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Ihre Häuser gewährten mir Unterkunft, ihre Hände schüttelten die meine, sie sahen mich durch die Straßen gehen, als ginge ich dort wirklich; doch ich war nie der, der ich bin, in ihren Räumen; der, dessen Leben ich lebe, hat keine Hände, die andere schütteln könnten; der, als den ich mich kenne, geht durch keine Straße, es sei denn durch alle Straßen, und man sieht ihn dort nicht, es sei denn, er selbst wäre alle anderen.

Wir alle leben fern und namenlos; verkleidet leiden wir als Unerkannte. Einigen jedoch wird dieser Abstand zwischen dem einen und dem anderen Sein nie deutlich; anderen wird er, zu ihrem Entsetzen oder Kummer, gelegentlich hellauf bewußt, wie durch einen nicht endenden Blitz; für andere wieder ist er schmerzlicher und alltäglicher Bestand ihres Lebens.

Zu erkennen, daß, wer wir sind, nicht in unserer Hand liegt, daß, was wir denken und fühlen, stets eine Übersetzung ist, daß, was wir wollen, wir nicht nicht gewollt haben und vielleicht auch sonst keiner – dies alles in jeder Minute zu wissen, in jedem Gefühl zu fühlen, heißt das nicht fremd in der eigenen Seele sein, verbannt in den eigenen Wahrnehmungen?

Doch die Maske, die ich reglos beobachtete, als sie in dieser letzten Karnevalsnacht an der Straßenecke mit einem Unmaskierten sprach, streckte schließlich die Hand aus und verabschiedete sich lachend. Der Mensch ohne Maske ging nach links durch die Gasse an deren Ecke ich stand. Die Maske – ein einfallsloser Domino – zog weiter und entfernte sich durch ein Wechselspiel von Licht und Schatten in einem endgültigen Abschied, fremd meinen Gedanken. Da erst bemerkte ich, daß auf der Straße noch anderes war als brennende Laternen, dort nämlich, wo sie nicht waren, verbreitete ein matter Mond sein trübes Licht, heimlich, stumm und voller Nichts wie das Leben …

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Mondlichter

… feucht beschmutzt von leblosem Braun.

… auf der klar umrissenen Schräge sich überdeckender Dächer liegt aschgraues Weiß, feucht beschmutzt von leblosem Braun.

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… Anhäufungen stufiger Schatten, auf einer Seite weiß durchsetzt, bläulich kaltes Perlmutt.

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(Regen)

Und über dem Dunkel der glänzenden Dächer wie eine apokalyptische Qual das kalte Licht des lauen Morgens. Abermals die unermeßliche Nacht zunehmender Helligkeit. Abermals das Entsetzen von eh und je – der Tag, das Leben, die trügerische Nützlichkeit, das heillose Tun. Abermals meine physische, sichtbare, soziale Person, vermittelbar durch bedeutungslose Worte, brauchbar durch die Gesten und das Bewußtsein anderer. Abermals ich, so wie ich nicht bin. Und mit dem anbrechenden Licht der Finsternis, das mit grauen Zweifeln durch die Spalten in den Fensterläden fällt (sie haben so gar nichts Hermetisches!), begreife ich allmählich, daß ich nicht länger festhalten kann an dieser Zuflucht, im Bett zu liegen, nicht zu schlafen, aber schlafen und träumen zu können, nicht wissend, was wahr und was wirklich ist, zwischen der Wärme sauberer Laken und meiner – abgesehen von diesem wohligen Gefühl – nicht gespürten körperlichen Existenz. Ich spüre die Privilegien des Halbdunkels schwinden und mit ihnen die trägen Flüsse unter den schemenhaften Zweigen der Wimpern und das Rauschen der Kaskaden, verloren zwischen dem langsamen Pochen des Blutes in meinen Ohren und dem fortdauernd nieselnden Regen. Ich verliere mich, um lebendig zu werden.

Ich weiß nicht, ob ich schlafe oder nur spüre, daß ich schlafe. Ich träume nicht wirklich, sondern scheine aus einem schlaflosen Schlaf zu erwachen, denn wie eine Flut steigen die ersten städtischen Geräusche zu mir auf aus dem vagen Unten mit seinen von Gott erschaffenen Straßen. Es sind heitere Geräusche, gefiltert durch die Traurigkeit des Regens, der vielleicht schon aufgehört hat – ich höre ihn nicht mehr im Augenblick –, da ist nur das übermäßige Grau, das von fern durch die Spalten in das Dunkel eines Lichtes fällt, das zu schwach ist für diese frühe Stunde, wie früh sie auch immer sein mag … Heitere, vereinzelte Geräusche, sie tun mir in der Seele weh, als riefen sie mich zu einer Prüfung oder Exekution. Jeder neue Tag erscheint mir, wenn ich ihn vom Bett aus, in dem ich von nichts weiß, anbrechen höre, als für mich bedeutsam, und ich habe nicht den Mut, ihn anzugehen. Jeder neue Tag ruft mich, wenn ich spüre, wie er sich aus seinem Schattenbett erhebt und die Laken in Straßen und Gassen abstreift, vor ein Tribunal. In jedem neuen Heute werde ich gerichtet. Und der ewig Verurteilte in mir klammert sich an das Bett wie an die verlorene Mutter und streichelt das Kopfkissen, als könne ihn die Amme vor den Menschen beschützen.

Die zufriedene Siesta des großen Tiers unter schattigen Bäumen die frische Müdigkeit des Zerlumpten im hohen Gras, die Lethargie des Schwarzen an einem fernen, lauen Nachmittag, die Wonne des Gähnens, das auf matten Lidern lastet, alles, was uns hilft, zu vergessen und Schlaf zu finden, die erholsame Ruhe im Kopf, die leise die Fensterläden unserer Seele anlehnt, die namenlose Liebkosung des Schlafens.

Schlafen und, ohne es zu wissen, fern sein, ausgestreckt daliegen, mit dem eigenen Körper vergessen; die Freiheit haben, unbewußt zu sein, die Zuflucht eines vergessenen Sees, still zwischen Bäumen in der Weite der Wälder.

Ein Nichts, das atmet, ein leichter Tod, aus dem man frisch und sehnsuchtsvoll erwacht, ein Nachgeben der Seelenschichten bei der Massage des Vergessens.

Ach, und abermals höre ich, wie den erneuten Protest von einem, der sich nicht überzeugen ließ, den Regen jäh auf das inzwischen heller gewordene Weltall niederrauschen. Ich spüre bis ins Mark eine Kälte, als hätte ich Angst. Und geduckt und nichtig, Mensch und mit mir allein in dem schwachen Dunkel, das mir noch bleibt, weine ich. Ja, ich weine, ich weine vor Einsamkeit und Leben, und mein nichtiger Kummer liegt wie ein Wagen ohne Räder am Rande der Realität zwischen dem Unrat der Verlassenheit. Ich weine über alles, den Verlust des Mutterschoßes, den Tod der Hand, die man mir reichte, die Arme, die mich nie umfingen, die Schulter, an die ich mich nie lehnen konnte … Und der Tag, der endgültig anbricht, der Kummer, der in mir aufsteigt wie die nackte Wahrheit des Tages, was ich träumte, was ich dachte, was ich in mir vergaß – all das, dieses Amalgam aus Schatten, Fiktionen und Gewissensbissen auf der Fahrspur der Welten, fällt unter die Dinge des Lebens wie die Stiele der gestohlenen Trauben, die Jungen im Schutz der Straßenecke essen.

Das Geräusch des menschlichen Tages nimmt mit einem Mal zu wie ein Klingelton. Im Inneren des Hauses öffnet sich sanft das Schloß der ersten Tür ins Leben. Ich vernehme Pantoffeln auf einem absurden Gang, der zu meinem Herzen führt. Und mit einer jähen Bewegung, wie einer, dem es endlich gelingt, sich umzubringen, reiße ich mir die Bettlaken – meinen weichen, behaglichen Schutz – vom steifen Leib. Ich bin hellwach. Das Geräusch des Regens verklingt nach oben, ins unklare Äußere. Ich fühle mich glücklicher. Ich habe etwas erfüllt, was, weiß ich nicht. Ich stehe auf, trete ans Fenster und öffne mutig entschlossen die Läden. Das sanfte Licht eines leuchtend klaren Regentags flutet an meine Augen. Ich öffne die Fenster. Frische Luft legt sich feucht auf meine warme Haut. Es regnet, ja, regnet immer noch, aber weniger! Ich will mich erfrischen, ich will leben und halte dem Leben meinen Hals hin wie einem riesigen Ochsenjoch.

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2981933

Hin und wieder herrscht in Lissabon ländliche Ruhe. Manchmal, insbesondere zur Mittagszeit im Sommer, kommt das Land wie ein Windstoß in die lichterfüllte Stadt. Und sogar hier in der Rua dos Douradores schlafen wir dann einen ruhigen Schlaf.