«Und dann was?«
«Dann können Sie hierbleiben, bis Ihre Frau stirbt.«
Kapitel 9
Brendan Patrick Pierre Prefontaine war wieder erstaunt. Obwohl er keine Reservierung vorgenommen hatte, wurde er am Empfang des Tranquility Inn wie eine Berühmtheit behandelt. Nur Augenblicke nachdem er eine Villa bestellt hatte, wurde ihm gesagt, daß bereits alles arrangiert sei, und man fragte ihn, ob der Flug von Paris angenehm gewesen sei. Minutenlang herrschte Konfusion, da der Besitzer des Tranquility Inn nicht erreicht werden konnte. Er war nicht zu Hause und auch sonst nirgends auffindbar. Schließlich gab man auf, und der frühere Richter aus Boston wurde in seine Unterkunft geführt, ein hübsches Häuschen mit Blick aufs Meer. Zufällig, nicht mit Absicht, harte er in die falsche Tasche gegriffen und dem Manager für seine Freundlichkeit eine Fünfzig-Dollar-Note zukommen lassen. Prefontaine wurde sofort zu einem Mann, mit dem man rechnen mußte. Finger schnippten und Glöckchen bimmelten. Nichts war gut genug für den erstaunten Fremden, der da mit dem Wasserflugzeug von Montserrat eingeflogen worden war… Es war der Name, der alle hinter dem Empfangstisch in Verwirrung gebracht hatte: Konnte es so einen Zufall geben?… Nochmals den Gouverneur anrufen — sichergehen:»Gebt dem Mann eine Villa.«
Kaum hatte er sie betreten und sein spärliches Gepäck in Schrank und Schubladen verstaut, ging das Durcheinander weiter. Eine eisgekühlte Flasche Chäteau Carbonnieux, Jahrgang '78, zusammen mit frischen Blumen und einer Schachtel belgischer Schokolade, kamen an, wurden aber gleich wieder von einem verwirrten Kellner abgeholt, der sich damit entschuldigte, daß sie für eine andere Villa weiter unten — oder weiter oben — bestimmt seien.
Der Richter zog seine Bermudas an, erschrak über seine spindeldürren Beine und wählte ein wollenes Sporthemd in gedämpften Farben. Weiße Sportschuhe und eine weiße Stoffmütze vervollständigten seinen Tropendress. Bald würde es dunkel sein, und er wollte noch etwas Spazierengehen, aus verschiedenen Gründen.
«Ich weiß, wer Jean Pierre Fontaine ist«, sagte John St. Jacques, als er das Register am Empfangstisch las,»er ist derjenige, dessentwegen ich vom Büro des Gouverneurs angerufen wurde, aber wer, zum Teufel, ist B. P. Prefontaine?«
«Ein berühmter Richter aus den Vereinigten Staaten«, erklärte der große schwarze stellvertretende Manager mit betont britischem Akzent.»Mein Onkel, der stellvertretende Direktor der Grenzbehörde, rief mich vor zwei Stunden vom Flughafen aus an. Unglücklicherweise war ich gerade oben, aber unsere Leute haben genau richtig gehandelt.«
«Ein Richter?«fragte der Besitzer des Tranquility Inn. Der Manager nahm ihn am Ellbogen und bedeutete ihm, sich vom Tisch und von den Angestellten etwas zu entfernen.
«Was hat dein Onkel gesagt?«
«Daß völlige Geheimhaltung geboten sei, was unsere beiden berühmten Gäste anbetreffe. Mein Onkel war sehr zurückhaltend, aber er erlaubte sich, den verehrten Richter zum Inter-Island-Schalter zu bringen. Der Richter und der französische Kriegsheld sind verwandt und wünschen sich vertraulich über Angelegenheiten von großer Wichtigkeit zu unterhalten.«
«Wenn das der Fall ist, warum hatte der Richter dann keine Reservierung?«
«Es scheint dafür zwei Erklärungen zu geben, Sir. Laut meinem Onkel sollten sie sich ursprünglich am Flughafen treffen, aber der Empfang durch den Gouverneur Ihrer Majestät hat das unmöglich gemacht.«
«Und die zweite Möglichkeit?«
«Vielleicht ist dem Büro des Richters in Boston ein Irrtum unterlaufen. Laut meinem Onkel gab es eine kurze Diskussion betreffs der Angestellten des Richters, wie oft die sich irren und falls etwas mit seinem Paß falschlaufe, er sie alle einfliegen lassen würde, damit sie sich entschuldigten.«
«Dann werden US-Richter sehr viel besser als ihre Kollegen in Kanada bezahlt. Er kann von Glück reden, daß wir überhaupt Platz hatten.«
«Um diese Zeit ist doch meist etwas frei.«
«Dann haben wir also zwei berühmte Verwandte, die sich privat treffen wollen, dabei aber sehr kompliziert vorgehen. Vielleicht sollten Sie den Richter anrufen und ihm sagen, in welcher Villa Fontaine wohnt… oder Prefontaine, zum Teufel wer auch immer.«
«Ich habe diese Höflichkeit meinem Onkel vorgeschlagen, Sir, aber davon wollte er absolut nichts wissen. Er sagt, große Männer haben Geheimnisse, und er möchte nicht, daß seine brillanten Rückschlüsse anders ans Licht kommen als durch die betreffenden Herren selbst.«
«Wie bitte?«
«Wenn der Richter solch einen Anruf erhielte, würde er wissen, daß die Information von meinem Onkel käme, dem stellvertretenden Direktor der Grenzbehörde in Montserrat.«
«Mein Gott, tu, was du willst, ich habe anderes im Kopf. Nebenbei, ich habe die Wachen auf der Straße und am Strand verdoppelt.«
«Haben wir mit Unannehmlichkeiten zu rechnen, Sir?«John St. Jacques schaute den stellvertretenden Manager an.»Jetzt nicht«, sagte er.»Ich bin bei meiner Schwester und ihren Kindern in Villa zwanzig.«
Der Widerstandsheld aus dem Zweiten Weltkrieg mit Namen Jean Pierre Fontaine ging langsam den Zementweg entlang, der zur letzten Villa führte. Wie die anderen hatte sie rosa verputzte Mauern und ein rotes Ziegeldach. Nur der Rasen drumherum war größer, die Umfassungshecke höher und dichter. Es war ein Ort für Premierminister und Präsidenten, Außenminister und Staatssekretäre, Männer und Frauen von internationaler Bedeutung, die den Frieden luxuriöser Abgeschiedenheit suchten.
Fontaine erreichte das Ende des Pfades, wo sich eine anderthalb Meter hohe, weiß gekalkte Mauer befand und dahinter der dicht bewachsene Hang, der bis zum Strand hinunterreichte. Die Mauer diente gleichzeitig zur Abgrenzung und zum Schutz. Den Eingang zu Villa zwanzig bildete eine rosa gestrichene, schmiedeeiserne, fest in der Mauer verankerte Pforte. Durch das Gitter konnte der alte Mann ein kleines Kind im Badeanzug herumrennen sehen. Kurz darauf erschien eine Frau in der Eingangstür.
«Komm herein, Jamie!«rief sie.»Es ist Zeit zum Abendessen.«
«Hat Alison schon gegessen, Mama?«
«Gegessen und schläft schon, Liebling.«
«Ich mag unser Haus daheim lieber. Warum können wir nicht in unser Haus zurück, Mami?«
«Weil Onkel John uns hier haben möchte… Er kann dich zum Fischen und Segeln mitnehmen wie im vergangenen April in den Osterferien.«
«Damals waren wir in unserem Haus.«
«Ja, damals war Papi auch bei uns…«
«Und wir hatten so viel Spaß mit dem Lastwagen!«
«Essen, Jamie. Komm jetzt.«
Mutter und Kind gingen ins Haus, und Fontaine erschrak, als er an die Befehle des Schakals dachte, an die blutigen Hinrichtungen, die er auszuführen hatte. Und dann kamen ihm wieder die Worte des Kindes in den Sinn:»Warum können wir nicht in unser Haus zurück, Mama?… Damals waren wir in unserem Haus. «Und die Antworten der Mutter:»Weil Onkel John möchte, daß wir bei ihm sind… Ja, damals war Papi auch bei uns…«
Es mochte eine Menge Erklärungen für den kurzen Dialog geben, den er gehört hatte, aber Fontaine vermochte Gefahren zu riechen, schneller als die meisten Menschen, denn sein Leben war voll davon gewesen. Auch jetzt spürte er eine Bedrohung. Er wandte sich von der Mauer ab und ging den Weg wieder zurück, so in Gedanken vertieft, daß er beinahe mit einem anderen Gast etwa in seinem eigenen Alter zusammengestoßen wäre, der eine idiotisch aussehende weiße Kappe und ebensolche Schuhe trug.
«Entschuldigen Sie«, sagte der Fremde und trat einen Schritt zur Seite.
«Pardon, monsieur!« rief der verwirrte Held Frankreichs aus, wobei er unbewußt in seine Muttersprache verfiel. »Je regrette — ich meine, ich bin es, der sich entschuldigen muß.«
«Oh!«Bei diesen Worten weiteten sich die Augen des Fremden kurz, als hätte er etwas wiedererkannt.»Keineswegs.«