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«Das Erdbeben ist vorbei«, rief er auf russisch,»und auch wenn der Schaden beträchtlich ist und die Feuer die ganze Nacht über brennen werden, die Krise ist überstanden!.. Bleiben Sie am Ufer des Flusses, und unsere Genossen aus den Wartungstrupps werden ihr Bestes tun, um für das Nötigste zu sorgen… Das sind die Befehle von unseren Vorgesetzten, Genossen. Geben Sie uns keinen Grund, Gewalt anzuwenden, ich bitte Sie darum!«

«Welches Erdbeben?«rief ein Mann in den vorderen Reihen der panischen Menschenmenge. »Sie sagen, es ist ein Erdbeben, aber Sie haben Ihr Hirn in der Hose! Ich habe ein Erdbeben erlebt, und das hier ist kein Erdbeben. Das ist ein bewaffneter Angriff!«

«Ja, ja, ein Angriff!«

«Wir werden angegriffen!«

«Invasion! Das ist eine Invasion!«

«Öffnen Sie den Tunnel und lassen Sie uns raus, oder wir werden Sie niederschießen müssen! Öffnen Sie den Tunnel!«

Der Sprachchor der Protestierenden wuchs überall in der verzweifelten Menge, aber die Soldaten wichen keinen Schritt zurück, die Bajonette auf die Gewehre gepflanzt. Der Colonel fuhr mit verzerrter Miene fort, seine Stimme fast so hysterisch wie die rasende Menge.

«Hören Sie auf mich!«schrie er.»Ich sage Ihnen, was man mir gesagt hat: daß es ein Erdbeben ist, und ich weiß, daß es wahr ist, und ich werde Ihnen auch sagen, woher ich weiß, daß es wahr ist! Haben Sie einen einzigen Schuß gehört? Nur einen einzigen Schuß! Nein, das haben Sie nicht!.. Hier gibt es, wie in allen Lagern und jedem Sektor, Polizei und Soldaten und Trainer, die Waffen tragen. Ihre Befehle lauten, mit aller Macht jede unbefugte Gewaltanwendung einzudämmen, ganz zu schweigen von bewaffneten Invasoren! Trotzdem ist nirgendwo auch nur ein Schuß gefallen…«

«Was schreit er da?» fragte Borowski, zu Benjamin gewandt.

«Er versucht, sie zu überzeugen, daß es ein Erdbeben ist — oder war. Sie glauben ihm nicht. Sie glauben, es ist eine Invasion. Er sagt, das kann nicht sein, weil keine Schüsse gefallen sind.«

«Schüsse?«

«Niemand schießt auf irgend jemanden, und das würden sie mit Sicherheit tun, wenn es ein bewaffneter Angriff wäre. Keine Schüsse, kein Angriff.«

«Schüsse…?« Plötzlich packte Borowski den jungen Russen und drehte ihn um.»Sagen Sie ihm, er soll aufhören! Um Gottes willen, halten Sie ihn auf!«

«Was?«

«Er gibt dem Schakal die Eröffnung, die er haben will, die er braucht!«

«Wovon reden Sie?«

«Njet!« kreischte eine Frau, brach aus der Menge hervor und schrie den Offizier inmitten der Scheinwerferkegel an.»Die Explosionen sind Bomben! Sie kommen von oben, aus Bombern!«

«Das ist völlig verrückt«, rief der Colonel auf russisch.»Wenn es ein Luftangriff wäre, dann wäre der Himmel voll von unseren Kampfflugzeugen aus Belopol!.. Die Explosionen kommen aus der Erde, die Feuer aus der Erde, von den Gasen unten…«Das waren die letzten Worte, die der sowjetische Offizier jemals sagen sollte.

Eine abgehackte Salve von Schüssen aus einer automatischen Waffe platzte aus den Schatten des Parkplatzes am Tunnel hervor und warf den Russen zu Boden. Sein durchlöcherter Körper brach zusammen und fiel vom Dach des Wachlokals. Die ohnehin rasende Menge drehte durch. Der Rang uniformierter» amerikanischer «Soldaten verfiel, und wenn zuvor schon das Chaos regiert hatte, dann herrschte jetzt der nihilistische Pöbel. Der enge, umzäunte Eingang des Tunnels wurde gestürmt, Gestalten rannten ineinander, schlugen aufeinander ein, kletterten übereinander, hetzten in Massen zur Öffnung des Unterwassereingangs. Jason zog seinen jungen Trainer zur Seite, ohne den Blick vom Parkplatz zu wenden, der völlig im Dunkel lag.

«Können Sie die Tunnelmaschinerie bedienen?«rief er.

«Ja! Das kann jeder aus dem leitenden Stab! Gehört zu dem Job!«

«Die Eisentore, von denen Sie gesprochen haben?«

«Natürlich.«

«Wo ist der Mechanismus?«

«In der Wachstube.«

«Gehen Sie rein!«schrie Borowski, nahm eine Fackel aus seiner Feldjacke und gab sie Benjamin.»Ich hab noch zwei und zwei Granaten… Wenn Sie sehen, daß eine von meinen Fackeln über der Menge aufgeht, lassen Sie die Tore auf dieser Seite herunter, und zwar nur auf dieser Seite, verstanden?«

«Wozu?«

«Meine Regeln, Ben! Tun Sie es! Dann zünden Sie diese Fackel an und werfen Sie aus dem Fenster, damit ich weiß, daß das Gitter unten ist.«

«Was dann?«

«Etwas, das Sie vielleicht nicht tun wollen, aber tun müssen… Nehmen Sie die Siebenundvierziger des toten Colonels und drängen Sie die Menge, schießen Sie sie in die Straße zurück. Schnelles Feuer in den Boden vor ihnen oder über sie hinweg, tun Sie, was Sie tun müssen, auch wenn es bedeutet, daß Sie vielleicht ein paar von ihnen verwunden. Es muß um jeden Preis geschehen. Ich muß ihn finden, ihn isolieren, vor allem von allen anderen fernhalten, die versuchen rauszukommen.«

«Sie sind ein gottverdammter Irrer!«unterbrach ihn Benjamin mit hervortretenden Adern an den Schläfen.

«In diesem Augenblick bin ich der vernünftigste Mensch, den Sie jemals kennengelernt haben«, ging Borowski schroff dazwischen, während die panischen Bewohner von Nowgorod an ihnen vorbeihasteten.»Es gibt keinen zurechnungsfähigen General in der sowjetischen Armee, der Armee, die Stalingrad zurückerobert hat, der mir nicht zustimmen würde… Wir müssen ein paar Verluste in Kauf nehmen, nur so ist die große Katastrophe zu verhindern!«

«Sie verlangen zuviel! Diese Leute sind meine Genossen, meine Freunde. Es sind Russen. Würden Sie in eine Menge von Amerikanern feuern? Ein Zittern mit den Händen, zwei Zentimeter, fünf Zentimeter mit einer Siebenundvierziger, und ich könnte ein halbes Dutzend Menschen verstümmeln oder gar töten! Das Risiko ist zu groß!«

«Sie haben keine Wahl. Wenn der Schakal an mir vorbeigekommen ist — und ich werde es wissen, wenn es soweit ist —, dann werde ich eine Granate da reinwerfen und wahrscheinlich zwanzig von ihnen töten.«

«Sie Wahnsinniger!«

«Glauben Sie es ruhig, Ben. Ich kann es mir nicht länger leisten, daß Carlos lebt — die Welt kann es sich nicht leisten. Bewegung!«

Benjamin spuckte Borowski ins Gesicht, dann drehte er sich jedoch um und kämpfte sich den Weg zum Wachlokal und der Leiche des Colonels frei. Mechanisch wischte sich Jason mit dem Handrücken übers Gesicht, seine Konzentration ausschließlich auf den eingezäunten Parkplatz gerichtet. Seine Augen schössen von einem Schatten zum anderen und versuchten, den Ursprung der Schüsse einzukreisen, wenn er auch wußte, daß es unmöglich war. Der Schakal hatte seine Position inzwischen verändert. Jason zählte die Fahrzeuge neben dem Tanklastwagen. Neun waren am Zaun geparkt, zwei Kombis, vier Limousinen und drei Kleinbusse, allesamt in Amerika hergestellt, zumindest aber sahen Sie so aus. Carlos hatte sich hinter einem davon oder auch hinter dem Tanklastwagen versteckt, wobei letzteres eher unwahrscheinlich war, da er am weitesten vom offenen Tor im Zaun entfernt stand, das Zugang zum Wachlokal und somit zum Tunnel gewährte.

Jason hockte sich hin und kroch vorwärts. Er erreichte den hüfthohen Zaun, hinter ihm ein unaufhörliches, ohrenbetäubendes Pandämonium. Jeder Muskel und jedes Gelenk in seinen Armen und Beinen hämmerte vor Schmerz, überall bildeten sich Krämpfe! Denk nicht daran, nimm sie nicht wahr. Jason Borowski weiß, was zu tun ist. Vertrau ihm!

Aaaaah! Er warf seinen Körper über den Zaun. Der Griff seines Bajonetts bohrte sich ihm in die Nieren. Es gibt keinen Schmerz! Verschwinde, David… Hör auf Jason!

Die Suchscheinwerfer — jemand hatte irgendeinen Knopf gedrückt, und sie spielten verrückt, drehten sich im Kreis, abrupt, blendend, außer Kontrolle. Wohin würde Carlos gehen? Wo konnte er sich verstecken? Die Lichtstrahlen durchbohrten alles! Dann jagten zwei Polizeiwagen mit heulenden Sirenen durch eine Öffnung, die er von der anderen Seite des eingezäunten Geländes nicht hatte sehen können. Aus den Türen sprangen uniformierte Männer, und im Gegensatz zu allem, was er erwartet hatte, kämpften sie sich zum Rande des Zaunes hinter den Limousinen und Transportern vor, und einer nach dem anderen stürmte von einem Wagen zum nächsten bis zum offenen Tor, das zum Wachlokal und zum Tunnel führte. Die Welt schien zu zerbersten, die Zeit außer Kontrolle zu geraten, Menschen änderten ihre Natur. Die letzten vier Flüchtenden aus dem zweiten Wagen waren plötzlich drei, und nur Augenblicke später tauchte auch der vierte wieder auf, aber es war nicht derselbe! Die Uniform war nicht dieselbe! Sie hatte orangefarbene und rote Flecken, und die Schirmmütze war mit goldenen Streifen versehen, der Schirm selbst zu hervorstehend für die amerikanische Armee. Was war das?… Und plötzlich verstand Borowski. Bruchstücke seiner Erinnerung schraubten sich Jahre zurück nach Madrid, als er den Verträgen des Schakals mit den Falangisten nachgespürt hatte. Es war eine spanische Uniform! Das war es! Carlos hatte Nowgorod über das spanische Lager infiltriert, und da sein Russisch fließend war, benutzte er für seine Flucht die hochrangige Uniform. Jason sprang mit gezogener Automatic auf und rannte über den