicherer Zuhörer hätten den Irrtum vermieden. Es waren immer die kleinen Dinge, die scheinbar unbedeutenden, die graue Operationen zu schwarzen verpfuschten. Gottverflucht!
Aus hundertfünfzig Metern Entfernung donnerte plötzlich die KGB-Limousine heran, schleuderte auf den Parkplatz, wirbelte Wolken von trockenem Staub auf, wobei ihre rotierenden Reifen kleine Steine in alle Richtungen sprühten. Er hatte keine Zeit nachzudenken, nur Zeit zu handeln. Borowski hielt die AK-47 gegen sein rechtes Bein und verbarg sie, so gut es ging, als er sich erhob und die rechte Hand über die Oberseite der niedrigen Hecke fahren ließ — ein Gärtner vielleicht, der sich einen bevorstehenden Auftrag ansah, oder ein träger Spaziergänger, der ziellos die Büsche am Straßenrand berührte, nichts auch nur im entferntesten Bedrohliches. Für den zufälligen Beobachter mochte er diese Straße schon seit einigen Minuten hinuntergelaufen sein, ohne daß man ihn bemerkt hatte.
Er warf einen Blick zum Eingang des Arsenals hinüber. Die beiden Soldaten lachten leise, der Mann ohne Zigarette sah wieder auf seine Uhr. Dann kam das Objekt ihrer kleinen Verschwörung links aus einer Eingangstür, ein attraktives, dunkelhaariges Mädchen, kaum zwanzig. Sie legte zum Scherz beide Hände über die Ohren, schnitt ein groteskes Gesicht, ging eilig zu dem so sehr an der Zeit interessierten Mann in Uniform und küßte ihn auf die Lippen. Die drei hakten sich unter, die Frau in der Mitte, und gingen nach rechts, fort vom Eingang.