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Symphonie der unruhigen Nacht

Die Dämmerungen in alten Städten, mit unbekannten Traditionen geschrieben in den schwarzen Stein massiver Gebäude; flimmernde Frühen auf überschwemmten Fluren, sumpfnaß und feucht wie die Luft vor Sonnenaufgang; die engen Straßen, in denen alles möglich ist, die schweren Truhen in uralten Räumen; der Brunnen hinten auf dem Hof, im Mondlicht; der Brief aus der Zeit der ersten Liebe unserer Großmutter, die wir nicht kennen; der Moder in den Zimmern, in denen die Vergangenheit verwahrt wird; die Flinte, die heute keiner mehr handhaben kann, das Fieber heißer Nachmittage am Fenster; niemand auf der Straße; unruhiger Schlaf; sich ausbreitender Mehltau in den Weingärten; Glockengeläut; klösterlicher Lebenskummer … Die Stunde des Segens, deine zarten Hände … Die nie kommende Liebkosung, der Stein deines Rings blutet im Fast-Dunkel … Kirchenfeste und kein Glaube in der Seele: die stoffliche Schönheit der plumpen, häßlichen Heiligen, romantische Leidenschaften in der Phantasie, der Meeresgeruch nach Einbruch der Dunkelheit an den Kais der Stadt, feuchter noch im Erkalten der Luft …

Deine schlanken Hände wie Flügel über einem, den das Leben einsperrt. Lange Flure, Mauerspalten, geschlossene, immer offene Fenster, der Boden so kalt wie Grabsteine, das Sehnen nach Liebe wie eine Reise in unzulängliche Länder … Namen einstiger Königinnen … Glasfenster mit den Konterfeis stämmiger Grafen … In der Luft der Kirche wie kalter Weihrauch das unbestimmte Strahlen des Morgenlichts, gebündelt hin zum undurchdringlichen Dunkel des Bodens … Trockene Hände, zusammengepreßt.

Die Unruhe des Mönchs, der in den absurden Chiffren eines alten Buches die Lehren der Okkultisten entdeckt und in den schmückenden Stichen die Stufen der Initiation.

Der Strand in der Sonne und Fieber in mir … Das Meer, ein Schimmer in der Angst, die mich erstickt … Die Segel in der Ferne, wie sie durch mein Fieber gleiten … Im Fieber die Stufen zum Strand … Wärme in der frischen, überseeischen Brise, mare vorax, minax, mare tenebrosum – die dunkle Nacht, weit weg für die Argonauten, und meine brennende Stirn, ihre primitiven Schiffe …

Alles gehört den anderen, bis auf meinen Kummer, nichts von alldem zu haben.

Gib mir die Nadel … Ihre kleinen Schritte fehlen heute im Haus, und mir fehlt, daß ich nicht weiß, wo sie ist und was sie mit den Falten, den Farben, den Nadeln zaubert. Heute sind ihre Nähereien für immer eingeschlossen in den Schubladen der Kommode, und nirgendwo die Wärme der geträumten Arme um den Hals der Mutter.

Ein Brief

Seit unbestimmt vielen Monaten sehen Sie mich Sie betrachten, Sie fortgesetzt betrachten, mit dem immer gleichen unsicheren, besorgten Blick. Ich weiß, Sie haben es bemerkt. Und da Sie es bemerkt haben, dürften Sie es befremdlich finden, daß dieser nicht wirklich scheue Blick nie auch nur etwas andeutet. Immer wach, unbestimmt, unverändert, als genüge es ihm, nur der traurige Ausdruck all dessen zu sein … Nichts sonst … Doch müßten Sie, wenn Sie über all dies nachdenken – unabhängig von dem, was Sie dabei empfinden –, meine möglichen Absichten durchschauen. Sie dürften sich ohne allzu große Überzeugung sagen, daß ich entweder eine scheue Natur besonderer, wenn nicht sonderbarer Art bin oder aber so etwas wie ein Verrückter.

Doch was mein Betrachten Ihrer Person angeht, meine Dame, bin ich weder ein ausgesprochen scheuer noch ein erwiesenermaßen verrückter Mensch. Ich bin etwas gänzlich anderes, wie ich Ihnen, ohne allzu große Hoffnung, daß Sie mir Glauben schenken, darlegen werde. Wie oft habe ich Ihrem von mir erträumten Wesen nicht zugeraunt: »Erfülle deine Pflicht und sei nutzlose Amphore, folge deiner Berufung und sei ganz Kelch.«

Wie sehr sehnte ich mich zurück nach meiner Vorstellung, die ich mir von Ihnen hatte machen wollen, als ich eines Tages begriff, daß Sie verheiratet waren! Ein tragischer Tag in meinem Leben. Nicht daß ich auf Ihren Ehemann eifersüchtig gewesen wäre. Ich habe mich nie auch nur gefragt, ob Sie einen Ehemann haben. Ich sehnte mich schlicht nach meiner Vorstellung von Ihnen. Müßte ich eines Tages die absurde Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß eine Frau auf einem Gemälde – jawohl, einem Gemälde – verheiratet ist, mein Schmerz wäre der gleiche.

Sie besitzen? Ich weiß nicht, wie man das anstellt. Und selbst wenn ich mit dem menschlichen Makel behaftet wäre, es zu wissen, wie schändlich verriete ich mich, wie spräche ich meiner eigenen Größe hohn, dächte ich auch nur daran, mich mit Ihrem Ehemann auf eine Stufe zu stellen!

Sie besitzen? Wenn Sie irgendwann zufällig durch eine dunkle Straße gehen, könnte Sie jemand überfallen und Besitz von Ihnen ergreifen, könnte Sie befruchten und seine Spur in Ihrem Uterus hinterlassen. Wenn Sie besitzen bedeutet, Ihren Körper zu besitzen, was ist daran gut?

Daß der Angreifer nicht Ihre Seele besitzt? … Wie ergreift man Besitz von einer Seele? Gäbe es denn überhaupt einen Liebenden, der geschickt genug wäre, Ihre »Seele« besetzen zu können […]? Möge Ihr Ehemann derjenige sein … Oder soll ich mich etwa herablassen auf eine Stufe mit ihm?

Wie viele Stunden habe ich nicht in der heimlichen Gesellschaft meiner Vorstellung von Ihnen verbracht! Wie sehr haben wir einander geliebt in meinen Träumen! Doch nicht einmal im Traum, ich schwöre es Ihnen, habe ich je daran gedacht, Sie zu besitzen. Ich bin zartfühlend und keusch, selbst als Träumer. Nicht einmal die Vorstellung von einer schönen Frau taste ich an.

*

Ich könnte meine Seele nie dahin gehend beeinflussen, daß sie meinen Körper veranlaßt, den Ihren in Besitz zu nehmen. Allein beim Gedanken daran stoße ich in meinem Inneren an unsichtbare Hindernisse und verstricke mich in eigenen unerklärlichen Netzen. Was widerführe mir nicht noch alles, wollte ich Sie wirklich besitzen!

Ich wäre, ich wiederhole es, außerstande, dies auch nur zu versuchen. Nicht einmal im Traum bin ich dazu imstande.

Dies, meine Dame, sind die Worte, die ich Ihnen als Antwort auf Ihren unfreiwillig fragenden Blick schreiben muß. Und in genau diesem Buch werden Sie diesen Brief an Sie zum ersten Mal lesen. Sofern Sie nicht erahnen, daß er für Sie bestimmt ist, werde ich mich damit abfinden. Ich schreibe eher zum eigenen Vergnügen, als um Ihnen etwas mitzuteilen. Einzig Geschäftsbriefe sind zielgerichtet. Alle anderen Briefe sollten, zumindest im Falle eines überlegenen Menschen, immer nur an ihn selbst gerichtet sein.

Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Seien Sie meiner uneingeschränkten Bewunderung versichert. Es gefiele mir, wenn Sie hin und wieder an mich dächten.

Nie unternommene Reise I

Im Zwielicht eines vagen Herbstes brach ich auf zu dieser nie unternommenen Reise.

Der Himmel war, wie ich mich unmöglich erinnere, von einem verlöschenden Violett traurigen Goldes, und über der klaren, agonischen Linie der Berge lag eine Aureole in den Farben des Todes, die sich einschmeichelten in die scharfen Konturen, ihnen etwas Weiches verliehen. An der Reling auf der anderen Seite des Schiffes (unter der Plane hier war es kälter und dunkler) kräuselte sich der Ozean bis hin in den Osten, wo sich der Horizont trübte und, Nachtschatten auf den dunkel fließenden Saum des Meeres werfend, ein Hauch Finsternis wie Nebel an einem heißen Tag hing.

Das Meer, ich erinnere mich, war ein Teppich aus Schattentönen, aus wogenden Figuren vagen Lichtes und geheimnisvoll wie ein trauriger Gedanke in einem glücklichen Augenblick, kündend, ich weiß nicht wovon.