Er näherte sich dem Pandämonium der Schießgalerie, als er plötzlich die Luft anhielt und regungslos stehenblieb. Seine Augen fixierten einen großen, kahlköpfigen Mann etwa in seinem Alter, der ein gestreiftes Leinenjackett über der Schulter trug. Morris Panov! Er näherte sich der Schießgalerie von der entgegengesetzten Richtung! Warum? Was war geschehen? Conklin drehte blitzartig den Kopf in alle Richtungen, ließ seine Augen über Gesichter und Körper hinweggleiten. Instinktiv wußte er, daß er und der Psychiater beobachtet wurden. Es war zu spät, um Panov zu hindern, den inneren Bereich des Treffpunktes zu betreten, aber vielleicht nicht zu spät, sie beide hier herauszubekommen!
Der CIA-Agent im Ruhestand griff nach seiner kleinen automatischen Beretta unter der Jacke und drängte rasch vorwärts. Mit seinem Stock hieb er links und rechts in die Menge, gegen vorstehende Kniescheiben, Bäuche und Brüste und Hintern, bis die verblüfften Bummler schockierte Schreie ausstießen und es beinahe zu einem Tumult gekommen wäre. Er hechtete förmlich vorwärts, rammte mit seinem zarten Körper den verblüfften Doktor und schrie, das Geschrei der Menge übertönend, Panov ins Gesicht:»Was, zum Teufel, machst du denn hier?«
«Wahrscheinlich dasselbe, was du machst, David, oder sollte ich Jason sagen? So stand es im Telegramm.«
«Das ist eine Falle!«
Ein durchdringender Schrei übertönte den allgemeinen Lärm. Sowohl Conklin als auch Panov sahen zu der nur wenige Meter entfernten Schießgalerie hinüber. Eine beleibte Frau mit einem ausgemergelten Gesicht war in die Kehle geschossen worden. Die Menge drehte durch. Conklin wirbelte blitzschnell herum, um zu sehen, woher der Schuß gekommen war, aber die Panik war schon da. Er sah nur noch davonstürmende Menschen. Er packte Panov und schob ihn durch die schreiende, rasende Menge über den Mittelweg hinweg bis zu dem massiven Gerüst des Autoscooters am Ende des Parks, wo sich die Leute aufgeregt drängten.
«Mein Gott!«schrie Panov.»War das für einen von uns beiden gedacht?«
«Vielleicht… vielleicht auch nicht«, antwortete der ehemalige CIA-Agent atemlos, als Sirenen und Trillerpfeifen in der Ferne ertönten.
«Du sagtest, es wäre eine Falle!«
«Weil wir beide ein verrücktes Telegramm von David bekommen haben, in dem er einen Namen benutzt, den er fünf Jahre lang nicht benutzt hat — Jason Borowski! Und wenn ich mich nicht irre, dann stand in deinem auch, daß wir ihn unter keinen Umständen zu Hause anrufen sollten.«
«Richtig.«
«Es ist eine Falle. Du kannst besser laufen als ich, Mo, also setz dich in Bewegung. Nichts wie raus hier, wie der Teufel, und find ein Telefon. Eine Telefonzelle, um keine Spuren zu hinterlassen!«
«Was?«
«Ruf ihn zu Hause an! Sag David, daß er Marie und die Kinder schnappen und verschwinden soll!«
«Und?«
«Jemand hat uns gefunden, Mo! Jemand, der hinter Jason Borowski her ist, jemand, der jahrelang nach ihm gesucht hat und nicht eher Ruhe gibt, bevor er ihn nicht im Visier seiner Flinte hat. Du warst für Davids verdammten Schädel
verantwortlich, und ich habe in Washington Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihn und Marie lebend aus Hongkong herauszubekommen… Die Spielregeln sind verletzt worden, und man hat uns gefunden, Mo. Dich und mich! Die einzige offiziell registrierte Verbindung zu Jason Borowski, Adresse und Beschäftigung unbekannt!«
«Weißt du, was du da sagst, Alex?«
«Da kannst du Gift drauf nehmen… Es ist Carlos. Carlos, der Schakal. Verschwinde hier, Mo. Sieh zu, daß du deinen ehemaligen Patienten erwischst, und sag ihm, er soll abhauen!«
«Wohin soll er denn?«
«Ich habe nicht viele Freunde, schon gar keine, denen ich trauen kann. Aber du hast Freunde. Gib ihm den Namen von irgend jemandem, vielleicht von einem von deinen Ärztekumpeln, die dringende Anrufe von ihren Patienten bekommen, so wie ich dich immer angerufen habe. Sag David, er soll sich melden, wenn er in Sicherheit ist. Gib ihm einen Kode.«
«Einen Kode?«
«Jesses, Mo, benutze deinen Kopf! Einen Alias, einen Müller oder Meier… «
«Das sind ziemlich gewöhnliche Namen…«
«Dann Schickelhuber oder Moskowitz! Was du willst! Sag ihm nur, daß er uns wissen läßt, wo er ist.«
«Ich verstehe.«
«Und jetzt hau ab, aber geh nicht nach Hause! Nimm ein Zimmer im Brookshire in Baltimore unter dem Namen… Morris, Phillip Morris. Ich treffe dich später dort.«
«Was wirst du tun?«
«Etwas, was ich hasse… Ich werde mir ein Ticket für einen der verfluchten Autoscooter kaufen. Niemand wird einen Krüppel in so einer Kiste beachten. Sie jagen mir zwar höllische
Angst ein, aber es ist ein Ausweg, selbst wenn ich die ganze Nacht in dem verdammten Ding sitzen bleiben muß… Und jetzt verschwinde! Beeil dich!«
Der Wagen raste nach Süden über die Hügel von New Hampshire in Richtung Grenze von Massachusetts. Der Fahrer war von großer Gestalt mit einem scharf geschnittenen Gesicht. Seine Kinnbacken arbeiteten, und seine klaren, hellblauen Augen waren wütend. Neben ihm saß seine außergewöhnlich attraktive Frau. Ihre kastanienbraunen Haare leuchteten im Schein des Armaturenbretts rötlich. In ihren Armen hatte sie ein Kind, ein kleines Mädchen von acht Monaten; auf dem Rücksitz saß noch ein Kind, angeschnallt in einem tragbaren Kindersitz, ein blonder Junge von fünf Jahren, und schlief unter einer Decke.
Der Vater war David Webb, Professor für Orientalistik, aber früher einmal am berüchtigten Medusa-Projekt beteiligt, einer noch größeren Legende als Jason Borowski.
«Wir wußten, daß es passieren wird«, sagte Marie St. Jacques-Webb, Kanadierin von Geburt, von Beruf Ökonomin und durch Zufall Retterin von David Webb.»Es war nur eine Frage der Zeit.«
«Es ist wahnsinnig!«flüsterte David, um die Kinder nicht aufzuwecken.»Alles ist streng geheim, im Archiv mit der höchsten Sicherheitsstufe und dem ganzen Zinnober! Wie nur konnte irgend jemand Alex und Mo finden?«
«Wir wissen es nicht, aber Alex wird sich auf die Suche machen. Es gibt keinen Besseren als Alex. Hast du selbst gesagt… «
«Jetzt ist er gezeichnet — er ist ein toter Mann«, unterbrach Webb sie grimmig.
«Das ist voreilig, David. >Er ist der Beste, den es je gab<, das waren deine Worte.«
«Das einzige Mal, wo er es nicht war, das war vor dreizehn Jahren in Paris.«
«Weil du besser warst…«
«Nein! Weil ich meine Rolle nicht kannte, und er operierte mit älteren Daten, von denen ich keinen blassen Schimmer hatte. Er nahm an, ich wäre da draußen, aber ich hatte keine Ahnung, also konnte ich nicht nach seinen Vorstellungen handeln… Er ist immer noch der Beste. In Hongkong hat er uns beiden das Leben gerettet.«
«Dann sagst du dasselbe, was ich auch sage, oder nicht? Wir sind in guten Händen.«
«In denen von Alex, ja. Nicht in denen von Mo. Der arme, nette Kerl ist praktisch schon tot. Sie werden ihn schnappen und knacken!«
«Er wird eher sterben, als daß er irgend jemandem Informationen über uns gibt.«
«Trotzdem haben wir keine Chance. Mit Amytal bringen sie ihn zum Sprechen, sein ganzes Leben werden sie auf Band haben. Dann killen sie ihn und nehmen meine Spur auf… das heißt unsere, und deshalb müssen du und die Kinder in den Süden, ganz in den Süden. Die Karibik.«
«Wir schicken die Kinder, Liebling. Ich bleibe.«
«Hör auf! Das haben wir abgesprochen, als Jamie geboren wurde. Deshalb haben wir uns den Platz dort unten besorgt, deshalb haben wir deinem jüngeren Bruder die Hölle heiß gemacht, daß er uns was besorgt. Und er hat es verdammt gut gemacht. Wir besitzen die Hälfte eines florierenden Hotels an einer Schlammstraße auf einer Insel, von der nie irgend jemand was gehört hat, bevor dieser kanadische Hansdampf mit seinem Wasserflugzeug dort gelandet ist.«
«Johnny war immer der aggressive Typ. Vater hat einmal gesagt, daß er ein verkrüppeltes Kalb als erstklassigen Stier verkaufen könnte, ohne daß der Käufer es merkt.«