«Mir gehen andere Dinge durch den Kopf.«
«Dessen bin ich mir sicher, und um die Wahrheit zu sagen: Du warst immer sehr großzügig, was meine Familie auf Kuba betraf, und ich danke dir dafür. Mein Vater und meine Mutter haben ihr Leben in Frieden und Behaglichkeit beschlossen. Natürlich waren sie erstaunt, aber soviel besser gestellt als alle, die sie kannten… Es war alles so verrückt: Revolutionäre, die von ihren eigenen revolutionären Führern hinausgeworfen wurden.«
«Du warst eine Bedrohung für Castro, genau wie Che. Es ist passiert.«
«Eine Menge Dinge sind passiert«, stimmte Enrique zu und betrachtete Carlos.»Du bist älter geworden, Ramirez. Wo ist das volle, dunkle Haar, und wo ist das gutaussehende, ausdrucksvolle Gesicht mit den klaren Augen?«
«Davon wollen wir nicht reden.«
«Also gut. Ich werde fett, du wirst dünn. Das sagt mir etwas. Wie schlimm bist du verwundet?«
«Für das, was ich vorhabe — was ich tun muß —, funktioniere ich noch gut genug.«
«Ramirez, was gibt es denn noch zu tun?«fragte der kostümierte Soldat plötzlich »Er ist tot! Moskau rühmt sich im Radio seines Todes, aber als du mich angerufen hast, wußte ich, daß der Ruhm dir gebührt. Jason Borowski ist tot! Dein Feind ist von dieser Welt verschwunden. Es geht dir nicht gut. Fahr wieder nach Paris zurück und kurier dich aus. Ich bring dich auf dem gleichen Weg wieder hinaus, auf dem du hereingekommen bist. Wir gehen nach >Frankreich<, und ich mache den Weg frei. Du wirst ein Kurier vom Kommandanten in >Spaniern und >Portugal< sein, der eine vertrauliche Botschaft zum Dserschinskij-Platz schickt. Es wird andauernd gemacht. Hier traut niemand irgend jemandem, besonders nicht seinen eigenen Wächtern. Du mußt nicht einmal das Risiko eingehen, auch nur eine einzige Wache zu töten.«
«Nein! Eine Lektion muß erteilt werden.«
«Dann laß es mich anders ausdrücken. Als du über deine Notfallkodes angerufen hast, habe ich getan, was du verlangt hast, denn im großen und ganzen hast du deine dreiunddreißig Jahre alten Verpflichtungen mir gegenüber erfüllt. Aber jetzt ist ein weiteres Risiko — Risiken, um genau zu sein — aufgetaucht, und ich bin nicht sicher, ob ich sie eingehen kann.«
«So redest du mit mir?« bellte der Schakal, als er die Jacke des toten Wachmannes auszog. Die sauberen, weißen Bandagen waren stramm gespannt und hielten seine rechte Schulter stabil. Verräterisches Blut war nicht zu sehen.
«Hör mit der Theatralik auf«, sagte Enrique sanft.»Wir kennen uns nun schon so lange. Ich spreche mit einem jungen Revolutionär, dem ich mit einem großartigen Athleten namens
Santos von Kuba gefolgt bin… Übrigens, wie geht es ihm? Er war die eigentliche Bedrohung für Fidel.«
«Es geht ihm gut«, antwortete Carlos mit tonloser Stimme.»Das Le Coeur du Soldat wird allerdings umziehen müssen.«
«Kümmert er sich immer noch um seine Gärten, seine englischen Gärten?«
«Ja, tut er.«
«Er hätte Landschaftsgärtner werden sollen oder Florist, glaube ich. Und ich hätte ein wunderbarer Agraringenieur werden können, ein Agronom, wie man so sagt. So haben Santos und ich uns kennengelernt, weißt du… Und dann kam die Politik mit ihrer Melodramatik und hat unser Leben verändert, nicht wahr?«
«Politisches Engagement hat es verändert. Die Faschisten haben es verändert.«
«Und jetzt wollen wir wie die Faschisten sein, und sie wollen das übernehmen, was an uns Kommunisten gar nicht so schlecht ist, und dann ein bißchen Geld austeilen — was nicht wirklich funktionieren wird, aber es ist eine angenehme Überlegung.«
«Was hat das mit mir zu tun, deinem Monseigneur?«
«Stinkende Scheiße, Ramirez. Wie du vielleicht weißt oder auch nicht, ist meine Frau vor ein paar Jahren gestorben, und ich habe drei Kinder auf der Universität in Moskau. Ohne meine Stellung wären sie nicht dort, und ich will, daß sie da auch bleiben. Sie werden Wissenschaftler, Ärzte… Siehst du, das sind die Risiken, von denen ich spreche. Ich habe mich bis zu diesem Augenblick im verborgenen gehalten, und du hast dir diesen Augenblick verdient — aber jetzt vielleicht nicht mehr. In ein paar Monaten werde ich in den Ruhestand gehen, und in Anerkennung meiner Dienstjahre in Südeuropa und dem Mittelmeer wird man mir eine wunderschöne Datscha am Schwarzen Meer zuteilen, wo mich meine Kinder besuchen können. Ich werde das Leben, das ich vor mir habe, nicht unnötig aufs Spiel setzen. Also drück dich präzise aus, Ramirez, und ich werde dir sagen, ob du allein bist oder nicht, ob du auf mich rechnen kannst… Ich wiederhole, dein Eindringen hier kann nicht bis zu mir zurückverfolgt werden, und wie gesagt, du hast es dir verdient, aber weiter bin ich möglicherweise nicht bereit zu gehen.«
«Ich verstehe«, sagte Carlos und ging zu dem Koffer, den Enrique auf dem Tisch der Sakristei abgestellt hatte.
«Ich hoffe, du akzeptierst es, und mehr noch, ich hoffe, du kannst es nachempfinden. In all den Jahren bist du auf eine Art und Weise gut zu meiner Familie gewesen, wie ich es nie sein konnte, aber andererseits habe ich dir so gut gedient, wie ich konnte. Ich habe dich zu Rodtschenko geführt, habe dir Namen aus Ministerien genannt, in denen es reichlich Gerüchte gab, Gerüchte, die Rodtschenko selbst für dich untersucht hat. Also, mein alter, revolutionärer Genosse, ich bin im Dienste deiner Sache auch nicht untätig gewesen. Allerdings stehen die Dinge jetzt anders. Wir sind keine jungen Unruhestifter mehr, auf der Suche nach Idealen, denn wir haben den Appetit auf Ideale verloren — du natürlich lange vor mir.«
«Mein Ideal bleibt das gleiche«, unterbrach der Schakal scharf.»Für mich und alle, die mir dienen.«
«Ich habe dir gedient…«
«Das hast du deutlich gemacht, ebenso wie meine Großzügigkeit dir und den Deinen gegenüber. Und jetzt, wo ich hier bin, fragst du dich, ob ich weiteren Beistand verdient habe, das ist es doch, oder?«
«Ich muß mich schützen. Warum bist du hier?«
«Ich habe es dir gesagt. Um eine Lektion zu erteilen, um eine Botschaft zu hinterlassen.«
«Das ist ein und dasselbe?«
«Ja. «Carlos öffnete den Koffer. Er enthielt ein grobes Hemd, eine portugiesische Fischermütze mit der entsprechenden, von einem Strick zusammengehaltenen Hose und einen Seesack mit Trageriemen.»Warum das?«fragte der Schakal.
«Die sind weit, und ich habe dich seit Jahren nicht gesehen, nicht seit Malaga in den frühen Siebzigern, glaube ich. Ich hätte dir nicht einfach Sachen nähen lassen können, und ich bin froh, daß ich es nicht versucht habe. Du bist nicht so, wie ich dich in Erinnerung hatte, Ramirez.«
«Du bist auch nicht viel kräftiger als in meiner Erinnerung«, konterte der Attentäter.»Ein bißchen dicker am Bauch vielleicht, aber wir haben immer noch die gleiche Größe, den gleichen Körperbau.«
«Ja? Und was bedeutet das?«
«Augenblick noch… Hat sich viel verändert, seitdem wir zusammen hier waren?«
«Ständig. Fotos treffen ein, und einen Tag später kommen die Bautrupps. Der Prado hier in >Madrid< hat neue Läden, neue Schilder, sogar ein paar neue Abwasserkanäle, weil sie auch im echten Madrid gerade ausgewechselt werden. Genauso sind >Lissabon< und die Piers entlang der Bucht und dem Tejo verändert worden, um den Neuerungen zu entsprechen. Wir sind immer noch authentisch. Die Kandidaten, die ihre Ausbildung abschließen, sind buchstäblich da zu Hause, wohin sie geschickt werden. Manchmal finde ich, das geht alles zu weit, und dann erinnere ich mich an meinen ersten Auftrag im Militärstützpunkt in Barcelona und daran, wie vertraut mir alles war. Ich konnte mich gleich an die Arbeit machen, denn die psychologische Orientierung hatte schon stattgefunden. Es gab keine großen Überraschungen.«