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Ich habe keinerlei Vorstellung von mir selbst; nicht einmal eine Vorstellung, die auf der fehlenden Vorstellung von mir beruht. Ich bin ein Nomade des Bewußtseins meiner selbst. Beim ersten Hüten haben sich die Herden meines inneren Reichtums verlaufen.

Die einzige Tragödie ist, daß wir uns nicht als tragisch empfinden können. Ich habe meine Koexistenz mit der Welt immer deutlich wahrgenommen. Nie jedoch deutlich verspürt, daß ich mit ihr koexistieren müßte; deshalb bin ich nie ein normaler Mensch gewesen. Handeln heißt ruhen.

Alle Probleme sind unlösbar. Das Vorhandensein eines Problems setzt das Nichtvorhandensein einer Lösung voraus. Eine Tatsache suchen bedeutet, daß es keine Tatsache gibt. Denken heißt nicht existieren können.

Bisweilen verbringe ich Stunden auf dem Terreiro do Paço[18]  , am Fluß, und sinne vergebens. Meine Unrast will mich beständig dieser Ruhe entreißen, und meine Trägheit hält mich beständig in ihr gefangen. In diesem Zustand körperlicher Erschöpfung, der nur so entfernt an Lust erinnert wie das Wispern des Windes an Stimmen, sinne ich nach über die ewige Unstillbarkeit meines unbestimmten Verlangens, über die beständige Unbeständigkeit meiner unerfüllbaren Sehnsüchte. Ich leide vor allem an dem Übel, leiden zu können. Mir fehlt etwas, nach dem mich nicht verlangt, und ich leide, weil dies nicht wirklich leiden ist.

Der Kai, der Nachmittag, der Meeresgeruch, alle fließen sie zusammen ein in die Komposition meiner tiefen Angst. Die Flöten unmöglicher Hirten könnten nicht lieblicher sein als ihr Fehlen hier, das mich genau an sie erinnert. Die fernen Idyllen an den Ufern kleiner Flüsse schmerzen mich in einer Stunde wie dieser, […]

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Das Leben läßt sich als Übelkeit im Magen empfinden, die Existenz der eigenen Seele als Unwohlsein in den Muskeln. Die Untröstlichkeit des Geistes, heftig gefühlt, verursacht ein fernes Auf und Ab im Körper, schmerzt stellvertretend.

Ich bin mir meiner bewußt, an einem Tag, an dem der Schmerz, sich bewußt zu sein,

Erschöpfung, Übelkeitund quälende Begierde[19]  

ist, wie der Dichter sagt.

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(storm)

Dunkle Stille, bleich, im Übermaß. Nahe, zwischen den wenigen schnell fahrenden Fuhrwerken, das Donnern eines Lastwagens – ein lächerliches, mechanisches Echo dessen, was tatsächlich vorgeht in der nahen Ferne des Himmels.

Und wieder, ohne Vorwarnung, strömt magnetisches Licht aus, flackert. Das Herz pocht, schnappt nach Luft. Oben zerbirst eine Glasglocke in große, gewölbte Splitter. Wieder dämpft ein Regenvorhang erbarmungslos die Geräusche des Bodens.

(Prinzipal Vasques) Sein Gesicht ist fahl, trügerisch grün, verwirrt. Ich sehe ihn klar, mit einem brüderlichen Gefühl, der Atem in der Brust wird mir schwer, denn ich weiß, auch ich werde so aussehen.

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2071930

Habe ich viele Träume geschlafen, laufe ich offenen Auges, doch noch immer in ihrem Bannkreis und ihrer Sicherheit, durch die Straßen. Ich staune, wie ich automatisch einen Fuß vor den anderen setze und mich keiner erkennt. Denn ich gehe durchs Alltagsleben fest an der Hand meiner Astral-Amme, und meine Schritte auf der Straße fallen und hallen zusammen mit den unergründlichen Absichten meiner Schlafphantasie. Und doch gehe ich sicher, strauchle nicht, reagiere richtig, existiere.

Wann immer aber ich nicht aufpassen muß, um Fahrzeugen oder Fußgängern auszuweichen, wann immer ich mit niemandem sprechen oder mich nicht überwinden muß, durch eine Tür zu treten, treibe ich sofort wieder wie ein spitzgefaltetes Papierschiffchen auf Traumgewässern und gebe mich erneut der schwindenden Illusion hin, die mein vages Bewußtsein dieses unter dem Geräusch der Gemüsekarren erwachenden Morgens wärmt.

Und dann, mitten im Leben, wird der Traum zu einem großartigen Film. Ich gehe eine unwirkliche Straße der Unterstadt hinunter, und die Wirklichkeit inexistenter Leben bindet mir zärtlich ein weißes Tuch falscher Erinnerungen um die Stirn. Ich bin ein Seemann im Verkennen meiner selbst. Ich habe alles besiegt, wo ich niemals war. Und diese Schläfrigkeit, die mir zu gehen erlaubt, vorwärts strebend zum Unmöglichen hin, fühlt sich an wie ein frischer, sanfter Wind.

Jeder hat seinen Alkohol. Ich finde meinen Alkohol im Existieren. Trunken vor Selbst-Gefühl, gehe ich einher und gehe sicher. Wenn es an der Zeit ist, finde ich mich wie jeder andere im Büro ein. Wenn es nicht an der Zeit ist, gehe ich zum Fluß und betrachte wie jeder andere den Fluß. Ich bin nicht anders als andere. Und über alledem, mein Himmel, bestirne ich mich insgeheim und habe meine Unendlichkeit.

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Jeder, der heute liebt, es sei denn, er besitzt die moralische Statur und das geistige Profil eines Pygmäen oder ungeschlachten Menschen, liebt, wenn er liebt, romantisch. Die romantische Liebe ist ein verfeinertes Produkt jahrhundertelangen christlichen Einflusses; sowohl die Substanz als auch die Entwicklungsstadien dieser Liebe lassen sich, will man sie einem Unwissenden erklären, mit einem Kleidungsstück oder Kostüm vergleichen, das Seele oder Phantasie schneidern, um es all jenen anzuziehen, die ihren Lebensweg kreuzen und von denen der Geist glaubt, es passe ihnen.

Aber jedes Kostüm hält, da es nicht ewig ist, nur so lange, wie es hält; und binnen kurzem wird unter dem zerschlissenen Kleid des Ideals, das wir uns geschaffen haben, der wirkliche Körper der Person sichtbar, der wir es angezogen haben.

Die romantische Liebe ist infolgedessen ein Weg zur Enttäuschung. Sie ist es nur dann nicht, wenn man die Enttäuschung von Anfang an einkalkuliert und beschließt, das Ideal beständig zu wechseln und in den Werkstätten der Seele beständig neue Kleider zu weben, die dem, der sie trägt, beständig ein neues Aussehen verleihen.

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2571930

Wir lieben niemanden, nie. Wir lieben allein die Vorstellung, die wir von jemandem haben. Unsere eigene Idee – uns selbst also – lieben wir.

Das gilt für die ganze Bandbreite der Liebe. In der sexuellen Liebe suchen wir unser Vergnügen vermittels eines fremden Körpers. In der nichtsexuellen Liebe suchen wir unser Vergnügen vermittels unserer Vorstellung. Der Onanist mag abstoßend sein, doch genaugenommen ist er der vollkommene logische Ausdruck des Liebenden. Als einziger gibt er weder etwas vor, noch betrügt er sich selbst.

Die Beziehungen zwischen zwei Seelen vermittels so ungewisser und gegensätzlicher Dinge wie geläufiger Worte und Gesten sind erstaunlich vielschichtig. Selbst im Augenblick des Erkennens wissen wir nichts voneinander. Zwei Menschen sagen »ich liebe dich« oder denken und fühlen es gegenseitig, und doch verbindet jeder damit eine andere Vorstellung, ein anderes Leben, vielleicht sogar eine andere Farbe, ein anderes Aroma oder einen anderen Duft innerhalb der abstrakten Summe von Eindrücken, die das Seeelenleben ausmacht.

Ich sehe heute so klar, als existierte ich nicht. Mein Denken ist nackt wie ein Skelett, bar aller Fleischfetzen der Illusion des Ausdrucks. Und die Betrachtungen, die ich hier anstelle und wieder verwerfe, beruhen auf nichts – zumindest auf nichts aus den ersten Reihen meines Bewußtseins. Vielleicht war es der Liebeskummer des kaufmännischen Angestellten, vielleicht irgendein Satz aus einer dieser Liebesgeschichten, die unsere Zeitungen von der ausländischen Presse übernehmen, vielleicht auch ein unbestimmter Ekel, den ich mit mir herumtrage und dessen Grund für mich nicht in meinem Körper liegt …