»Ich spiele dort überhaupt keine Rolle. Ich glaube, Ihr wisst bereits, dass niemandem allein aufgrund seiner Herkunft ein hohes Amt übertragen wird. Die Söhne der Coronals kümmern sich so gut es geht um sich selbst, doch versprochen ist ihnen nichts. Als ich aufwuchs, musste ich erkennen, dass meine Brüder die meisten zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bereits ergriffen hatten. Ich lebe von meiner Apanage. Sie ist recht bescheiden«, fügte Furvain hinzu, da ihm klar wurde, dass Kasinibon möglicherweise an Lösegeldforderungen dachte.
»Dann habt Ihr keine offizielle Position? Ist es das, was Ihr mir sagen wollt?«
»Keine.«
»Was tut Ihr dann? Nichts?«
»Nichts, was man als Arbeit bezeichnen könnte, würde ich meinen. Ich verbringe meine Zeit als Gefährte meines Freundes, des Herzogs von Dundilmir. Meine Aufgabe ist es, den Herzog und seinen Hof zu unterhalten. Ich besitze eine gewisse Begabung, Gedichte zu verfassen.«
»Gedichte!«, rief Kasinibon. »Ihr seid ein Dichter? Aber das ist wundervoll!« Ein neuer Glanz trat in seine Augen, ein sehr offener Ausdruck, der seinem Gesicht vorübergehend jede Verschlagenheit nahm, sodass er seltsam jung und verletzlich aussah. »Die Dichtkunst ist meine große Leidenschaft«, fügte er beinahe im Verschwörerton hinzu. »Mein Trost und meine Freude, da ich doch hier im Nichts lebe, so weit von zivilisierten Zerstreuungen entfernt. Tuminok Laskil! Vornifon! Dammiunde! Wenn Ihr nur wüsstet, wie viele ihrer Werke ich auswendig gelernt habe!«
Er baute sich auf wie ein Schuljunge und begann ein Gedicht von Dammiunde zu rezitieren. Es war eines seiner schwülstigsten Werke, ein todernstes, romantisch verklärtes Gedicht über edle Liebende, das Furvain schon als Knabe ausgesprochen lächerlich gefunden hatte. Er hatte Mühe, seinen Gesichtsausdruck zu beherrschen, als Kasinibon einen Auszug aus diesen grotesken Versen zitierte, die von einer wilden Jagd durch die Sümpfe von Kajit Kabulon handelten. Offenbar bemerkte Kasinibon nach einer Weile, dass sein Gast nicht unbedingt die größte Hochachtung für Dammiundes Werk empfand, denn seine Wangen glühten auf einmal vor Verlegenheit, und er brach seinen Vortrag unvermittelt ab. »Etwas altmodisch vielleicht. Aber ich liebe es seit meiner Kindheit.«
»Es ist nicht unbedingt eins meiner Lieblingsgedichte«, gab Furvain zu, »aber Tuminok Laskil dagegen hat ja durchaus…«
»Ah ja, Tuminok Laskil!« Und schon rezitierte Kasinibon eines von Laskils rührseligsten Stücken, das der Dichter aus Nimoya in seiner frühesten Jugend verfasst hatte. Hier gelang es Furvain nicht einmal, seine Verachtung zu verbergen. Wieder errötete Kasinibon und brach den Vortrag mitten im Satz ab, um hastig zu einem viel späteren Werk zu wechseln, dem schwermütigen »Sonett der Versöhnung«, das er mit überraschender Gewandtheit und Gefühlstiefe vortrug.
Furvain kannte das Gedicht gut, und er liebte es und sprach im Geiste bis zum Ende mit, während Kasinibon es vortrug. Am Ende sah er sich unerwartet berührt, nicht nur durch das Gedicht selbst, sondern auch durch Kasinibons große Bewunderung für das Werk und seinen kunstvollen Vortrag.
»Dies entspricht viel eher meinem Geschmack als die ersten beiden«, sagte Furvain nach kurzem Schweigen. Er hatte das Gefühl, er müsse etwas sagen, um die unbehagliche Stille zu brechen, die sich nach dem wundervollen Gedicht über den Raum gelegt hatte.
Kasinibon schien erfreut. »Ich verstehe. Ihr gebt den tieferen, schwermütigen Werken den Vorzug, nicht wahr? Vielleicht haben die ersten beiden einen falschen Eindruck erweckt. Bitte versteht aber, dass es für mich nicht anders ist als für Euch. Meiner Ansicht nach wird der verstorbene Laskil weit überschätzt. Ich bestreite ja nicht, dass ich eine große Vorliebe für einfache Werke habe, aber ich hoffe doch, Ihr werdet mir glauben, wenn ich sage, dass ich mich der Weisheit wegen der Poesie zuwende, um Trost und Anleitung zu finden, und dass mir dies viel wichtiger ist als die oberflächliche Unterhaltung. Darf ich dann annehmen, dass auch Eure eigenen Werke eher von ernster Natur sind? Ein Mann von Eurem Geist, das ist unverkennbar, muss doch sicher ausgezeichnete Gedichte verfasst haben. Wie seltsam nur, dass ich Euren Namen trotzdem nicht kenne.«
»Ich sagte ja schon, dass es eher eine geringe Gabe ist«, erwiderte Furvain. »Sie ist gering, und meine Verse sind es auch. Leichte Unterhaltung ist das Beste, was ich zuwege bringe. Veröffentlicht ist nichts davon. Meine Freunde denken, ich sollte es tun, doch die unbedeutenden Verse, die ich erschaffe, sind der Mühe kaum wert.«
»Könntet Ihr mir denn den Gefallen tun und einen rezitieren?«
Es war ganz und gar absurd. Da stand er vor diesem Banditenanführer und erörterte Fragen zur Dichtkunst, nachdem ihn die Knechte dieses Mannes widerrechtlich festgenommen hatten. Er steckte nun in dieser klobigen Festung im Niemandsland, und es sah ganz danach aus, als sollte die Gefangenschaft eine langfristige werden. In diesem Augenblick kam ihm natürlich nichts Passendes in den Sinn, abgesehen von den schlimmsten Albernheiten, trivialen Versen, wie sie einem einfältigen Höfling einfallen mochten. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, sich diesem fremden Mann gegenüber als der leere, liderliche Erfinder oberflächlicher Verse zu erkennen zu geben, der er war. So wich er aus und behauptete, die Müdigkeit nach den Abenteuern des Tages sei zu schwer, als dass er jetzt noch zu einer ordentlichen Rezitation fähig sei.
»Dann also morgen, wie ich hoffe«, sagte Kasinibon. »Und es wäre mir eine große Freude, wenn Ihr mir nicht nur Eure größten Werke vortragen könntet, sondern wenn Ihr während Eures Aufenthalts unter meinem Dach vielleicht auch einige bemerkenswerte neue Gedichte erschaffen könntet.«
»Ah«, machte Furvain. Er sah Kasinibon lange und durchdringend an. »Und wie lang, glaubt Ihr, könnte mein Aufenthalt hier dauern?«
»Das kommt ganz darauf an«, erwiderte Kasinibon, und das schmierige, verschlagene Funkeln, dieses Mal überhaupt nicht mehr angenehm, kehrte in seine Augen zurück. »Es hängt von der Großzügigkeit Eurer Familie und Freunde ab. Doch darüber können wir morgen noch reden, Prinz Aithin.« Dann deutete er zum Fenster. Auf dem roten See funkelte jetzt das Mondlicht und zeichnete ihn als lang gestreckten roten Einschnitt, der nach Osten verlief, in die Landschaft. »Dieser Ausblick, Prinz Aithin, sollte doch für einen Mann mit Euren poetischen Gaben sicherlich inspirierend sein.«
Furvain antwortete nicht.
Kasinibon sprach unterdessen unbeeindruckt über den Ursprung des Sees, über die unzähligen Tierchen, deren zerfallende Schalen dem Gewässer seine außergewöhnliche Farbe gegeben hatten, wie ein stolzer Gastgeber seinem aufmerksamen Gast eben ein berühmtes Naturwunder der Gegend erklären mag. Doch Furvain hatte in diesem Augenblick wenig übrig für die Schönheit des Sees oder den Einfluss, den seine Bewohner auf sein Aussehen genommen hatten. Kasinibon schien dies erst nach einer ganzen Weile bewusst zu werden.
»Nun«, sagte er schließlich, »ich wünsche Euch eine gute Nacht und erholsamen Schlaf.«
Also war er tatsächlich ein Gefangener, der des Lösegeldes wegen festgehalten wurde. Was für eine hübsche, possenhafte Wendung das doch war! Und wie stimmig, dass ein Mann, der in mittleren Jahren immer noch Dammiundes kindisches, idiotisch verklärtes Gedicht mochte, auf einen Gedanken kam, der genauso gut von Dammiunde selbst hätte stammen können, nämlich Lösegeld für Furvains Freilassung zu verlangen!
Zum ersten Mal, seit er hierher gebracht worden war, empfand Furvain allerdings auch etwas wie Unbehagen. Dies war eine ernste Angelegenheit. Kasinibon mochte ein Schwärmer sein, aber er war kein Dummkopf. Seine uneinnehmbare Felsenfestung war Beweis genug. Irgendwie hatte er es geschafft, sich recht nahe am Burgberg, in einer Entfernung, die man in kaum zwei Wochen überwinden konnte, als Herrscher eines unabhängigen Reichs einzurichten, und wahrscheinlich herrschte er hier unumschränkt, war niemandem in der Welt verantwortlich, und sein Wort war Gesetz. Offensichtlich hatten seine Männer keine Ahnung, dass sie den Sohn eines Coronals entführten, als sie auf den einsamen Reisenden im goldenen Gras gestoßen waren, doch sie hatten nicht gezögert, ihn zu Kasinibon zu bringen, obwohl Furvain ihnen seine Herkunft offenbart hatte, und Kasinibon selbst schien es nicht für gefährlich zu halten, Lord Sangamors jüngsten Sohn als Gefangenen zu behandeln.