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Das Leben ist ein Knäuel, das jemand verwirrt hat. Ist es jedoch ordentlich aufgerollt oder der Länge nach ausgerollt, hat es einen Sinn. So aber wie es ist, ist es ein Problem ohne Anfang und Ende, ein heilloses Durcheinander.

Während ich fühle, was ich später aufschreiben werde – ich träume bereits die Formulierung meiner Sätze –, nehme ich durch das Dunkel meines Halbschlafs hindurch die Landschaften meiner vagen Träume wahr und das Geräusch des Regens, das sie noch vager erscheinen läßt. Rätsel der Leere, flimmernd vor Abgründigkeit, und durch sie hindurch, sich unnütz verströmend, das äußere Klagen des Regens, ein unablässig wiederholtes Detail der Landschaft des Gehörs. Hoffnung? Nein. Vom unsichtbaren Himmel fällt hörbar melancholisch Wasser, gepeitscht vom Wind. Ich schlafe weiter.

Zweifellos hat sich die Tragödie, aus der das Leben hervorging, in den Alleen eines Parks zugetragen. Sie waren zu zweit, waren schön und wollten anders sein; die Liebe ließ auf sich warten in der Abscheu vor der Zukunft, und die Sehnsucht nach Kommendem erwies sich als Tochter der Liebe, die sie nicht erfahren hatten. So gingen sie Hand in Hand ohne Wünsche noch Hoffnungen im Mondlicht, gemildert durch die nahen Wälder, durch die Leere verlassener Alleen. Sie waren ganz Kinder, da sie es nicht wirklich waren. Von Allee zu Allee, Silhouetten zwischen Bäumen, bewegten sie sich wie Scherenschnitte durch dieses Niemands-Bühnenbild. Und so entschwanden sie, immer vereinter und immer getrennter, in der Nähe der Brunnen, und das Geräusch des schwachen, jetzt verstummenden Regens wurde zum Rauschen der Fontänen, in deren Richtung sie sich verloren. Ich bin die Liebe, die sie erlebten, und kann sie daher in meinen schlaflosen Nächten hören und auch im Unglück leben.

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Ein Tag (Zickzack)

Keine Haremsdame gewesen zu sein! Wie leid ich mir tue, daß mir solches nicht widerfahren ist!

Letztlich bleibt vom Heute, was vom Gestern blieb und vom Morgen bleiben wird: das unstillbare, grenzenlose Verlangen, allzeit derselbe und zugleich ein anderer zu sein.

Komm herab von deiner Unwirklichkeit über die Stufen meines Traums und meiner Müdigkeit, komm herab und ersetze die Welt.

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Lob der Unfruchtbaren

Sollte ich mir je eines Tages unter den irdischen Frauen eine zum Weibe wählen, dann erbitte du für mich in deinem Gebet, daß sie unfruchtbar sein möge. Und erbitte auch, falls du denn für mich betest, daß es nie dazu kommen möge, daß ich diese Vermeintliche zur Frau nehme.

Einzig die Unfruchtbarkeit ist edel und würdig. Einzig das Töten dessen, was niemals war, ist erhaben, pervers und absurd.

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Ich träume nicht davon, dich zu besitzen. Wozu auch? Ich würde meinen Traum nur herabwürdigen. Einen Körper zu besitzen heißt banal sein. Davon träumen, einen Körper zu besitzen, ist vielleicht noch schlimmer, sofern dies überhaupt möglich ist: denn dies hieße, davon träumen, banal zu sein – der Horror schlechthin.

Und da wir unfruchtbar sein wollen, laß uns auch keusch sein, denn nichts ist abscheulicher und niedriger als dem Fruchtbaren der Natur zu entsagen und hinterrücks am Genuß festzuhalten, den uns unser Entsagen verschafft. Es gibt kein halbherzig edles Verhalten.

Laß uns keusch sein wie Eremiten, rein wie geträumte Leiber, und uns damit abfinden, nicht anders zu sein, närrische Betschwestern …

Möge unsere Liebe uns Gebet sein … Salbe mich mit deinem Anblick, und ich werde die Augenblicke, in denen ich dich träume, in einen Rosenkranz verwandeln, und mein Überdruß wird das Paternoster sein und meine Angst das Ave-Maria …

Laß uns so bleiben bis in alle Ewigkeit: eine Männergestalt in einem Kirchenfenster von Angesicht zu Angesicht mit einer Frauengestalt in einem anderen Kirchenfenster … Zwischen uns Schatten, kalt hallende Schritte, die vorüberziehende Menschheit … Gebetsgemurmel, geheimnisvolles […], bisweilen erfüllt Weihrauch- […] die Luft. Dann wieder versprengt eine Statue Weihwasser … und wir, die Kirchenfenster, sind die immergleichen, in den Farben, wenn die Sonne auf uns fällt, in den Umrissen, wenn die Nacht hereinbricht … Die Jahrhunderte werden nicht an unserer gläsernen Stille rühren … Draußen werden Zivilisationen vorüberziehen, Revolten ausbrechen, Feste rauschen, friedliche, alltägliche Völkerschaften vorübereilen … Und wir, meine unwirkliche Liebe, werden in der immergleichen nutzlosen Bewegung verharren, in der immergleichen falschen Existenz, der immergleichen […]

Bis eines Tages, Jahrhunderte und Reiche werden vergangen sein, die Kirche einstürzt und alles endet …

Wir aber, die wir nichts wissen von ihr, werden weiter, ich weiß nicht wie, nicht in welchem Raum noch wie lange, fortdauern als bunte Glasfenster, Stunden naiver Linienführung, Pinselstriche eines Künstlers, der lange schon unter einer gotischen Grabplatte schläft, auf der zwei Engel mit gefalteten Händen die Vorstellung vom Tod in Marmor erstarren lassen.

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Dinge, die wir träumen, haben nur eine Seite … Wir können sie nicht umrunden … Können ihre andere Seite nicht sehen. Das Dumme an den Dingen des Lebens ist: Wir können sie von allen Seiten betrachten … Dinge, die wir träumen, haben wie unsere Seele nur die Seite, die wir sehen.

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Nicht abzuschickender Brief

Ich erlasse es Ihnen, so zu erscheinen, wie es meiner Vorstellung entspricht.

Ihr Leben […]

Meine Liebe? Nein! Ihr Leben, nichts sonst.

Ich liebe Sie, wie ich den Sonnenuntergang liebe oder den Mondschein, und ohne vom Augenblick mehr festhalten zu wollen als den Wunsch, er möge dauern.

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1551932

Nichts belastet so sehr wie fremde Zuneigung – nicht einmal fremder Haß, denn Haß ist weniger anhänglich als Zuneigung; da er eine unangenehme Gefühlsregung ist, neigt er, bei dem, der ihn empfindet, unwillkürlich dazu, weniger häufig aufzutreten. Doch bedrückt uns Haß ebenso wie Liebe; beide suchen uns, suchen uns heim, lassen uns nicht allein.

Ideal für mich wäre, alles wie im Roman zu erleben und im Leben zu ruhen – meine Gefühlsregungen zu lesen und meine Verachtung für sie zu leben. Für jemandem mit lebhafter Phantasie sind die Abenteuer eines Romanhelden Erregung genug und mehr noch, da sie sowohl seine als auch unsere Abenteuer sind. Aber keines ist größer, als Lady Macbeth geliebt zu haben, wahrhaft und wirklich; und was bleibt dem, der so geliebt hat, anderes, als niemanden mehr zu lieben in diesem Leben, will er Ruhe finden?

Ich sehe keinen Sinn in dieser Reise, die zu unternehmen ich gezwungen war zwischen zwei Nächten und in Gesellschaft des gesamten Weltalls. Immerhin kann ich lesen, um auf andere Gedanken zu kommen. Lesen scheint mir das einfachste Mittel, diese wie jede andere Reise angenehm zu gestalten; bisweilen sehe ich von dem Buch auf, in dem ich wirklich empfinde, und nehme wie ein Fremder die vorüberfliegende Landschaft wahr: Felder, Städte, Männer und Frauen, Zuneigungen und Sehnsüchte – und all dies ist für mich nur mehr eine Begleiterscheinung meines Ruhens, eine geruhsame Abwechslung, ein Ausruhen meiner Augen von allzu vielen gelesenen Seiten.