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Oh, Jesus, wer bin ich? Mo, hilf mir! Nein, Mo, lieber nicht! Ich bin, was ich sein muß. Ich bin kalt und werde immer kälter. Bald werde ich Eis sein… klares, durchsichtiges Eis, Eis, so kalt und klar, daß es sich überall bewegen kann, ohne gesehen zu werden. Kannst du nicht verstehen, Mo — und du auch, Marie —, ich muß! David muß abtreten. Ich kann ihn nicht gebrauchen.

Vergib mir, Marie, und vergib mir, Doktor, aber ich denke an die Wahrheit. Eine Wahrheit, der ich jetzt ins Angesicht sehen muß. Ich bin kein Idiot, und ich betrüge mich auch nicht selbst. Ihr beide wollt, daß ich Jason Borowski aus meinem Leben vertreibe, ihn für immer ins Jenseits entlasse, aber ich muß jetzt das Gegenteil tun.

Als er seine Einkäufe erledigt und alles bar und bei möglichst verschiedenen Angestellten bezahlt hatte, suchte er sich eine Toilette, in der er sich umziehen konnte. Danach würde er durch die Straßen Washingtons gehen, bis er einen versteckten Kanaldeckel gefunden hatte. Das Chamäleon war wieder da.

Es war 7.35 Uhr am Abend, als Borowski die Rasierklinge hinlegte. Er hatte alle Etiketten von seinen neuen Kleidern entfernt. Er hängte alles in den Schrank außer den Hemden, die er im Bad unter Dampf setzte, um ihnen den nagelneuen Geruch zu nehmen. Er ging zum Tisch, wo der Zimmerservice eine Flasche Whisky, Sodawasser und Eiswürfel hingestellt hatte.

Als er am Telefon vorbeiging, hielt er inne. So gerne hätte er Marie angerufen, wußte aber, daß er es nicht konnte, nicht vom Hotelzimmer. Daß sie und die Kinder sicher angekommen waren, war alles, was zählte; und das waren sie. Er hatte John St. Jacques vom Kaufhaus aus erreicht.

«He, David, sie sind in Sicherheit! Sie mußten beinahe vier Stunden lang über der Insel kreisen, bevor das Wetter aufklarte. Ich wecke Marie, wenn du willst, aber nachdem sie Alison gefüttert hatte, war sie todmüde.«

«Laß mal, ich rufe später an. Sag ihr, daß es mir gutgeht, und sorge für sie, Johnny.«

«Machen wir, Junge. Nun sag mir: Bist du okay?«

«Ich sagte schon, es geht mir gut.«

«Schon, du kannst es sagen, und sie kann es sagen, aber Marie ist nicht nur meine einzige Schwester, sie ist auch meine Lieblingsschwester, und ich weiß, wann sie beunruhigt ist.«

«Deshalb sollst du dich gut um sie kümmern.«

«Ich werde mit ihr sprechen müssen.«

«Behutsam, Johnny.«

Einige Augenblicke lang war er wieder David Webb gewesen, überlegte Jason jetzt, als er sich einen Drink eingoß. Das gefiel ihm nicht. Eine Stunde später jedoch war Jason Borowski wieder da und hatte im Mayflower mit einem Angestellten über seine Reservierung gesprochen, und der Nachtportier wurde geholt.

«Oh, ja, Mr. Simon«, hatte ihn der Mann enthusiastisch begrüßt.»Wir haben mitbekommen, daß Sie hier sind, um gegen diese schrecklichen Steuerrestriktionen bezüglich Geschäftsreisen und Vergnügen zu wettern. Die Politiker werden uns noch allesamt ruinieren! Es gab keine Doppelzimmer mehr, deshalb haben wir uns die Freiheit genommen, Ihnen eine Suite zur Verfügung zu stellen, ohne zusätzliche Kosten natürlich.«

Das war vor über zwei Stunden gewesen, und seitdem hatte er Etiketten entfernt, die Hemden gedämpft und die gummibesohlten Schuhe auf der Fensterbank des Hotels abgerieben. Mit dem Drink in der Hand saß Borowski im Stuhl und stierte gegen die Wand. Es gab nichts zu tun, als zu warten und nachzudenken.

Ein leises Klopfen an der Tür beendete sein Warten. Jason durchquerte schnellen Schrittes den Raum, öffnete die Tür und ließ den Fahrer herein, der ihn am Flughafen abgeholt hatte. Er trug einen Diplomatenkoffer, den er Borowski überreichte.

«Ist alles drin, einschließlich einer Waffe und Munition.«

«Danke.«

«Wollen Sie es überprüfen?«

«Werde ich heute nacht machen.«

«Es ist kurz vor acht«, sagte der Agent.»Ihr Kontrollmann wird gegen elf dasein. Das wird Ihnen Zeit lassen, sich vorzubereiten.«

Der Mann ging, und Borowski trat zum Tisch, auf dem der Aktenkoffer lag. Er öffnete ihn, nahm zuerst die Automatic und die Munitionsschachtel heraus und griff dann nach einigen hundert Computerausdrucken, die in Ordner geheftet waren. Irgendwo auf diesen zahllosen Seiten stand ein Name, der einen Mann oder eine Frau mit Carlos, dem Schakal, in Verbindung brachte. Es waren Informationen über jeden der gegenwärtigen Gäste, einschließlich derjenigen, die das Hotel in den vergangenen vierundzwanzig Stunden verlassen hatten. Die Namen waren durch jedwede Information ergänzt worden, die man in den Datenbänken der CIA, der G-2 der Armee und des Marinegeheimdienstes gefunden hatte. Es konnte zahlreiche Gründe geben, weshalb das alles vollkommen nutzlos war, aber der Anfang war gemacht.

Sechshundert Kilometer weiter nördlich, in einer anderen Hotelsuite, und zwar im dritten Stock des Ritz-Carlton in Boston, klopfte es ebenfalls leise an einer Tür. Ein außerordentlich großer Mann, dessen gutgeschneiderter, gestreifter Anzug ihn noch größer als die ohnehin knapp zwei Meter erscheinen ließ, kam daraufhin aus dem Schlafzimmer gelaufen. Sein fast kahler Kopf — das wenige Haar war silberfarben und perfekt geschnitten — erinnerte an die gesalbte graue Eminenz eines Königshofes. Sein Adlerblick, die erhabene Prophetenstimme und sein entschiedenes Auftreten unterstützten noch den Eindruck eines mächtigen Mannes. Obwohl seine Hast in diesem Moment eine gewisse Ängstlichkeit und Verwundbarkeit verriet, wurde das Bild seiner Dominanz dadurch nicht gemindert. Er war bedeutend und mächtig, und er wußte es. All das stand im Gegensatz zu dem älteren Mann, den er jetzt ins Zimmer eintreten ließ. Kaum etwas war an diesem kleinen, mageren, ältlichen Besucher hervorstechend — er war das Abbild eines Verlierers.

«Komm rein. Schnell! Hast du die Information?«

«Oh, ja, ja, wirklich«, antwortete der Mann mit dem grauen Gesicht, dessen zerknitterter Anzug und schlecht sitzender Kragen auch schon bessere Tage gesehen hatten.»Du siehst großartig aus, Randolph«, fuhr er mit dünner Stimme fort und schaute sich seinen Gastgeber und die opulente Suite genauer an.»Und wie großartig du hier wohnst!«

«Bitte, was hast du erfahren?«Dr. Randolph Gates von der Harvard-Universität, Experte für Antitrust-Gesetze und hochbezahlter Berater zahlreicher Unternehmen, war ungeduldig.

«Laß mir doch einen Augenblick Zeit, alter Freund. Es ist schon so lange her, daß ich auch nur in der Nähe einer solchen Hotelsuite war, geschweige denn drin… Ach, wie sich die Dinge für uns geändert haben mit den Jahren. Ich habe häufig von dir gelesen oder dich im Fernsehen gesehen. Du bist so gelehrt, Randolph, das ist das Wort, aber es ist nicht ausreichend. Vielmehr, was ich vorher sagte, >großartig<, das bist du, großartig und gelehrt. So elegant und gebieterisch.«

«Du hättest in derselben Position sein können, das weißt du«, unterbrach ihn Gates.»Dummerweise hast du nach Abkürzungen gesucht, wo es keine gab.«»Oh, es gab eine Menge. Leider nur die verkehrten.«»Ich nehme an, daß es dir nicht besonders gutgeht…«»Du nimmst es nicht an, du weißt es, Randy. Sieh mich an, wenn dich deine Spione nicht schon informiert haben.«»Ich habe einfach versucht, dich zu finden.«»Ja, das hast du auch am Telefon gesagt. Und das haben mir verschiedene andere Leute gesagt, Leute, die Dinge gefragt wurden, die nichts mit meinem Wohnort zu tun hatten.«

«Ich mußte wissen, ob du befähigt bist. Das kannst du mir nicht verübeln.«

«Um Himmels willen, nein. Nicht in Anbetracht dessen, was ich tun sollte. Oder besser: was ich dachte, daß ich tun sollte.«

«Nur als ein vertraulicher Bote agieren, das ist alles. Du hast doch gewiß nichts gegen das Geld?«

«Dagegen?«sagte der Besucher mit einem hellen, wohltönenden Lachen.»Ich will dir was sagen, Randy. Du kannst mit dreißig oder fünfunddreißig aus dem Anwaltsstand ausgeschlossen werden und mit einem blauen Auge davonkommen, aber wenn du mit fünfzig ausgeschlossen wirst und dein Prozeß landesweite Publizität bekommt und mit einer Gefängnisstrafe endet, dann würdest du staunen, wie schnell deine Chancen sinken — selbst für einen Gelehrten. Du wirst zu einem Unberührbaren, und ich war niemals besonders gut darin, etwas anderes als meinen Verstand zu verkaufen.«