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All dies hier, geäußert wie es empfunden wurde, ist ein Resultat der großen, scheinbar grundlosen Müdigkeit, die mich heute unvermittelt überkommen hat. Ich bin nicht nur müde, sondern auch betrübt, und der Grund für diese Betrübnis ist ebenfalls unbekannt. Ich bin aus Angst den Tränen nahe – nicht Tränen, die man weint, sondern unterdrückt, Tränen einer Krankheit der Seele, nicht eines fühlbaren Schmerzes.

Wie lange habe ich gelebt, ohne gelebt zu haben! Wieviel habe ich gedacht, ohne gedacht zu haben! Auf mir lasten Welten statischen Ungestüms und reglos durchlebter Abenteuer. Ich bin all dessen müde, was ich nie hatte noch je haben werde, und aller künftigen Götter überdrüssig. Ich trage die Wunden aller Schlachten, die ich nie schlug. Meine Muskeln sind müde von der Anstrengung, die ich nie auch nur in Gedanken unternahm.

Trübe, stumm, nichtig … Der Himmel in der Höhe ist der eines toten, fleckigen Sommers. Ich betrachte ihn, als wäre er nicht dort. Ich schlafe, was ich denke, liege im Gehen, ich leide und spüre nichts. Mein so sehnsüchtiges Verlangen gilt nichts, ist nichts, wie der hohe Himmel, den ich nicht sehe, in den ich starre – nicht ich.

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In der strahlenden Vollkommenheit des Tages steht die durchsonnte Luft gleichwohl still. Es ist nicht die drückende Atmosphäre des aufziehenden Gewitters, nicht das Unbehagen der willenlosen Körper, nicht die leichte Eintrübung des wahrhaft blauen Himmels. Es ist eher die spürbare Reglosigkeit, die den Gedanken an Nichtstun aufkommen läßt und leicht wie eine Feder das müde Gesicht streift. Der Sommer hat seinen Höhepunkt erreicht. Das Land lockt sogar den, der sich nichts aus ihm macht.

Wäre ich ein anderer, wäre dies für mich ein glücklicher Tag, denn ich spürte ihn, ohne an ihn zu denken. Ich legte freudig meine normale Arbeit beiseite – die Arbeit, die mir alle Tage als eintönig anormal erscheint. Ich verabredete mich mit Freunden und nähme die Straßenbahn nach Benfica. Wir würden bei Sonnenuntergang im Freien zu Abend essen. Unsere Freude wäre Teil der Landschaft und würde von allen, die uns sähen, als solche erkannt.

Da ich jedoch ich bin, genieße ich ein bißchen das bißchen, das mir vorgaukelt, ich sei dieser andere. Jawohl, er-ich wird sogleich unter Weinranken oder Bäumen doppelt soviel essen, wie ich essen kann, doppelt soviel trinken, wie ich zu trinken wage, doppelt soviel lachen, wie zu lachen ich mir vorstellen kann. Erst er, jetzt ich. Gewiß, einen Augenblick lang war ich ein anderer: Ich sah, erlebte in einem anderen die schlichte tierische Freude, als Mensch in Hemdsärmeln zu existieren. Ein großer Tag, der mich so träumen ließ! Blau und erhaben steht er in der Höhe – wie mein ephemerer Traum, an irgendeinem Feierabend ein rundum gesunder Handelsreisender zu sein.

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Natur ist, wo wir nicht sind. Dort, nur dort gibt es wirklichen Schatten und wirkliche Bäume.

Das Leben ist ein Zögern zwischen Ausruf und Frage. Im Zweifel gibt es einen Schlußpunkt.

Das Wunder ist Gottes Faulheit oder vielmehr die Faulheit, die wir Ihm zuschreiben, indem wir das Wunder erfinden.

Die Götter sind die Inkarnation dessen, was wir niemals sein können.

Das Müdesein aller Hypothesen …

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Der leichte Rausch eines leichten Fiebers, dieses Unwohlsein von Kopf bis Fuß, matt und kalt in den schmerzenden Gliedern, heiß in den Augen unter pochenden Schläfen – an diesem Unwohlsein hänge ich wie ein Sklave an einem geliebten Tyrannen. Es verleiht mir diese gebrochene, vibrierende Passivität, in der ich flüchtige Visionen habe, um Ideen kreise und mich verliere in jäh aufkommenden Gefühlen.

Denken, Fühlen, Wollen werden zu einer einzigen verworrenen Sache. Glaubensüberzeugungen, Empfindungen, geträumte und wirkliche Dinge geraten zu einem heillosen Durcheinander, wie die Inhalte auf den Böden geleerter Schubladen.

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Dem Gefühl des Genesens haftet etwas melancholisch Heiteres an, zumal, wenn die vorausgegangene Krankheit kaum spürbar war in den Nerven. Eine Art Herbst liegt über Gemütsbewegungen und Gedanken oder vielmehr ein Frühlingsbeginn, der, auch ohne fallende Blätter, in Luft und Himmel herbstlich ist.

Die Mattigkeit schmeckt gut, und was gut schmeckt, schmerzt immer ein wenig. Obgleich mitten im Leben, fühlen wir uns ein wenig außerhalb, wie auf dem Balkon des Hauses, in dem es sich abspielt. Wir sind nachdenklich, ohne zu denken, wir fühlen, ohne bestimmbare Gefühle. Der Wille ruht, denn er wird nicht gebraucht.

Dann aber kommen bestimmte Erinnerungen, bestimmte Hoffnungen, bestimmte unbestimmte Wünsche langsam den Hang unseres Bewußtseins hoch, undeutlich wie Wanderer, vom Gipfel eines Berges aus gesehen. Erinnerungen an belanglose Dinge, nicht erfüllte Hoffnungen, um die es nicht schade war, Wünsche, weder heftig von Natur aus noch in ihrer Äußerung, unfähig, auch nur existieren zu wollen.

Wenn der Tag sich einstellt auf diese Empfindungen, wie der Tag heute, der trotz Sommer halb bewölkt ist, halb blau, und ein schwacher Wind weht, der, weil nicht warm, fast kalt ist, ja, dann verstärkt sich jener Seelenzustand, in dem wir diese Eindrücke denken, fühlen und erleben. Nicht daß unsere Erinnerungen, Hoffnungen, Wünsche deutlicher wären. Aber wir verspüren sie stärker, und ihre unbestimmte Summe lastet absurderweise ein wenig auf unserem Herzen.

Etwas in mir ist fern in diesem Augenblick. Ich stehe tatsächlich auf dem Balkon des Lebens, aber nicht wirklich dieses Lebens. Ich stehe über ihm und sehe es, von wo ich sehe. Es liegt vor mir, mit Abhängen und Terrassen, wie eine vielgestaltige Landschaft bis hin zum Rauch über den weißen Häusern der Dörfer im Tal. Auch wenn ich die Augen schließe, sehe ich, denn ich sehe nicht. Wenn ich sie öffne, sehe ich nichts mehr, denn ich habe nicht gesehen. Ich bin eine unbestimmte Sehnsucht, nicht nach der Vergangenheit, nicht nach der Zukunft: Ich bin eine Sehnsucht nach der Gegenwart, namenlos, unaufhörlich, unverstanden.

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Die Klassifikatoren von Dingen, also jene Wissenschaftler, deren Wissenschaft nur im Klassifizieren besteht, wissen im allgemeinen nicht, daß das Klassifizierbare unendlich ist und also nicht klassifiziert werden kann. Was mich dabei aber in Erstaunen versetzt, ist, daß sie die Existenz von klassifizierbaren Unbekannten außer acht lassen, Vorgänge der Seele und des Bewußtseins, die in den Zwischenräumen der Erkenntnis geschehen.

Weil ich vielleicht zuviel denke oder träume, mache ich keinen Unterschied zwischen der Realität, die existiert, und dem Traum, der Realität, die nicht existiert. Und so schiebe ich in meine Betrachtungen über Himmel und Erde Dinge ein, die nicht in der Sonne glitzern oder mit Händen zu greifen sind – schwer faßbare Wunder der Einbildungskraft.

Ich vergolde mich mit vorgestellten Sonnenuntergängen, aber auch das Vorgestellte ist in der Vorstellung lebendig. Ich freue mich über imaginäre Brisen, das Imaginäre aber lebt, wenn man es sich vorstellt. Verschiedenen Hypothesen zufolge habe ich eine Seele, aber diese Hypothesen haben ihre eigene Seele, und die schenken sie mir.