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216

Die untergehende Sonne verströmt ihr Licht über die losgelösten Wolken: Der Himmel ist übersät mit ihnen. Weiche Reflexe in allen Farben füllen die Vielfalt in den Lüften, treiben abwesend in den großen Kümmernissen der Himmelsweite. Auf den Firsten der hohen Dächer, halbfarben, halbschatten, nehmen die letzten langsam verlöschenden Strahlen Farben an, die weder die ihren noch die der Dinge sind, auf denen sie ruhen. Große Stille liegt über dem Geräuschpegel der Stadt, auch sie wird allmählich still. Jenseits von Farbe und Geräusch atmet alles auf in tiefem Schweigen.

Die lichten Farben der Häuser, die das Auge der Sonne nicht sieht, verfärben sich aschgrau. Kälte liegt in der Vielfalt dieser Farben. Eine leichte Unruhe schlummert in den Scheintälern der Straßen. Schlummert und ruht. Und nach und nach wird in den tieferen der hohen Wolken der Widerschein des Lichts zu Schatten; nur in der kleinen Wolke, die adlerweiß über allem schwebt, bewahrt die ferne Sonne ihr lachendes Gold.

Alles, wonach ich gesucht habe im Leben, habe ich aufgehört zu suchen. Ich bin wie einer, der gedankenverloren nach etwas sucht, das er bereits auf seiner Traumsuche vergessen hat. Die gesuchte Sache wird weniger wirklich als die wirklichen Bewegungen der Hände, die suchen, durchsuchen, etwas aufnehmen und wieder absetzen, sichtbar existieren, weiß und lang, mit jeweils genau fünf Fingern.

Alles, was ich gehabt habe, ist wie dieser hohe, unterschiedlich gleiche Himmel, Fetzen aus Nichts, gestreift von einem fernen Licht, Bruchstücke falschen Lebens, vom Tod mit seinem traurigen Lächeln der ganzen Wahrheit aus der Ferne vergoldet. Alles, was ich gehabt habe, war mein Nicht-suchen-Wissen, Feudalherr von Sümpfen im Dämmerlicht, verlassener Prinz einer Stadt leerer Gräber.

Alles, was ich bin, war oder denke, daß ich bin oder war, all dies verliert plötzlich – bei diesen Gedanken und beim plötzlich verlöschenden Licht in der hohen Wolke – das Geheimnis, die Wahrheit, das Glück, vielleicht dieses Ich-weiß-nicht-was, in dem das Leben liegt. Das ist alles, was mir bleibt, wie eine fehlende Sonne, und über den verschieden hohen Dächern läßt das Licht seine Hände langsam nach unten gleiten, bis in der Geschlossenheit der Dächer aller innere Schatten sichtbar wird.

Verschwommen flackernder Tropfen, kleines, fernes Leuchten des ersten Sterns.

217

Was auch immer unsere Sensibilität bewegt, so angenehm es auch sein mag, es stört stets das mir rätselhafte Eigenleben dieser Sensibilität. Nicht nur große Sorgen, sondern auch kleine Ärgernisse lenken uns von uns ab und trüben den Seelenfrieden, nach dem wir uns alle unwillkürlich sehnen.

Wir leben zumeist außerhalb unserer selbst, und das Leben ist eine fortwährende Zerstreuung. Und doch zieht es uns zu uns selbst wie zu einem Mittelpunkt, um den wir gleich Planeten absurde, ferne Ellipsen beschreiben.

218

Ich bin älter als Zeit und Raum, denn ich bin bewußt. Die Dinge stammen ab von mir; die Natur ist die Erstgeborene meiner Empfindungen.

Ich suche – und finde nicht. Ich will und kann nicht.

Ohne mich geht die Sonne auf und erlischt; ohne mich fällt der Regen und heult der Wind. Nicht meinetwegen gibt es Jahreszeiten, Monate, Stunden, die vergehen.

Herr der Welt in mir, die ich, wie auch weltlichen Besitz, nicht mit mir nehmen kann, […]

219

Meine Seele, dieser betriebsame Ort von Empfindungen, geht bisweilen bewußt mit mir durch die nächtlichen Straßen der Stadt, während jener ermüdenden Stunden, in denen ich mich als Traum unter Träumen einer anderen Art empfinde – im Licht […] der Gaslaternen und dem flüchtigen Lärm der Fahrzeuge.

Während ich mit meinem Körper in Seitenstraßen und Gassen vordringe, verliert sich meine Seele in verworrenen Labyrinthen der Wahrnehmung. All dies kann auf schmerzliche Weise die Vorstellung von Unwirklichkeit und vorgetäuschter Existenz erwecken, all dies kann uns – nicht abstrakt im Verstand, sondern […] konkret – veranschaulichen, bis zu welchem Punkt der Ort, den das Universum einnimmt, leerer als leer ist: All dies geschieht objektiv in meinem losgelösten Geist. Ich weiß nicht warum, aber dieses objektive Geflecht schmaler und breiter Straßen macht mir angst, diese Abfolge von Laternen, Bäumen, von erleuchteten und dunklen Fenstern, offenen und geschlossenen Türen, ungleich nächtlichen Gestalten, noch unklarer in meiner Kurzsichtigkeit, die sie subjektiv bedrohlicher, unbegreiflicher, irrealer erscheinen läßt.

Wortfetzen wehen Neid, Lust, Banalitäten an meinen Gehörsinn. Kaum vernehmbares Flüstern […] dringt in Wellen vor in meine Wahrnehmung.

Nach und nach verliere ich das deutliche Bewußtsein, daß ich zusammen mit all dem existiere, daß ich mich wirklich bewege, hörend, kaum sehend, inmitten von Schatten, die Wesen verkörpern, und Orten, an denen diese Wesen ihrerseits Schatten sind. Allmählich, dunkel, vage wird mir immer unbegreiflicher, wie all dies angesichts der ewigen Zeit und des unendlichen Raumes existieren kann.

In einer passiven Gedankenassoziation beginne ich über jene Menschen nachzudenken, deren Bewußtsein von diesem Raum und dieser Zeit so analytisch und verständnisreich war, daß sie sich in ihm verloren. Es ist geradezu grotesk, daß unter Menschen wie diesen, in Nächten, zweifellos wie dieser, in Städten, gewiß nicht wesentlich anders als die, in der ich nachdenke, die Platons, die Scotus Eriugenas[37]  , die Kants und die Hegels all dies vergaßen, anders wurden als all diese Menschen […]. Und dennoch gehörten sie derselben Menschheit an.

Und selbst ich, der ich hier gehe und diese Gedanken denke, wie überdeutlich, grausam fühle ich mich außenstehend, fremd, ungewiß und […]

Ich beende meine einsame Pilgerschaft. Eine weite Stille, ungetrübt von leisen Lauten, überfällt und überwältigt mich. Unermeßliche Müdigkeit der Dinge selbst, der schlichten Tatsache meines Hierseins, des mich in diesem Zustand Befindens […] bedrückt meinen Geist bis in den Körper […]. Fast ertappe ich mich dabei, schreien zu wollen, ich spüre, daß ich in einem Ozean versinke […], von einer Unermeßlichkeit, die weder zu tun hat mit der Unendlichkeit des Raumes noch mit der Ewigkeit der Zeit, noch mit etwas, das bemessen oder benannt werden kann. In solchen Schreckensmomenten tiefster Stille weiß ich nicht, was ich stofflich bin, was ich für gewöhnlich tue, was ich normalerweise will, fühle, denke. Ich fühle mich für mich selbst verloren, außer Reichweite. Der moralische Drang zu kämpfen, das intellektuelle Bemühen, zu systematisieren und zu begreifen, das ruhelose künstlerische Streben, etwas zu schaffen, das ich nicht länger verstehe, mich aber erinnere, verstanden zu haben, und was ich Schönheit nenne, all das entzieht sich meinem Sinn für das Wirkliche, all das erscheint mir nicht einmal wert, als nutzlos, leer und zurückliegend betrachtet zu werden. Ich empfinde mich nur mehr als ein Vakuum, als Illusion einer Seele, Ort eines Wesens, Bewußtseinsdunkel, in dem ein seltsames […] Insekt vergebens zumindest die warme Erinnerung an ein Licht sucht.

220

Schmerzhaftes Intervall

Träumen, wozu?

Was habe ich aus mir gemacht? Nichts.

Sich in Nacht vergeistigen, sich […]

Innere Statue ohne Konturen, äußerer Traum ohne Traumstoff.

221

Ich war schon immer ein ironischer Träumer, untreu meinen inneren Versprechen. Ich genoß stets als ein Anderer, als ein mir Fremder, ein zufälliger Betrachter dessen, für den ich mich hielt, das Scheitern meiner Tagträume. Nie schenkte ich dem Glauben, woran ich glaubte. Ich füllte meine Hände mit Sand, nannte ihn Gold und ließ ihn durch die Finger rinnen. Worte waren meine einzige Wahrheit. Waren sie gesagt, war alles getan; alles übrige war der Sand, der er immer schon war.