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Konzentriere ich mich, schweife ich ab; alles an mir ist dekorativ und ungewiß, wie ein Schauspiel im Nebel.

Dieser sinnliche Hang, alles Denken Ausdruck werden zu lassen, oder vielmehr, jeden meiner Gedanken als Ausdruck zu denken; jede Emotion in Farbe und Form zu sehen, und selbst jede Verneinung im Rhythmus, […]

Ich schreibe mit großer Ausdruckskraft; und ich weiß nicht einmal, was ich fühle. Ich bin halb Schlafwandler, halb nichts.

Die Frau, die ich bin, wenn ich mich erkenne.

Das Opium königlicher Dämmerungen und das Wunder, daliegend im Dunkel, in Reichweite der Hand, die sich der Lumpen entledigt.

Bisweilen ist die Flut passender Bilder und Sätze, die gegen meinen abwesenden Geist anbrandet, so geballt, so schnell, so überreich, daß ich mich erzürne, mich winde, weine, daß sie mir entfallen müssen – unweigerlich. Jedes Bild, jeder Satz hat seine Zeit und geht vergessen außerhalb von ihr. Und wie einem Liebenden die Sehnsucht nach einem liebenswerten, flüchtig gesehenen Gesicht, bleibt mir die Erinnerung an mein Sein als ein Sein von Toten, ich beuge mich über den Abgrund einer Vergangenheit, reich an flüchtigen Bildern und Gedanken, tote Nebelgestalten, aus dem Nebel geboren.

Nicht faßbar, abwesend, Nicht-Wesen, verliere ich mich aus mir, als ginge ich unter in nichts; ich bin vergangen, und dieses Wort, das spricht und innehält, sagt, enthält alles.

Der Rhythmus des Wortes, das Bild, das es wachruft, und sein Sinn als Vorstellung, alle notwendigerweise in einem Wort miteinander verbunden, sind für mich getrennt verbunden. Ich muß nur ein Wort denken, und schon verstehe ich den Gedanken der Trinität. Ich denke an das Wort »zahllos« und nehme es als Beispiel, weil es abstrakt ist und unnütz. Wenn ich es aber in meinem Sein höre, rollen große Wogen mit einem Klang, der nicht untergeht im endlosen Meer; und die Himmel schmücken sich, jedoch nicht mit Sternen, sondern mit der Musik aller Wellen, in denen sich die Klänge vereinen, und in mir entfaltet sich die Vorstellung von einem vergehenden Unendlichen wie eine Fahne, enthüllt mir Sterne und Meeresklänge und ein Ich, das alle Sterne widerspiegelt.

Daß Dom Sebastião[97]   eines Tages im Nebel zurückkommt, steht nicht im Widerspruch zur Geschichte. Die Geschichte kommt und geht im Nebel, und die größten Schlachten, von denen man erzählt, die glanzvollsten Feste, die mächtigsten Errungenschaften sind nichts als Schauspiele im Nebel, Heerscharen, die in der Ferne entschwinden und untergehen.

Meine Seele ist expressiv und materiell. Entweder ich stehe still in einem Nicht-Sein sozialen Stoffs, oder aber ich wache auf, und wenn ich aufwache, entwerfe ich mich in Worten, als öffneten sie mir die Augen meines Seins. Wenn ich denke, entsteht der Gedanke in meinem Geist, mit trockenen, rhythmischen Sätzen, und ich weiß nie recht, ob ich diesen Gedanken bereits hatte, bevor ich ihn äußerte, oder erst anschließend, oder ob er geträumt zugleich mit meinen Worten entsteht. Alle Emotion ist ein Bild in mir, und aller Traum ein Klanggemälde. Was ich schreibe, ist vielleicht schlecht, doch ich selbst bin schlechter als das, was ich denke. So scheint es mir bisweilen.

Seit ich lebe, erzähle ich mich, und der geringste Überdruß allen Überdrusses meiner selbst erblüht, wenn ich mich näher mit ihm befasse, durch einen […] Magnetismus zu bunten Blumen klingender Abgründe.

IV . Texte Pessoas zum Buch der Unruhe

A.  Auszüge aus einigen Briefen

An João de Lebre e Lima[98]  , 3. Mai 1914

Was den Überdruß angeht, so fällt mir ein, daß ich Sie etwas fragen wollte … Haben Sie in einer Nummer von A Águia[99]   aus dem letzten Jahr einen Text von mir mit dem Titel Im Wald der Entfremdung gesehen? Falls nicht, lassen Sie es mich wissen. Dann bekommen Sie ihn. Mir liegt sehr daran, daß Sie von ihm Kenntnis nehmen. Es ist der einzige von mir veröffentlichte Text, in dem ich den Überdruß und den fruchtlosen Traum, der seiner selbst bereits müde ist, noch bevor er geträumt wird, zum Gegenstand und Thema mache. Ich weiß nicht, ob Ihnen der Stil dieses Textes zusagt. Es ist ein mir eigener Stil, den hier etliche meiner Freunde scherzhaft »den entfremdeten Stil« nennen, da er in diesem Text zum ersten Mal erschienen ist. Und jetzt ergehen sie sich in Anspielungen wie »entfremdet sprechen«, »entfremdet schreiben« usw.

Dieses Textfragment ist Teil eines meiner Bücher, das weitere, bisher unveröffentlichte Texte enthält, aber noch seine Zeit braucht, bis es abgeschlossen ist; sein Titel lautet Buch der Unruhe, da es vornehmlich gekennzeichnet ist von Ruhelosigkeit und Ungewißheit. Dies wird in dem bereits veröffentlichten Text deutlich. Was scheinbar die Erzählung eines reinen Traums oder Tagtraums ist, ist – und der Leser wird dies, sofern ich es denn habe umsetzen können, sofort und durch die gesamte Lektüre hindurch spüren – ein geträumtes Bekenntnis der Nutzlosigkeit und des schmerzlich fruchtlosen Furors allen Träumens.

An Armando Cortes-Rodrigues[100]  , 2. September 1914

… Ich habe nichts geschrieben, was sich lohnte, Ihnen zu schicken. Ricardo Reis und der Futurist Alvaro [de Campos] schweigen. Caeiro hat ein paar Zeilen verbrochen, die vielleicht in einem künftigen Buch Asyl finden … Ich habe hauptsächlich Soziologie und Unruhe zu Papier gebracht. Sie verstehen, das letztere Wort bezieht sich auf das »Buch« gleichen Namens; ich habe in der Tat etliche Seiten dieses krankhaften Elaborats geschrieben. Es geht somit vielschichtig und auf gewundenen Pfaden voran.

An Armando Cortes-Rodrigues, 4. Oktober 1914

… Ich schicke Ihnen auch andere kleine Sachen nicht, die ich dieser Tage verfaßt habe. Einige verdienen es nicht recht, andere sind unvollständig, der Rest besteht aus zusammengestückelten oder unzusammenhängenden Textfragmenten des Buchs der Unruhe. Aber wie es aussieht, habe ich eine neue Art von paulismo[101]   entdeckt …

Meine gegenwärtige Geistesverfassung ist von einer tiefen, ruhigen Depression bestimmt. Sie entspricht seit Tagen der des Buchs der Unruhe. Ich habe in der Tat einiges geschrieben, heute zum Beispiel fast ein ganzes Kapitel.

An Armando Cortes-Rodrigues, 19. November 1914

Meine Geistesverfassung zwingt mich derzeit, ohne daß ich etwas dagegen tun könnte, häufig am Buch der Unruhe zu arbeiten. Aber alles nur Fragmente, Fragmente, Fragmente.

An João Gaspar Simões[102]  , 28. Juli 1932

Ursprünglich hatte ich die Absicht, die Veröffentlichung meines Werkes mit drei Büchern zu beginnen, und zwar in der hier angeführten Reihenfolge: 1) Portugal[103]  , ein kleines Buch mit Gedichten (insgesamt 41), dessen zweiten Teil Mar Português[104]   (veröffentlicht in Nr. 4 der Zeitschrift Contemporânea) bildet; 2) Livro do Desassossego[105]   (Bernardo Soares, aber nur ersatzweise, denn B. S. ist kein Heteronym, sondern eine literarische Persönlichkeit); 3) Poemas Completas de Alberto Caeiro[106]   (mit einem Vorwort von Ricardo Reis, und als Nachwort von Alvaro de Campos die Notas para a Recordação[107]  ). Später, im Jahr darauf, allein oder zusammen mit einem weiteren Band, der Cancioneiro[108]   (oder ein anderer ebenso ausdrucksloser Titel), in den ich (in den Büchern I bis III oder I bis V) einige meiner zahlreichen verstreuten Gedichte mit hineinnähme, deren unterschiedliche Natur einzig eine solch ausdruckslose Klassifikation zuläßt.