Schotter des Platzes. Seine Linke griff in der Tasche seiner Feldjacke nach der vorletzten Fackel. Er riß am Zünder und schleuderte den flammenden Stab über die Autos hinweg. Benjamin würde sie vom Wachlokal aus nicht sehen und so auch nicht fälschlicherweise für das Signal halten können. Das Signal würde in Kürze kommen — in Sekunden vielleicht —, aber im Moment war es noch zu früh.
«Eto srotschno!« brüllte einer der flüchtenden Männer, fuhr herum und geriet beim Anblick der zischenden, blendenden Fackel in Panik. Ein anderer lief an dreien seiner Begleiter vorbei und rannte zu einem offenen Stück Zaun. Wahrend die Suchscheinwerfer weiter wie wahnsinnig herumwirbelten, zählte Borowski sieben Gestalten, die sich eine nach der anderen vom letzten Wagen abstießen und die Öffnung passierten, hinter der sie sich der aufgeregten Menge am Eingang des Tunnels anschlössen. Der achte Mann tauchte nicht auf. Die hochrangige spanische Uniform war nirgends zu sehen. Der Schakal saß in der Falle!
Jetzt! Jason holte seine letzte Fackel hervor, riß am Zünder und warf sie mit aller Kraft über den Strom vorbeihetzender Männer und Frauen hinweg zum Wachlokal. Tu es, Ben! schrie es in seinem Inneren, als er die vorletzte Granate aus der Tasche seiner Feldjacke zog. Tu es jetzt! Wie zur Antwort auf sein fieberhaftes Flehen kam ein donnerndes Krachen vom Tunnel, immer wieder hysterische Proteste, unterbrochen von Schreien und Kreischen und wehklagendem Chaos. Zwei schnelle, ohrenbetäubende Salven aus einer automatischen Waffe gingen unverständlichen Kommandos voraus, die über die Lautsprecher und auf russisch ausgegeben wurden… Noch eine Salve und die gleiche Stimme, lauter, noch bestimmender, und die Menge wurde für einen Moment lang deutlich leiser, um plötzlich wieder mit voller Lautstärke zu schreien. Borowski sah hinüber, erstaunt, durch die sich drehenden Scheinwerfer hindurch jetzt Benjamin auf dem Betondach des Wachlokals stehen zu sehen.
Der junge Trainer schrie ins Mikrofon, ermahnte die Menge, seinen Anweisungen zu folgen, wie sie auch sein mochten… Und was es auch war, sie wurden befolgt! Die Masse begann erst langsam, dann immer schneller die Richtung zu wechseln, dann rannte sie wie ein Mann zurück auf die Straße! Benjamin zündete seine Fackel an, winkte damit und deutete nach Norden. Er schickte Jason sein Signal. Er hatte nicht nur den Tunnel geschlossen, sondern auch die Menge zerstreut, ohne jemanden mit der AK-47 zu treffen. Es hatte eine bessere Möglichkeit gegeben.
Borowski ließ sich zu Boden fallen, seine Augen suchten die Unterseiten der Kleintransporter ab, und die sprühenden Flammen dahinter beleuchteten die freie Fläche… Ein Paar Beine — in Stiefeln! Hinter dem dritten Auto links, nicht weiter als zwanzig Meter von der Öffnung im Zaun entfernt. Carlos gehörte ihm! Das Ende war endlich in Sicht! Tu, was du tun mußt, und tu es schnell! Er ließ seine Waffe auf den Schotter fallen, nahm die Granate mit der rechten Hand, zog den Stift, packte die 45er mit der Linken, sprang auf und rannte vorwärts. Knapp zehn Meter vor dem Wagen warf er sich wieder auf den Schotter, drehte sich zur Seite und warf die Granate unter das Auto — und erst im letzten Augenblick, als die Bombe seine Hand schon verlassen hatte, wurde ihm klar, daß er einen furchtbaren Fehler gemacht hatte! Die Beine hinter dem Wagen bewegten sich nicht, die Stiefeln blieben stehen, denn sie waren nur das: Stiefel! Er hechtete nach rechts, rollte wutentbrannt über die scharfen Steine, schützte sein Gesicht, rollte seinen Körper so klein zusammen, wie er konnte. Die Explosion war ohrenbetäubend, die tödlichen Splitter verbanden sich mit dem Licht der Scheinwerfer im Nachthimmel, Metall- und Glasstücke stachen in Jasons Rücken und Beine. Bewegung, Bewegung! schrie die Stimme in seinem Kopf, als er im Rauch und Feuer des brennenden Autos auf die Knie kam, dann auf die Füße. Kaum stand er, platzte überall um ihn herum der Schotter auf. Im wilden Zickzack lief er in den Schutz des nächsten Fahrzeugs. Er war zweimal getroffen, an der Schulter und am Oberschenkel! Er fuhr in genau dem Augenblick an der Außenwand des Transporters herum, als die große Windschutzscheibe weggesprengt wurde.
«Du bist mir nicht gewachsen, Jason Borowski!«schrie Carlos, der Schakal, und seine Waffe spuckte Dauerfeuer.»Das warst du nie! Du bist ein Versager, ein Betrüger!«
«Gut möglich«, brüllte Borowski.»Dann komm und hol mich!«Er lief zur Fahrertür, riß sie auf und rannte zurück zum hinteren Ende des Wagens, wo er sich hinhockte, das Gesicht ans Blech gepreßt, den 45er Colt direkt neben seiner Wange angewinkelt. Mit einem letzten Zischen brannte die Fackel hinter dem Zaun aus, und der Schakal beendete sein Dauerfeuer. Borowski verstand. Carlos sah die offene Tür, unsicher, unentschlossen… nur noch Sekunden. Metall gegen Metall. Ein Kolben wurde gegen die Tür gerammt und schlug sie zu. Jetzt!
Jason wirbelte um die Ecke des Transporters, seine Waffe explodierte, feuerte in die spanische Uniform, schoß dem Schakal die Waffe aus den Händen. Eins, zwei, drei! Die Patronenhülsen flogen durch die Luft — und dann hörten sie auf! Sie hörten auf! Die Explosionen wurden von einem ekelerregenden, blockierten Klicken ersetzt, als eine Patrone in der Kammer steckenblieb. Carlos hechtete zu Boden, um seine Waffe wiederzubekommen, der linke Arm hing schlaff herunter und blutete, aber seine rechte Hand war noch voll funktionstüchtig.
Borowski riß das Bajonett aus seiner Scheide, machte einen Satz nach vorn und hieb mit der Klinge auf Carlos' Unterarm ein. Er kam zu spät! Carlos hielt seine Waffe bereits in der Hand! Jason sprang auf, seine linke Hand umfaßte den heißen Lauf — halt fest, halt ihn fest! Du darfst ihn nicht loslassen! Dreh ihn! Im Uhrzeigersinn! Nimm das Bajonett, nein, nicht! Laß es fallen! Nimm beide Hände! Die widersprüchlichen Kommandos prallten in seinem Kopf aneinander. Irrsinn! Er hatte keine Luft mehr, keine Kraft. Seine Augen konnten sich auf nichts konzentrieren… die Schulter. Wie Borowski selbst war der Schakal an der rechten Schulter verletzt!
Halt fest! Geh ihm an die Schulter, aber halt fest! Mit einem letzten, keuchenden Aufbäumen schoß Borowski nach oben und ließ Carlos in die Außenwand des Transporters krachen. Der Schakal schrie auf, ließ die Waffe fallen, dann trat er sie unter den Wagen.
Zuerst wußte Jason nicht, woher der Schlag kam. Er wußte nur, daß sich die linke Seite seine Schädels plötzlich in zwei Teile zu spalten schien. Dann merkte er, daß er der Urheber war. Er war auf dem blutverschmierten Schotter ausgerutscht und in den metallenen Kühlergrill des Transporters geknallt. Es war nicht von Bedeutung — nichts war von Bedeutung!