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Wir anderen, besser Gearteten mieden Staat und Gesellschaft, verlangten nichts und wünschten nichts und versuchten statt dessen, das Kreuz unseres bloßen Existierens auf den Kalvarienberg des Vergessens zu schleppen. Eine aussichtslose Bemühung für denjenigen, der nicht, wie der Träger des Kreuzes, einen göttlichen Ursprung in seinem Bewußtsein fühlt.

Andere haben sich extrovertiert dem Kult der Verwirrung und des Lärms ergeben und zu leben gemeint, wenn sie sich nur selber hörten, und zu lieben geglaubt, wenn sie mit den Äußerlichkeiten der Liebe zusammenprallten. Das Leben schmerzte uns, weil wir wußten, daß wir lebendig waren; das Sterben erschreckte uns nicht, denn wir hatten die normale Vorstellung vom Tod verloren.

Andere jedoch, Rasse des Endes, geistige Grenze der toten Stunde, fanden nicht einmal den Mut zur Negation und zum Asyl in sich selber. Ihr Leben verlief in Verneinung, in Unzufriedenheit und in Trostlosigkeit. Wir aber erleben es von innen, untätig, auf ewig gefangen – zumindest in der Art unserer Lebensführung – zwischen den vier Wänden unseres Zimmers und den vier Mauern unseres Unvermögens zu handeln.

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Ästhetik der Mutlosigkeit

Da wir dem Leben keine Schönheit abzuringen vermögen, sollten wir zumindest versuchen, unserem Unvermögen Schönheit abzuringen. Verwandeln wir unser Scheitern in einen Sieg, in etwas Positives, Erhabenes, mit Säulen, Würde und unserer geistigen Zustimmung!

Auch wenn das Leben uns [nicht] mehr gegeben hat als eine Gefängniszelle, sollten wir versuchen, diese auszuschmücken, und wenn es nur mit den Schatten unserer Träume ist, ihren bunten Zeichnungen, mit denen wir unser Vergessen eingraben in die stillstehende Äußerlichkeit der Mauern.

Wie alle Träumer habe ich stets gefühlt, daß ich zum Erschaffen berufen bin. Da ich niemals vermochte, eine Anstrengung zu unternehmen oder ein Vorhaben in die Tat umzusetzen, war erschaffen für mich stets gleichbedeutend mit träumen, wollen oder sehnen und handeln mit dem Träumen vom Handeln, zu dem ich so gerne fähig gewesen wäre.

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Meine Lebensunfähigkeit nannte ich Genie, meine Feigheit bemäntelte ich mit dem Namen Vollkommenheit. Ich hob mich – mit Falschgold vergoldeter Gott – auf einen bemalten Pappaltar, eine Marmorimitation.

Doch ich vermochte weder mich zu täuschen noch das […] meiner Selbsttäuschung.

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Die Freude am Eigenlob …

Regenlandschaft

Sie riecht für mich nach Kälte, nach Kummer, nach der Unmöglichkeit aller Wege und jedes geträumten Ideals.

Frauen machen heute ein solches Aufheben um ihr Äußeres und ihr Gehabe, daß sie den schmerzlichen Eindruck von Vergänglichkeit und Unersetzlichkeit vermitteln …

Ihre […] verschönern sie so farbenprächtig, daß sie weniger Wesen aus Fleisch und Blut gleichen als einer dekorativen Zierde. Friese, Täfelungen, Gemälde – realistisch betrachtet sind sie nicht mehr als …

Das bloße Umlegen eines Schals bedarf heutzutage einer größeren, auf Wirkung bedachten Sorgfalt als früher. Ehemals war der Schal Teil der Kleidung; heute ist er ein Accessoire, das der Intuition eines rein ästhetischen Genusses entspringt.

In unserer Zeit, wo man so begierig mit allem Kunst treibt, entreißt alles dem Bewußten Blütenblätter und ergeht sich […] in ekstatischer Plänkelei.

Flüchtige aus nicht gemalten Gemälden, all diese Frauengestalten … Bisweilen zu detailliert … Manche Profile sind von übertriebener Schärfe, als versuchten sie unwirklich zu erscheinen, so losgelöst sind ihre reinen Linien vom Hintergrund.

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Meine Seele ist ein verborgenes Orchester; ich weiß nicht, welche Instrumente, Geigen und Harfen, Pauken und Trommeln es in mir spielen und dröhnen läßt. Ich kenne mich nur als Symphonie.

Alle Anstrengung ist ein Verbrechen, denn alles Tun ist ein toter Traum.

Deine Hände sind gefangene Tauben. Deine Lippen stumme Tauben (die kommen, vor meinen Augen zu gurren).

All dein Tun ist ein Vogeclass="underline" eine Schwalbe, wenn du dich niederläßt, ein Kondor, wenn du mich ansiehst, ein Adler, wenn du, gleichgültig Hochmütige, in Verzückung gerätst. Betrachte ich dich, sehe ich einen See rauschender Schwingen […]

Ganz beschwingt bist du, ganz […]

Es regnet, regnet, regnet …

Es regnet unaufhörlich, jämmerlich […]

Mein Körper läßt meine Seele vor Kälte zittern … Nicht vor der Kälte in der Luft, sondern der Kälte, die beim Anblick des Regens aufkommt …

Alles Vergnügen ist Laster, denn Vergnügen suchen alle im Leben, und das einzig wirklich verwerfliche Laster ist, zu tun, was alle tun.

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Zuweilen schnürt mir, ohne daß ich es erwartet hätte oder erwarten müßte, das Erstickende des Gewöhnlichen die Kehle zu, und ich verspüre körperlichen Ekel vor der Stimme, den Gesten meiner sogenannten Mitmenschen. Unmittelbaren körperlichen Ekel, unmittelbar spürbar in Magen und Kopf, törichtes Wunder der wachen Sensibilität … Jeder, der mich anspricht, jedes Gesicht, dessen Augen mich ansehen, trifft mich wie eine Beleidigung oder wie eine Niedertracht. Das Entsetzen über alles steht mir bis zum Hals. Mir wird schwindlig vom Fühlen, wie ich all dies fühle.

Und in diesen Momenten der Verzweiflung meines Magens steht fast immer ein Mann, eine Frau oder ein Kind als wirklicher Repräsentant dieser Banalität vor mir, die mich quält. Nicht repräsentativ für ein subjektives, überlegtes Gefühl meinerseits, sondern für eine objektive Wahrheit, die äußerlich dem entspricht, was ich innerlich fühle, und mir durch eine magische Analogie das Beispiel für die Regel liefert, die ich aufstelle.

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Es gibt Tage, an denen jeder Mensch, dem ich begegne, und noch mehr die Menschen, mit denen ich zwangsläufig Umgang habe, wie Symbole aussehen und entweder einzeln oder miteinander verbunden eine prophetische oder okkulte Schrift bilden, aufgezeichnet aus Schatten meines Lebens. Das Büro wird zu einer Seite mit Worten aus Menschen; die Straße ist ein Buch; die Worte, die ich mit gewohnten und ungewohnten Menschen wechsle, sind Phrasen, für die mir das Wörterbuch, nicht aber ganz das Verständnis fehlt. Sie sprechen und drücken etwas aus, aber sie sprechen nicht von sich selbst und drücken sich nicht selbst aus; es sind, wie gesagt, Worte, und sie zeigen nichts, sie lassen durchscheinen. Doch in meiner verdämmernden Vision gewahre ich nur undeutlich, was diese plötzlich auf der Oberfläche der Dinge enthüllten Glasscheiben von jenem Inneren erkennen lassen, das sie verhüllen und enthüllen. Ich begreife ohne Kenntnis, wie ein Blinder, dem man von Farben redet.

Bisweilen, wenn ich durch die Straßen gehe, vernehme ich Bruchstücke intimer Gespräche, und fast alle betreffen die andere Frau, den anderen Mann, den jungen Mann einer dritten oder die Geliebte eines vierten …

Beim bloßen Anhören dieser Schatten menschlicher Rede, worin sich erschöpft, womit sich die Mehrheit bewußter Menschen beschäftigt, überkommt mich Abscheu und Langeweile, eine Angst vor dem Exil unter Spinnen und das Bewußtsein, unter wirklichen Menschen erdrückt zu werden; ich fühle mich dazu verurteilt, dem Vermieter und den übrigen Mietern des Häuserblocks gegenüber ein gleichgestellter Nachbar zu sein, der angeekelt durch das hintere Gitter des Lagerraums den fremden Müll betrachtet, der sich bei Regen in dem Hinterhof stapelt, der mein Leben ist.