Borowski kämpfte sich auf die Beine und stolperte zur Komitet-Limousine hinüber, denn eine schreckliche Angst baute sich in ihm auf. Er sah durch die zerschossenen Scheiben, und sein Blick blieb am Vordersitz hängen, wo eine fleischige Hand erhoben wurde. Er riß die Tür auf und sah Krupkin, dessen großer Körper zwischen Sitz und Armaturenbrett eingeklemmt war, die rechte Schulter halb weggerissen, durch den Stoff seiner Jacke hindurch sah man heftig blutendes Fleisch.
«Wir sind verletzt«, sagte der KGB-Offizier schwach, aber ruhig.»Aleksej ein bißchen mehr als ich, also kümmern Sie sich erst um ihn, wenn Sie so nett wären.«
«Die Leute werden gleich aus dem Arsenal kommen…«
«Hier!«unterbrach ihn Krupkin, griff unter Schmerzen in seine Tasche und holte einen Plastikausweis hervor.»Gehen Sie zu dem diensthabenden Idioten und bringen Sie ihn her. Wir brauchen einen Arzt. Für Aleksej, Sie verdammter Dummkopf. Beeilen Sie sich!«
Die beiden verwundeten Männer lagen nebeneinander auf Untersuchungstischen im Krankenrevier des Arsenals, während Borowski auf der anderen Seite des Raumes stand, an der Wand lehnte und zusah, aber nicht verstand, was gesagt wurde. Drei
Ärzte waren per Hubschrauber vom Dach des
Volkskrankenhauses am Serowa Prospekt hergebracht worden, zwei Chirurgen und ein Anästhesist, von denen sich der letztere allerdings als überflüssig erwies. Schwere, tiefere Eingriffe waren nicht nötig. Lokale Betäubungen reichten für das Reinigen und Vernähen vollkommen aus, gefolgt von großzügigen Antibiotika-Injektionen. Die Fremdkörper hätten ihre Körper durchschlagen, erklärte der Chefarzt.
«Ich nehme an, Sie meinen Kugeln, wenn Sie so ehrfürchtig von Fremdkörpern sprechen«, sagte Krupkin.
«Er meint Kugeln«, bestätigte Alex heiser auf russisch. Conklin war wegen seines bandagierten Halses unfähig, den Kopf zu bewegen. Breite Klebestreifen reichten sein Schlüsselbein und die obere rechte Schulter hinunter.
«Sie haben beide Glück gehabt«, sagte der Chirurg,
«besonders Sie, unser amerikanischer Patient, für den wir vertrauliche medizinische Berichte verfassen müssen. Übrigens, geben Sie unseren Leuten den Namen und die Adresse Ihres Arztes in den Vereinigten Staaten. Sie werden noch einige Wochen Aufmerksamkeit brauchen.«
«Im Moment ist er in einem Krankenhaus in Paris.«
«Wie bitte?«
«Na ja, wenn irgendwas mit mir nicht stimmt, erzähle ich es ihm, und er schickt mich zu einem Arzt, den er für gut hält.«
«Ich wiederhole, Sie haben sehr viel Glück gehabt.«
«Ich war sehr schnell, Doktor, genau wie Ihr Genosse. Wir haben den Scheißkerl in unsere Richtung laufen sehen, also haben wir die Türen verriegelt, sind in Bewegung geblieben und haben auf ihn geschossen, als er versucht hat, nahe genug ranzukommen, um uns wegzupusten, was er verdammt noch mal beinahe geschafft hat… Um den Fahrer tut es mir leid. Er war ein mutiger, junger Mann.«
«Er war auch ein wütender, junger Mann, Aleksej«, unterbrach Krupkin vom anderen Tisch.»Diese ersten Schüsse aus dem Eingang haben ihn in den Bus geschickt.«
Die Tür des Krankenreviers schlug auf, was heißen soll, daß sie weniger geöffnet als vielmehr gestürmt wurde. Herein kam der erlauchte KGB-Kommissar aus der Wohnung in der Slawjankij. Der grobgesichtige Komitet-Offizier in seiner ungepflegten Uniform benutzte die groben Worte, die seinem Äußeren gerecht wurden.
«Sie«, sagte er zum Arzt.»Ich habe draußen mit Ihren Begleitern gesprochen. Sie sind hier fertig, sagen die.«
«Nicht ganz, Genosse. Es gibt noch ein paar kleinere Dinge zu tun wie therapeutische…«
«Später«, unterbrach der Kommissar.»Wir sprechen privat. Allein.«
«Das Komitet spricht?«fragte der Chirurg mit geringer, aber merklicher Unzufriedenheit.
«Es spricht.«
«Manchmal zu oft.«
«Was?«
«Sie haben mich gehört«, erwiderte der Doktor und ging zum Ausgang. Der KGB-Mann zuckte mit den Schultern und wartete darauf, daß sich die Tür hinter ihm schloß. Dann ging er zum Fuß der beiden Untersuchungstische, die blinzelnden, fleischigen Augen schössen zwischen den beiden verwundeten Männern hin und her. Schließlich stieß er ein einzelnes Wort aus: »Nowgorod!«
«Was?«
«Was…?«Die Reaktionen kamen gleichzeitig. Selbst Borowski stieß sich von der Wand ab.
«Sie«, fügte er hinzu und wechselte in sein begrenztes Englisch.»Verstehen, was ich sage?«»Wenn Sie das gesagt haben, von dem ich glaube, daß Sie es gesagt haben, dann ja, aber nur den Namen.«
«Ich erkläre gut genug. Wir verhören die neun Männer sowie Frauen, die er in Waffenlager eingesperrt. Er tötet zwei Wachen, die ihn nicht aufhalten, okay? Er nimmt Automobilschlüssel von vier Männern, benutzt aber kein Automobil, okay?«
«Ich habe gesehen, wie er zu den Wagen gegangen ist.«
«Welches? Drei andere Leute in Kubinka erschossen, Automobilpapiere weg. Welches?«
«Du meine Güte, fragen Sie Ihr Verkehrsamt, oder wie das bei Ihnen heißt.«
«Braucht Zeit. Außerdem in Moskau Automobile unter verschiedene Namen, verschiedene Nummernschilder Leningrad, Smolensk, wer weiß —, alle, damit man nicht findet Brecher von Automobilgesetz.«
«Wovon redet er?«rief Jason.
«Fahrzeugbesitz wird vom Staat geregelt«, erklärte Krupkin schwach.»Jede große Stadt hat ihre eigene Registrierung und weigert sich schon mal, mit irgendeinem anderen Zentrum zusammenzuarbeiten.«
«Warum?«
«Registrierung unter verschiedenen Familiennamen sogar Namen, die nicht aus der Familie sind. Es steht nur eine begrenzte Anzahl von Fahrzeugen zum Verkauf.«
«Und?«
«Bestechungen sind an der Tagesordnung. Niemand in Leningrad möchte, daß ein Bürokrat aus Moskau mit dem Finger auf ihn zeigt. Man wird Ihnen erklären, daß es mehrere Tage dauern könnte, um herauszufinden, welchen Wagen der Schakal fährt.«
«Das ist verrückt!«
«Das haben Sie gesagt, Mr. Borowski, nicht ich. Ich bin ein aufrechter Bürger der Sowjetunion, bitte denken Sie daran.«
«Aber was hat das alles mit Nowgorod zu tun?«
«Nowgorod. Tschto eto snatschit?« sagte Krupkin zu dem KGB-Beamten. In schnellem, abgehacktem Russisch gab der Bauern-Colonel seinem Kollegen aus Paris die relevanten Informationen. Krupkin drehte seinen Kopf und übersetzte ins Englische.
«Versuchen Sie, das zu fassen, Jason«, sagte er mit immer wieder schwächer werdender Stimme, da ihm das Atmen Schwierigkeiten bereitete.»Offensichtlich gibt es eine Galerie mit einem Rundgang über der Halle des Arsenals. Die hat er benutzt, hat Sie durch ein Fenster auf der Straße bei den Hecken gesehen, kam wieder in den Waffenraum gelaufen und hat geschrien wie der Wahnsinnige, der er ja ist. Er hat seine gefesselten Geiseln angeschrien, daß Sie ihm gehören und daß Sie schon tot sind… und daß es da nur noch eine Sache gebe, die er zu Ende bringen müsse.«