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Arme Teufel, ewige Hungerleider – hungernd nach Berühmtheit, hungernd nach dem Mittagessen oder dem Nachtisch des Lebens. Wer sie hört und nicht kennt, glaubt die Lehrmeister Napoleons und die Präzeptoren Shakespeares zu vernehmen.

Manche siegen in der Liebe, andere in der Politik und wieder andere in der Kunst. Erstere haben den Vorteil, etwas erzählen zu können, weil man in der Liebe auf der ganzen Linie siegen kann, ohne über das, was wirklich geschieht, sonderlich Bescheid zu wissen. Freilich überkommt uns, wenn eines dieser Individuen seine sexuellen Marathonläufe zum besten gibt, im Augenblick der siebenten Entjungferung ein undeutliches Mißtrauen. Die Liebhaber adliger oder prominenter Damen (und dies betrifft nahezu alle) haben einen derartigen Verschleiß an Gräfinnen, daß eine Statistik ihrer Eroberungen selbst die Tugend und Schicklichkeit der Urgroßmütter unserer heutigen Titelträgerinnen nicht unberührt ließe.

Andere sind auf körperliche Auseinandersetzungen spezialisiert und haben alle Boxmeister Europas während einer nächtlichen Lustbarkeit an einer Straßenecke des Chiado[50]   zusammengeschlagen. Einige haben Einfluß auf alle Minister aller Ministerien, sie sind am wenigsten zweifelhaft, da man ihnen ohne weiteres glaubt.

Einige sind große Sadisten, andere große Päderasten, wieder andere bekennen traurig, aber lauthals, daß sie brutal gegen Frauen sind. Sie treiben sie vorwärts mit Peitschenhieben auf den Wegen des Lebens. Und dann zahlen sie nicht einmal ihren Kaffee.

Manche sind Dichter, manche sind […]

Ich kenne kein besseres Mittel gegen diese Ansammlung von Schatten als die unmittelbare Kenntnis des menschlichen Alltagslebens, zum Beispiel in der Realität des Handels, wie sie sich in meinem Büro in der Rua dos Douradores darbietet. Mit welcher Erleichterung bin ich aus diesem Irrenhaus von Marionetten in die wirkliche Gegenwart meines Vorgesetzten Moreira zurückgekehrt, eines echten, kompetenten Buchhalters, der, schlecht gekleidet und schlecht behandelt, dennoch ist, was keiner der anderen zu sein vermochte: ein Mensch …

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Die meisten Leute leben spontan ein fiktives, fremdes Leben. Die meisten Leute sind andere Leute[51]  , sagte Oscar Wilde, und er hat es gut getroffen. Einige vergeuden ihr Leben mit der Suche nach etwas, das sie nicht wollen; andere suchen nach etwas, das ihnen, obgleich sie es wollen, nicht von Nutzen ist; andere wiederum verlieren sich […]

Die meisten jedoch sind glücklich und genießen das Leben ohne Grund. Der Mensch weint im allgemeinen wenig, und wenn er klagt, wird es zu seiner Literatur. Pessimismus als demokratische Formel hat wenig Aussicht auf Erfolg. Und wer das Unglück in der Welt beweint, ist einsam – er beweint nur das eigene Unglück. Hatten ein Leopardi, ein Antero[52]   etwa keinen Geliebten, keine Mätresse? Das Universum ist ein Übel. Wird ein Vigny nicht gebührend geliebt? Die Welt ist ein Kerker. Erträumt ein Chateaubriand mehr als das Mögliche? Das menschliche Leben ist Überdruß. Ist ein Hiob aussätzig? Die Erde ist aussätzig. Drücken den Traurigen die Hühneraugen? Weh den Füßen, den Sonnen und den Sternen!

Von all dem unberührt, verdaut und liebt die Menschheit unverdrossen weiter, nur beweinend, was beweint werden muß, und auch das nur so kurz wie möglich: den Tod eines über die Jahre, bis auf seine Geburtstage, vergessenen Sohnes; den Verlust von Geld, der auch nur so lange Tränen verursacht, bis sich neues Geld findet oder man sich mit dem Verlust abgefunden hat.

Die Lebenskraft kehrt zurück und belebt. Die Toten bleiben begraben. Die Verluste bleiben verloren.

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16121931

Heute ist er für immer dahin zurück, wo er herkam, der sogenannte Dienstmann des Büros, derselbe Mann, den ich bereits als Teil dieser menschlichen Zunft betrachtet habe und folglich als Teil meiner selbst und meiner Welt. Heute hat er uns verlassen. Auf dem Korridor, wo wir uns zufällig zur erwarteten Überraschung des Abschieds begegneten, habe ich ihn umarmt, was er schüchtern erwiderte, und genug Gegen-Seele besessen, um nicht loszuweinen, wie es sich meine heißen Augen im Herzen wünschten.

Was je einmal unser war, weil es unser war, wenn auch nur aus Zufall in unserem Alltag oder in unserem Blick, wird Teil von uns. Was da heute in ein mir unbekanntes galicisches Dorf heimgekehrt ist, war für mich nicht der Dienstmann des Büros: Es war ein vitaler, weil mit den Augen erlebter Teil der Substanz meines Lebens. Ich bin heute weniger geworden. Ich bin nicht mehr derselbe. Der Dienstmann des Büros hat uns verlassen.

Alles, was in unserem Umfeld geschieht, geschieht in uns selbst. Alles, was in unserem Gesichtskreis aufhört, hört in uns selbst auf. Alles, was einmal war, wenn wir es denn gesehen haben, als es war, wurde uns durch sein Fortgehen genommen. Der Dienstmann des Büros hat uns verlassen.

Schwerfälliger, um Jahre gealtert, widerwilliger setze ich mich an das hohe Pult und nehme die gestrige Buchführung wieder auf. Doch die unbestimmte Tragödie von heute drängt sich unterbrechend in meine Gedanken, und ich muß mich zum automatischen, ordnungsgemäßen Ablauf der Buchführung zwingen. Ich vermag nur zu arbeiten, weil ich in tätiger Trägheit Sklave meiner selbst sein kann. Der Dienstmann des Büros hat uns verlassen.

Jawohl, morgen oder an einem anderen Tag, wann immer die tonlose Glocke des Todes oder der Abreise erklingen mag, werde auch ich jemand sein, der nicht mehr hier ist, an seinem Platz, ein altes Kopiergerät, das man im Schrank unter dem Treppenabsatz verstaut. Jawohl, morgen, oder wenn das Schicksal sein Machtwort spricht, wird ein Ende haben, was in mir vorgab, ich zu sein. Werde ich in meine Heimat zurückkehren? Ich weiß es nicht. Heute ist die Tragödie sichtbar, weil jemand fehlt, fühlbar, weil sie nicht verdient, gefühlt zu werden. Mein Gott, der Dienstmann des Büros hat uns verlassen.

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O Nacht, deren Sterne Licht lügen, o Nacht, einzige Wesenheit groß wie das Weltall, mache mich mit Leib und Seele zu einem Teil deines Leibes, damit ich mich verliere, bloße Finsternis werde und ebenfalls Nacht, ohne Träume in mir wie Sterne noch das Hoffen auf ein Sonnenstrahlen aus der Zukunft.

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Zuerst ist es ein Geräusch, das ein anderes Geräusch erzeugt im hohlen Dunkel der Dinge. Dann ein vages Geheul, begleitet vom knarrenden Schwingen der Straßenschilder. Dann plötzlich gellt die Stimme des Raumes, tobt, und alles fährt zusammen, hört auf zu schwingen, und Stille liegt in der Angst vor all dem, wie eine dumpfe Angst, die eine andere, schon verflogene Angst gewahrt.

Dann nichts als Wind – nur Wind, und schläfrig nehme ich wahr, wie die Türen in ihren Angeln erzittern und das Glas in den Fenstern klirrend widersteht.

Ich schlafe nicht. Ich bin zwischen[53]  . Bewußtseinsspuren bleiben. Der Schlaf lastet auf mir ohne die Last der Unbewußtheit … Ich bin nicht. Der Wind … Ich wache auf, schlafe wieder ein und habe noch immer nicht geschlafen. Eine Landschaft aus lauten, unbestimmten Geräuschen, jenseits der ich mir fremd bin. Vorsichtig genieße ich die Möglichkeit, zu schlafen. Ich schlafe tatsächlich, doch weiß ich nicht, ob ich schlafe. In dem, was wir für Schlaf halten, liegt immer ein Geräusch vom Ende aller Dinge, des Windes im Dunkel und, höre ich genauer hin, das Geräusch meiner Lungen und meines Herzens.