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Diese schattenhafte Episode ging an mir vorüber, wie sie gekommen war. Nichts von ihr ist geblieben, weder in meinem Kopf noch in meinem Gefühl. Sie brachte mir keine Erfahrung, die ich nicht hätte ableiten können von den Gesetzen menschlichen Lebens, die ich instinktiv kenne, weil ich Mensch bin. Sie schenkte mir weder Freude, an die ich mit Trauer zurückdenken, noch Kummer, dessen ich mich ebenfalls mit Trauer erinnern könnte. Sie kommt mir vor wie etwas, das ich irgendwo gelesen habe, etwas, das einem anderen widerfahren ist, ein nur zur Hälfte gelesener Roman, da die andere Hälfte fehlte, ohne daß es mir etwas ausgemacht hätte, da im ersten Teil bereits alles stand, und obgleich er keinen Sinn ergab, war ersichtlich, daß auch der fehlende Teil, unabhängig von dem, was dort geschah, ihm keinen Sinn hätte verleihen können.

Mir bleibt nur ein Gefühl der Dankbarkeit dem Menschen gegenüber, der mich liebte. Doch ist es eine abstrakte, erstaunte Dankbarkeit, mehr rationaler als emotionaler Art. Es tut mir leid, daß ich jemanden habe leiden lassen – es tut mir leid, nicht mehr und nicht weniger.

Es ist unwahrscheinlich, daß mir das Leben eine weitere Begegnung mit natürlichen Gefühlen bringt. Ich wünschte fast, es geschähe gleichwohl, um zu sehen, wie ich ein zweites Mal empfände, nach der gründlichen Analyse meiner ersten Erfahrung. Vielleicht empfände ich weniger, vielleicht auch mehr. Sollte mir das Schicksal eine zweite Gelegenheit geben wollen, nur zu. Auf die Gefühle bin ich neugierig. Auf die Fakten, wie auch immer sie sein mögen, nicht die Spur.

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Sich nichts unterwerfen, keinem Menschen, keiner Liebe, keiner Idee, jene distanzierte Unabhängigkeit wahren, die darin besteht, weder an die Wahrheit zu glauben, falls es sie denn gäbe, noch an den Nutzen, sie zu kennen – dies, scheint mir, ist die rechte Befindlichkeit für das geistige, innere Leben von Menschen, die nicht gedankenlos leben können. Angehören bedeutet Banalität. Ein Glaube, ein Ideal, eine Frau, eine Profession – all das heißt Zelle und Fessel. Sein heißt frei sein. Selbst Ehrgeiz ist, sofern wir uns seiner rühmen, eine Last; und wir wären kaum auf ihn stolz, begriffen wir, daß er eine Schnur ist, an der man uns zieht. Nein: keinerlei Bindung, auch nicht an uns selbst! Frei von uns selbst wie von anderen, kontemplativ ohne Ekstase, Denker ohne Schlußfolgerung und befreit von Gott, werden wir auf dem Gefängnishof jene wenigen Augenblicke der Verzückung erleben, die uns die Unachtsamkeit unserer Henker zugesteht. Morgen dann die Guillotine. Wenn nicht morgen, dann übermorgen. Führen wir also in der Sonne unsere Ruhe spazieren vor dem Ende, vergessen wir freiwillig alle Ziele und Zwecke. Die Sonne wird unsere glatten Stirnen vergolden, und der Wind wird frisch wehen für den, der die Hoffnung aufgibt.

Ich werfe meinen Federhalter auf den Schreibtisch, er rollt ungehindert über die Schräge zurück, an der ich arbeite.

Ich fühlte dies alles mit einem Mal. Und meine Freude äußert sich in dieser Geste des Zorns, den ich nicht empfinde.

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Notizen zu einer Lebensregel

Es nötig haben, andere zu beherrschen, heißt andere nötig haben. Der Vorgesetzte ist ein Abhängiger.

Seine Persönlichkeit erweitern, ohne ihr etwas Fremdes hinzuzufügen – weder von anderen etwas erbitten noch anderen befehlen, aber die anderen sein, wenn man andere braucht.

Unsere Bedürfnisse auf ein Minimum herabsetzen, damit wir in nichts von anderen abhängen.

Absolut ist dieses Leben gewiß unmöglich. Relativ jedoch ist es das nicht.

Nehmen wir den Prinzipal eines Büros. Er sollte in der Lage sein, ohne andere auszukommen; er sollte auf der Schreibmaschine schreiben, seine Buchführung erledigen und das Büro kehren können. Daher sollte er von anderen nur aus zeitersparenden Gründen abhängen und nicht aus mangelnder Kompetenz. Er sollte dem Lehrling sagen: »Bring diesen Brief zur Post«, da er mit einem Gang zur Post nicht unnütz Zeit vertun will und nicht etwa, weil er nicht weiß, wo das Postamt ist. Und zu einem Angestellten sollte er sagen: »Gehen Sie da und da hin und erledigen diese Angelegenheit«, weil er mit ihrer Erledigung selbst keine Zeit verlieren will und nicht, weil er nicht weiß, wie man dies tut.

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Tugend kennt keinen gerechten Lohn und Sünde keine gerechte Strafe. Lohn oder Strafe wären im übrigen gleichermaßen ungerecht. Tugend wie Sünde sind unvermeidliche Äußerungen unserer Organismen, die, zum einen oder anderen verdammt, die Strafe verbüßen, gut oder schlecht zu sein. Daher versetzen alle Religionen Lohn und Strafe für die, die nichts sind noch etwas können und daher nichts verdienen können, in andere Welten, von denen keine Wissenschaft uns Kenntnis und kein Glaube uns ein Bild vermitteln kann.

Sagen wir uns also los von allem aufrichtigen Glauben, verzichten wir auf alles Bemühen um Einflußnahme.

Das Leben, sagte Tarde[43]  , ist die Suche nach dem Unmöglichen vermittels des Unnützen. Wir sollten stets das Unmögliche suchen, denn dies ist unser Geschick; wir sollten es mit Hilfe des Unnützen suchen, denn kein Weg führt daran vorbei; wir sollten uns zu dem Bewußtsein aufschwingen, daß wir nichts suchen, was wir finden könnten, und daß nichts auf unserem Weg eine Zärtlichkeit oder wehmütige Erinnerung verdient.

Wir werden aller Dinge müde, nur des Verstehens nicht, sagte der Scholiast. Laßt uns also verstehen, immerzu verstehen, und aus diesem Verstehen versuchen, findig Blumengewinde und Kränze zu flechten, die früher oder später doch verwelken, Spektralblumen unseres Verständnisses.

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Wir werden aller Dinge müde, nur des Verstehens nicht. Der Sinn dieses Satzes ist mitunter schwer zu fassen.

Wir werden des folgernden Denkens müde, denn je mehr wir denken, analysieren, unterscheiden, desto weniger kommen wir zu einer Schlußfolgerung.

Wir verfallen dann in jenen Zustand der Trägheit, in dem wir nur noch verstehen wollen, was dargelegt wurde – eine ästhetische Haltung, denn wir wollen verstehen, ohne uns zu interessieren, ohne uns darum zu kümmern, ob das Verstandene wahr ist oder nicht; ohne in dem Verstandenen mehr zu sehen als die exakte Form seiner Darlegung, den Stellenwert der rationalen Schönheit nämlich, den es für uns hat.

Wir werden des Denkens müde, der eigenen Meinungen, des Denken-Wollens um des Handelns willen. Jedoch werden wir es nicht müde, wenn auch nur zeitweilig, fremde Meinungen zu haben, nur um ihren Einfluß zu spüren und nicht etwa, um ihrem Impuls nachzugeben.

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Die ganze Nacht, Stunde um Stunde, rauschte der Regen nieder. Die ganze Nacht schlug seine kalte Monotonie in meinem Halbschlaf gegen die Scheiben. Bald peitschte eine Windböe hoch durch die Luft, und das Wasser glitt in klingenden Wellen und mit flinken Händen über die Scheiben; bald ließ nur ein dumpfer Klang das tote Draußen in Schlaf sinken. Meine Seele war die immergleiche, zwischen Bettlaken wie zwischen Leuten: sich der Welt schmerzhaft bewußt. Der Tag ließ auf sich warten wie auch das Glück, mir war in dieser Stunde, als kämen sie nie.