«Das ist eine Drohung, nicht wahr?«»Hör auf, Alex. Ich will nicht so sprechen.«»Hast du aber. Es ist die Umkehrung von Paris von vor dreizehn Jahren, nicht wahr? Nur jetzt wirst du mich töten, weil ich derjenige bin, der keine Erinnerung hat, die Erinnerung an das, was wir dir und Marie angetan haben.«
«Das ist meine Familie da draußen!«schrie David Webb mit gepreßter Stimme. Schweißperlen bildeten sich an seinem Haaransatz, und seine Augen füllten sich mit Tränen.»Sie sind tausend Kilometer von mir entfernt und müssen sich verstecken. Es gibt keinen anderen Weg, weil ich kein Risiko eingehen will… weil sie sonst getötet werden, Alex, denn das ist es, was der Schakal tut, wenn er sie findet. Diese Woche sind sie auf der Insel, wo werden sie nächste Woche sein? Wie viele tausend Kilometer noch? Und danach? Wo werden sie hingehen, wohin? Jetzt, wo wir wissen, was wir wissen, können wir nicht einfach aufhören. Er ist hinter mir her. Dieser gottverdammte lausige Psychopath ist hinter mir her, und alles, was wir über ihn gelernt haben, ist, daß er einen maximalen Kill will. Sein Ego verlangt es, und dieser Kill meint meine Familie! Nein, mein Lieber, belaste mich nicht mit Dingen, die mich nicht interessieren, nicht, wenn sie mit Marie und den Kindern kollidieren — soviel bist du mir schuldig.«
«Ich höre dir zu«, sagte Conklin.»Ich weiß nicht, ob ich David Webb oder Jason Borowski höre, aber ich höre dir zu. Also gut, es ist nicht wie in Paris, aber wir müssen schnell handeln, und jetzt spreche ich zu Borowski. Was als nächstes? Wo bist du?«
«Ich schätze, neun oder zehn Kilometer von General Swaynes Haus entfernt«, entgegnete Jason und atmete tief durch. Er unterdrückte die momentane Angst, und die Coolness kehrte zurück.»Hast du den Anruf erledigt?«
«Vor zwei Stunden.«
«Bin ich noch Cobra?«
«Warum nicht? Es ist eine Schlange.«
«Das habe ich Armbruster auch gesagt. Er war nicht glücklich.«
«Swayne wird es noch weniger sein, aber ich rieche etwas, ohne daß ich es richtig erklären könnte.«
«Was meinst du?«
«Ich bin nicht sicher, aber ich habe das Gefühl, daß er noch jemand anderem untersteht.«
«Im Pentagon? Burton?«
«Ich nehme es an, aber ich weiß es nicht. In seiner ersten Überraschung reagierte er wie gelähmt, beinahe wie ein Zuschauer, jemand, der zwar beteiligt ist, aber nicht mitten im Spiel steht. Er verplapperte sich ein paarmal und sagte Dinge wie: >Darüber müssen wir nachdenken<, oder: >Das müssen wir noch bereden.< Bereden mit wem? Seine Antwort war ein lahmes majestätisches >wir<, was wohl soviel bedeuten sollte, daß der berühmte General mit sich selbst konferiere. Aber das nehme ich ihm nicht ab.«
«Ich auch nicht«, stimmte Jason zu.»Ich werde die Kleider wechseln. Sie sind im Wagen.«
«Was?«
Borowski drehte sich in seiner Plastiktelefonzelle zur Seite und sah zur Herrentoilette an der Seite der Tankstelle hinüber.»Du hast gesagt, daß Swayne auf einer Farm westlich von Manassas lebt…«
«Korrektur«, unterbrach Alex.»Er nennt es eine Farm. Seine Nachbarn und das Grundsteuerbuch bezeichnen es als einen zwölf Hektar großen Landsitz. Nicht schlecht für einen Karrieresoldaten aus der unteren Mittelklasse aus Nebraska, der vor dreißig Jahren auf Hawaii eine Friseuse geheiratet hat. Es heißt, er habe das Gut vor zehn Jahren mit einer beträchtlichen Erbschaft erstanden, die ihm ein unauffindbarer Wohltäter vermacht habe, ein obskurer reicher Onkel. Ich konnte ihn jedenfalls nicht finden. Das hat mich neugierig gemacht. Swayne war unter anderem Chef des Quartiermeister-Korps in Saigon und hat Medusa beliefert… Aber was hat sein Wohnort damit zu tun, daß du die Kleidung wechseln willst?«
«Ich will mich ein wenig umsehen, solange noch Licht ist. Später dann werde ich ihm einen Überraschungsbesuch abstatten.«
«Das wird effektiv sein, aber wonach willst du vorher Ausschau halten?«
«Ich habe Farmen gern. Sie sind so weit und groß, und ich verstehe nicht, warum ein Berufssoldat, der weiß, daß er von einer Minute zur anderen in irgendeinen Teil der Welt versetzt werden kann, sich mit so einer großen Investition belastet.«
«Sei vorsichtig. Vielleicht hat er Alarmanlagen oder Hunde — Dinge in der Art.«
«Ich bin vorbereitet«, sagte Borowski.»Ich habe ein paar Einkäufe gemacht, bevor ich Georgetown verlassen habe.«
Die Sommersonne stand bereits niedrig am Himmel, er verlangsamte die Fahrt des Leihwagens und klappte die Sonnenblende herunter, um nicht von dem gelben Feuerball geblendet zu werden, der schon bald hinter den Shenandoah-Bergen verschwinden und damit Zwielicht hereinbrechen lassen würde, das Vorspiel der Dunkelheit. Und die war es, die Jason erwartete. Sie war sein Freund und Verbündeter, die Schwärze, in der er sich schnell und sicheren Fußes bewegte, mit wachen Händen und Armen. Früher hatten ihn die Dschungelwälder willkommen geheißen, die nur den Eindringling respektieren, der auch sie respektiert und sich als Teil von ihnen betrachtet. Er fürchtete den Urwald nicht, er umarmte ihn, denn er wurde von ihm beschützt, und so konnte er erreichen, was immer sein Ziel war. Auch den Besitz von General Norman Swayne umgab ein dichtes Stück Wald.
Das Hauptgebäude war mindestens zwei Fußballfelder von der Landstraße zurückversetzt. Ein Palisadenzaun trennte die Einfahrt rechts von der Ausfahrt links, die beide mit Eisentoren versehen waren. Die Auffahrt hatte die Form eines verlängerten U. Direkt an die Tore grenzend, befand sich ein dichter
Bewuchs von Bäumen und Sträuchern, die praktisch den Palisadenzaun rechts und links verstärkten. Es fehlten nur noch die Wachtürme an der Ein- und Ausfahrt.
Seine Gedanken gingen zurück nach China, nach Peking und in einen Vogelpark, wo er einen Killer gestellt hatte, der als Jason Borowski auftrat. In jenem Wald hatte es ein Wachgebäude und mehrere bewaffnete Patrouillen gegeben… und einen Verrückten, einen Schlächter, der eine Armee von Killern kontrollierte: Der wichtigste unter ihnen war einer, der unter dem falschen Namen Jason Borowski agierte. Er war in jenes gefährliche Gehege eingedrungen, hatte eine kleine Flotte von Lastwagen und Pkws fahruntüchtig gemacht, indem er mit dem Messer die Reifen aufgeschlitzt hatte, war dann darangegangen, jede einzelne Patrouille im Jing-Shan-Wald auszuschalten, bis er die von Taschenlampen beleuchtete Lichtung fand, wo sich der großmäulige Verrückte und seine Brigade von Fanatikern aufhielten. Könnte er das heute wieder tun? fragte sich Borowski, als er zum dritten Mal langsam an Swaynes Besitz vorbeifuhr, wobei seine Augen jedes Detail registrierten. Fünf Jahre danach, dreizehn Jahre nach Paris? Er war nicht mehr der junge Mann, der er in Paris gewesen war, noch der etwas reifere Mann, der er in Hongkong, Macao oder Peking gewesen war. Er war fünfzig Jahre alt, und er spürte es, jedes einzelne Jahr. Aber genug davon, es gab zu viele andere Dinge, an die er jetzt denken mußte, und die zwölf Hektar von General Norman Swayne waren nicht der Wald des Jing-Shan-Geheges.