«Du verstehst nicht, Johnny!«schrie Marie. Sie versuchte, ihre Stimme und ihre Emotionen unter Kontrolle zu bekommen, aber ihre weit aufgerissenen Augen straften ihren Versuch Lügen.»David hat das nie gesagt, David wußte es nicht einmal! Jason Borowski hat das gesagt, und er ist auch wieder da!.. Dieses eiskalt berechnende Monster, das sie geschaffen haben, ist wieder in Davids Kopf. Du weißt gar nicht, wie das ist. Ein Blick in diese in die Ferne gerichteten Augen, die Dinge sehen, die ich nicht sehe, oder der Ton in der Stimme, eine plötzlich ruhige, eisige Stimme, die ich nicht kenne, und plötzlich bin ich mit einem Fremden zusammen.«
St. Jacques hob seine freie Hand und bedeutete ihr aufzuhören.»Komm schon«, sagte er sanft.
«Die Kinder? Jamie…?«Sie sah sich gehetzt um.
«He, du. Was denkst du, wird David machen? In eine Vase der Wing- oder Ming-Dynastie klettern und so tun, als ob seine Frau und seine Kinder nicht in Gefahr seien, sondern nur er? Ob ihr Ladies es mögt oder nicht, wir Männer glauben immer noch, daß es unsere Aufgabe ist, die wilden Tiere von der Höhle fernzuhalten. Wir sind wirklich der Meinung, daß wir dafür besser gerüstet sind.«
«Seit wann ist mein kleiner Bruder so philosophisch?«fragte Marie.»Das ist keine Philosophie, Mädchen, das weiß ich einfach. Die meisten Männer wissen es — die feministische Menge möge es verzeihen.«
«Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Die meisten von uns wollen es auch gar nicht anders. Würdest du glauben, daß deine große, gebildete Schwester, die eine Menge Meriten in Wirtschaftswissenschaft in Ottawa errungen hat, immer noch schreit, wenn sie eine Maus in der Küche unseres Landhauses sieht und in Panik ausbricht, wenn es eine Ratte ist?«
«Sicherlich sind intelligente Frauen ehrlicher diesbezüglich.«
«Ich akzeptiere, was du sagst, Johnny, aber du verstehst nicht, was ich meine. David ist es so gutgegangen in den vergangenen fünf Jahren, jeden Monat ein bißchen besser als zuvor. Er wird niemals vollständig geheilt werden, das wissen wir alle, dazu war der Schaden zu groß, aber die Furien, seine persönlichen Furien, waren fast verschwunden. Die einsamen Spaziergänge im Wald, von denen er mit blutenden Händen nach Hause kam, weil er gegen Bäume angegangen war, die stillen, unterdrückten Tränen abends, wenn er sich nicht entsinnen konnte, was er einmal war oder was er getan hatte, wobei er von sich selbst das Schlimmste annahm — das war vorbei, Johnny! Es gab wirklich Hoffnung, verstehst du, was ich meine?«»Ja, sicher«, sagte der Bruder.
«Was jetzt passiert, das könnte alles wieder zurückkommen lassen, und das macht mir solche Angst!«»Dann laß uns hoffen, daß es schnell vorbei ist. «Marie hielt inne und sah wieder ihren Bruder an.»Halt meine Hand, kleiner Bruder, ich kenne dich zu gut. Du ziehst dich zurück.«»Kein bißchen.«
«Doch, du tust es… Du und David, ich hab das nie verstanden. Unsere beiden älteren Brüder sind so solide, haben alles so gut im Griff, vielleicht nicht intellektuell, aber pragmatisch. Dennoch hat er sich dir zugewandt. Warum, Johnny?«
«Laß das doch«, sagte St. Jacques und entzog seiner Schwester die Hand.
«Aber ich muß es wissen. Dies ist mein Leben, er ist mein Leben! Es darf keine Geheimnisse geben, was ihn auch betrifft. Ich kann das nicht mehr ertragen! Warum du?«
St. Jacques lehnte sich in seinem Stuhl zurück und bedeckte mit seinen gestreckten Fingern die Stirn. Er hob den Blick, der eine unausgesprochene Bitte ausdrückte.»Erinnerst du dich, als ich vor sechs oder sieben Jahren die Farm verließ, weil ich meinen eigenen Weg gehen wollte?«
«Natürlich. Ich glaube, das hat damals unseren guten Eltern das Herz gebrochen. Es war nicht zu ändern, du warst immer eine Art Liebling…«
«Ich war immer das Kind!«unterbrach der jüngste St. Jacques.»Der immer seine schwachsinnige Bonanza-Rolle spielte, während meine dreißigjährigen Brüder ergeben Befehle vom allwissenden, bigotten französisch-kanadischen Vater entgegennahmen, dessen einzig angenehme Seite sein Geld und sein Land war.«
«Er hatte noch andere Seiten, aber ich will die Eindrücke eines >Kindes< nicht bestreiten.«
«Könntest du auch nicht, Marie. Du hast es genauso gemacht wie ich, und manchmal bist du ein Jahr lang nicht nach Hause gekommen.«
«Ich war beschäftigt.«
«Ich auch.«
«Was hast du gemacht?«
«Ich habe zwei Männer getötet. Zwei Schweine, die meine Freundin umgebracht hatten — vergewaltigt und umgebracht.«
«Was?«
«Sprich leise…«
«Mein Gott, was war passiert?«
«Ich wollte nicht zu Hause anrufen, also rief ich deinen Mann an… meinen Freund, der mich nicht wie ein Kind mit einem Hirnschaden behandelte. Damals schien es mir nur logisch zu sein, und es war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Die Regierung schuldete ihm Dank, und ein ausgezeichnetes Team flog von Washington und Ottawa nach James Bay, und ich wurde freigesprochen. Notwehr, und das war's.«
«Er hat niemals nur ein Wort davon zu mir gesagt…«
«Darum habe ich ihn gebeten.«
«Also deswegen — aber ich verstehe es immer noch nicht.«
«Es ist nicht schwer, Marie. Ein Teil von ihm weiß, daß ich töten kann, töten werde, wenn ich glaube, daß es notwendig ist.«
Drinnen im Haus ging das Telefon. Marie starrte ihren Bruder an. Bevor sie ihre Stimme wiedergefunden hatte, kam eine ältere schwarze Frau durch die Tür von der Küche.
«Es ist für Sie, Mr. John. Es ist der Pilot von der großen Insel drüben. Er sagt, es sei sehr wichtig.«
«Danke, Mrs. Cooper«, sagte St. Jacques, stand auf und lief schnell zum Nebentelefon am Pool. Er sprach einige Augenblicke, sah dann Marie an, warf den Hörer auf die Gabel und kam zu seiner Schwester gerannt.»Pack ein, du mußt schnell weg!«
«Warum? War es der Mann, der uns geflogen hat?«
«Er ist aus Martinique zurück und hat erfahren, daß jemand in der vergangenen Nacht am Flughafen Fragen über eine Frau und zwei Kinder gestellt hat. Niemand von der Crew hat etwas gesagt, aber wer weiß, wie lange… Schnell.«
«Mein Gott, wo soll ich hin?«
«Rüber ins Hotel, bis wir uns etwas ausgedacht haben. Es gibt nur eine Straße dorthin, und meine eigenen >Tontons Macoutes< bewachen sie. Da kommt niemand rein oder raus. Mrs. Cooper wird dir mit Alison helfen. Beeil dich!«
Das Telefon klingelte schon wieder, und Marie rannte durch die Schlafzimmertür. St. Jacques stürzte die Treppe zum Nebentelefon am Pool hinunter, als Mrs. Cooper nochmals aus der Küche kam.»Es ist die Regierung drüben in Serrat, Mr. John.«
«Was, zum Teufel, wollen die denn?«
«Soll ich sie fragen?«
«Nein, nein, ich geh ran. Hilf meiner Schwester mit den Kindern, und pack alles, was sie mitgebracht haben, in den Rover. Sie fahren sofort ab!«
«Oh, wie furchtbar. Ich habe mich so über das kleine Baby gefreut.«
«Furchtbar, das stimmt«, murmelte St. Jacques, als er nach dem Hörer griff.»Ja?«
«Hallo, John?«sagte der Erste Assistent des Gouverneurs der Kronkolonie, ein Mann, der sich mit dem kanadischen Entwicklungshelfer angefreundet hatte und ihm behilflich gewesen war, sich durch den Paragraphendschungel der Kolonie hindurchzufinden.
«Kann ich dich zurückrufen, Henry? Ich bin im Moment ziemlich in Eile.«
«Ich fürchte, dafür ist keine Zeit, alter Junge. Das ist direkt vom Außenministerium. Sie wollen unsere sofortige Kooperation, und das wird dir bestimmt nicht schaden.«
«Oh?«
«Es scheint, daß da ein alter Bursche mit seiner Frau mit dem Ausschlußflug aus Antigua um zehn Uhr dreißig ankommt, und Whitehall wünscht einen Roten-Teppich-Empfang. Offenbar hat der alte Bursche tapfer im zweiten Weltkrieg gefochten und mit vielen unserer Jungs jenseits des Teiches zusammengearbeitet. Er hat jede Menge Auszeichnungen.«