«Angelus Domini«, flüsterte er, kniete nieder und wiederholte die Worte, die er in den vergangenen fünfzehn Jahren mehrere hundertmal ausgesprochen hatte.
«Angelus Domini, Kind Gottes«, antwortete die verborgene Figur hinter dem schwarzen Gitter. Die Segnung war begleitet von einem leisen, rasselnden Husten.»Sind deine Tage angenehm?«
«Angenehmer gemacht durch einen Freund… mein Freund.«
«Was sagt der Doktor über deine Frau?«
«Er sagt zu mir, was er zu ihr nicht sagt, dank der Gnade von Jesus Christus. Es scheint, daß ich sie trotz allem überleben werde. Die verheerende Krankheit breitet sich aus.«
«Tut mir leid. Wieviel Zeit hat sie noch?«
«Einen Monat, nicht mehr als zwei. Bald wird sie im Bett bleiben müssen. Bald wird der Vertrag zwischen uns ungültig.«
«Warum das?«
«Sie werden mir gegenüber keine Verpflichtungen mehr haben, und ich akzeptiere das. Sie sind gut zu uns gewesen, und ich habe etwas gespart, und meine Bedürfnisse sind gering. Ehrlich gesagt, seit ich weiß, was mich erwartet, fühle ich mich entsetzlich müde.«
«Du unerträglicher, undankbarer Mensch!«flüsterte die Stimme hinter dem Beichtgitter.»Nach allem, was ich getan habe, nach allem, was ich dir versprochen habe!«
«Wie bitte?«
«Würdest du sterben für mich?«
«Natürlich, das ist unser Vertrag.«
«Dann, umgekehrt, wirst du auch leben für mich!«
«Wenn es das ist, was Sie wollen, werde ich es natürlich tun. Ich wollte Sie nur einfach wissen lassen, daß ich bald keine Last mehr für Sie sein werde. Ich kann leicht ersetzt werden.«
«Keine Frechheiten, nicht mit mir!«Der Zorn entlud sich in einem Husten, einem Husten, der das Gerücht, das sich in den Straßen von Paris ausbreitete, zu bestätigen schien. Der Schakal selbst war krank, vielleicht todkrank.
«Sie sind unser Leben, unsere Verehrung. Warum sollte ich?«
«Du hast es gerade getan… Nichtsdestoweniger, ich habe einen Auftrag für dich, der euch beiden den Weggang deiner Frau erleichtern wird. Du wirst in einem bezaubernden Teil der Welt Ferien machen, ihr beide zusammen. Du wirst dir das Geld und die Papiere am üblichen Ort abholen.«
«Wohin sollen wir gehen, wenn ich fragen darf?«»Auf die karibische Insel Montserrat. Die Anweisungen werden dir dort auf dem Flughaben von Blackburne ausgehändigt. Befolge sie genau.«
«Natürlich… Noch mal, wenn ich fragen darf, was ist meine Aufgabe?«
«Eine Mutter und zwei Kinder zu finden und dich mit ihnen anzufreunden.«»Und dann?«»Sie zu töten.«
Brendan Prefontaine, ehemaliger Bundesrichter am Obersten Bezirksgericht in Massachusetts, kam aus der Boston Five Bank mit fünfzehntausend Dollar in der Tasche. Es war eine berauschende Erfahrung für einen Mann, der in den vergangenen dreißig Jahren in knappen Umständen gelebt hatte. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte er kaum jemals mehr als fünfzig Dollar bei sich gehabt. Dies war ein besonderer Tag.
Aber es war noch mehr als das. Es war auch ein verwirrender Tag, weil er niemals nur einen Moment daran geglaubt hatte, daß Randolph Gates ihm eine nur annähernd so hohe Summe, wie er sie verlangt hatte, tatsächlich zahlen würde. Gates hatte einen großen Fehler gemacht. Denn indem er seiner Forderung nachgab, enthüllte er die Gewichtigkeit seines Unternehmens. Er hatte sich von einem rücksichtslosen, allerdings bislang nicht unbedingt verhängnisvoll machtgierigen Mann zu einem potentiell tödlich machtgierigen Menschen entwickelt. Prefontaine hatte keine Ahnung, wer die Frau und die Kinder waren, noch wie ihre Beziehung zu Lord Randolph of Gates waren, aber wer immer sie waren, Dandy Randy hatte nichts Gutes mit ihnen vor.
Ein untadeliger, zeusähnlicher Mann aus der Welt der Gesetze zahlt einem ausgeschlossenen, diskreditierten, unzumutbaren Alkoholiker und Gauner wie Brendan Patrick Pierre Prefontaine nicht eine so außergewöhnliche Geldsumme, weil seine Seele etwa von den himmlischen Erzengeln angehaucht worden wäre. Diese Seele war eher mit den Schülern des Luzifer. Und da dies offenbar der Fall war, könnte es für den» Gauner «profitabel sein, seine Kenntnisse zu vervollkommnen, denn wie das Sprichwort sagt, ist ein wenig Wissen eine gefährliche Sache — auch wenn meistens eher der Betroffene dieser Meinung ist als der, der sich im Besitz von ein paar leckeren Informationen befindet, die man geschickt aufblasen könnte. Fünfzehntausend heute könnten sich leicht in fünfzigtausend morgen verwandeln, wenn — wenn etwa der Gauner zur Insel Montserrat fliegen und ein paar Fragen stellen würde.
Außerdem, dachte der Richter, wobei der Ire in ihm kicherte, hatte er jahrelang keine Ferien gemacht. Guter Gott, man hatte genug zu tun, Körper und Geist beisammenzuhalten, wer konnte da an eine überflüssige Einschränkung der Geschäftstätigkeit denken?
Also hielt Brendan Patrick Pierre Prefontaine ein Taxi an, was er in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr getan hatte, und gab dem skeptischen Taxifahrer Louis Men Store in Faneuil Hall als Adresse an.
«Hast du im Lotto gewonnen, Alter?«
«Mehr als genug, um dir einen neuen Haarschnitt zu verpassen und die Akne in deinem pubertären Gesicht zu kurieren, junger Freund. Fahr zu, Ben Hur. Ich hab's eilig.«
Die Kleidung war von der Stange, aber sie war teuer, und erst als er einen Packen Hundertdollarnoten vorgewiesen hatte, wurde der Angestellte mit den violetten Lippen kooperativ. Ein Koffer mittlerer Größe aus poliertem Leder enthielt bald die unerwartete neue Garnitur, und Prefontaine tauschte seine abgetragenen Klamotten gegen neue Schuhe, Hemd und Anzug. In einer Stunde sah er einem Mann nicht unähnlich, den er vor vielen Jahren gekannt hatte, dem Honorable Brendan P. Prefontaine. Das zweite P. für Pierre hatte er schon länger aus nur ihm bekannten Gründen weggelassen.
Ein anderes Taxi fuhr ihn in seine Pension in Jamaica Plains, wo er ein paar wichtige Dinge einsammelte, darunter seinen Paß, den er immer für schnelle Abgänge bereit- und gültig hielt, und brachte ihn dann zum Flughafen, wobei dieser Fahrer keine Bedenken in bezug auf seine Zahlungsfähigkeit äußerte. Kleider machen niemals Leute, dachte Brendan, aber sie tragen dazu bei, zweifelnde Untergebene zu überzeugen. Von Boston aus flogen drei Fluggesellschaften Montserrat an. Er fragte nach dem nächstgelegenen Schalter und kaufte dort ein Ticket für den nächsten Flug.
Brendan Patrick Pierre Prefontaine flog natürlich erster Klasse.
Der Air France Steward schob den Rollstuhl langsam und vorsichtig über die Rampe in die 747 auf dem Pariser Flughafen Orly. Die gebrechliche Frau war ältlich und hatte zuviel Rouge aufgetragen. Sie trug einen übergroßen Hut mit australischen Kakadufedern. Sie hätte ihre eigene Karikatur sein können, wären da unter den grauen, unvollständig rot gefärbten Haarbüscheln nicht die großen Augen gewesen — lebendige und wissende Augen voller Humor. Es war, als wollten sie allen, die sie beobachteten, sagen: Vergeßt es, mes amis, er mag mich auf diese Weise und das allein zählt für mich. Ich gebe einen Haufen merde auf euch und eure Meinungen. Der, auf den sie sich bezog, ging vorsichtig an ihrer Seite, berührte ab und zu ihre Schulter, und in der Berührung lag sehr viel Poesie, die nur ihnen allein gehörte. Bei näherem Hinsehen konnte man hin und wieder Tränen in seinen Augen sehen, die er sogleich wegwischte, damit sie es nicht merkte.