»Ja, ich fürchte, es geht um... diese Sache.« Fröhlich räusperte sich unbehaglich. »Ich weiß, es ist der denkbar schlechteste Moment, und vielleicht mag es dir und deinen Eltern sogar grausam erscheinen, aber durch den plötzlich Tod deiner Großmutter ergeben sich leider einige hm... unangenehme juristische Konsequenzen.«
»Großer Gott, Mann, doch nicht jetzt!«, keuchte Mutter.
»Ich fürchte, die Angelegenheit duldet keinerlei Aufschub«, wiederholte Fröhlich, wobei er Leonie einen fast schon verzweifelt um Verständnis flehenden Blick zuwarf.
Leonies Mutter wollte auffahren, aber ihr Vater hob rasch die Hand. »Lass ihn ausreden - bitte. Es könnte wichtig sein.«
»Danke.« Fröhlich lächelte flüchtig. »Das Problem ist - wie ich Ihnen bereits mehrfach zu erklären versuchte - Folgendes: Wir haben zwar heute Morgen alle notwendigen Unterschriften und Beglaubigungen geleistet, aber durch den so unvorhersehbar früh eingetretenen Tod ihrer geschätzten Frau Mutter ergeben sich leider ein paar Komplikationen.«
»Komplikationen?«, fragte Mutter.
»Es könnte sein, dass die Eigentumsübertragung nicht rechtskräftig ist«, sagte Fröhlich. »Jedenfalls nicht sofort.«
»Und was genau soll das heißen?«, fragte Leonies Vater. »Ich meine: So, dass auch ein normaler Mensch versteht, wovon Sie reden. Nicht nur Juristen.«
Fröhlich sah ein bisschen beleidigt aus. »Es könnte eine länger andauernde Rechtsunsicherheit eintreten, bis zu deren Klärung die normale gesetzliche Erbfolge gilt. Das heißt«, wandte er sich an Mutter, »dass zumindest für eine Weile Sie die alleinige Erbin des Geschäftes und aller anderen Besitztümer ihrer verstorbenen Frau Mutter sind.«
»Und?«, fragte Leonie. »Wen interessiert das? Mich nicht und meine Eltern ganz bestimmt auch nicht.«
»Darüber hinaus...«, Fröhlich ignorierte sie kurzerhand, »... besteht die Möglichkeit, dass die Behörden... gewisse Fragen stellen.«
»Fragen?«, wiederholte Mutter verständnislos.
Fröhlich sah weg. Aber Vater sagte ruhig: »Deine Mutter ist ums Leben gekommen, keine zwei Stunden nachdem sie ihren ganzen Besitz auf Leonie übertragen hat. Die Polizei könnte gewisse Zusammenhänge erkennen.«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst!«, entfuhr es Mutter, und auch Leonie starrte ihren Vater entsetzt an.
»Natürlich nicht«, sagte Fröhlich rasch. »Dennoch muss ich Ihrem Gatten zustimmen. Selbstverständlich ist schon der bloße Gedanke unsinnig, aber ich weiß auf der anderen Seite auch leider nur zu gut, wie die Ermittlungsbehörden denken. Zumindest bis zu dem Moment, in dem die Gründe für den Absturz restlos aufgeklärt sind, könnte irgendein übereifriger Beamter Zusammenhänge vermuten, wo gar keine sind.«
»Selbstverständlich«, sagte Mutter böse. »Wir haben das Flugzeug in die Luft gesprengt, um schneller an das Geld zu kommen.«
»Es würden zumindest einige unangenehme Fragen gestellt«, erwiderte Fröhlich ungerührt. »Ich glaube nicht, dass Sie im Augenblick in der Verfassung sind, sich...«
»Und ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht«, unterbrach ihn ihr Vater. »Sie sollten jetzt besser gehen. Es spielt überhaupt keine Rolle, wem das Geschäft gehört oder dieses verdammte Geld!«
»Ich fürchte, doch«, widersprach Fröhlich. »Ich habe durchaus Verständnis für Ihre Lage. Mehr, als Sie vielleicht glauben. Ihre geehrte Schwiegermutter war nicht nur meine Klientin, sondern auch eine gute alte Freundin. Aus diesem Grund fühle ich mich einfach verpflichtet, Ihnen Ihre Lage zu verdeutlichen.«
Eine gute alte Freundin?, dachte Leonie. Sie erinnerte sich an das Gespräch zwischen Großmutter und Fröhlich, das sie belauscht hatte. Es hatte sich für sie nicht nach einem Gespräch zwischen zwei guten alten Freunden angehört.
»Was genau soll das heißen?«, fragte sie. Das Misstrauen in ihrer Stimme war unüberhörbar.
»Es geht um den ausdrücklichen Wunsch deiner Großmutter, Leonida«, sagte Fröhlich, nun wieder direkt an sie gewandt. »Es ist so, wie sie selbst heute Morgen gesagt hat: Es ist in eurer Familie Tradition, dass das Erbe immer von der ältesten auf die jüngste Generation übergeht. Eine sehr alte und für deine Großmutter sehr wichtige Tradition.«
»Und?«, fragte Vater. »Dann warten wir eben die paar Wochen, bis die Dokumente rechtskräftig sind. Wo ist das Problem?«
»Das war nicht der Wunsch Ihrer verstorbenen Schwiegermutter«, sagte Fröhlich stur. Er klang nervös, fand Leonie. »Diese Tradition war ihr ungemein wichtig, müssen Sie wissen.«
»Und was sollen wir Ihrer Meinung nach jetzt tun?«
Fröhlich zögerte. Mit sichtlichem Unbehagen griff er in die Jackentasche und förderte einen dicken Briefumschlag zutage. »Ihre Schwiegermutter war eine sehr vorausschauende Frau. Sie hat mir schon vor Jahren präzise Anweisungen für einen Fall wie diesen gegeben. Das hier...«, er wedelte mit dem Briefumschlag, »... ist eine exakte Kopie der Dokumente, die Sie heute Morgen bereits unterschrieben haben, beglaubigt und von mir versiegelt. Sie sind ein halbes Jahr zurückdatiert. Sie müssen Sie nur noch einmal unterschreiben und die Eigentumsübertragung wäre mit sofortiger Wirkung rechtsgültig.«
»Wie bitte?«, fragte Vater. »Wissen Sie, was Sie da sagen? Das ist Urkundenfälschung! Muss ich Ihnen als Notar das erklären?«
»Nein«, antwortete Fröhlich. »Gewiss nicht. Aber dass ich bereit bin, gegen meinen Amtseid zu verstoßen, sollte Ihnen eigentlich klar machen, wie ernst ich den letzten Willen Ihrer Schwiegermutter nehme.« Er wedelte abermals mit dem Umschlag. »Sie können die Unterlagen prüfen, wenn Sie wollen. Sie werden keinen Unterschied zu denen von heute Morgen finden - bis auf das Datum.«
»Da stimmt doch etwas nicht«, sagte Vater. »Die ganze Sache stinkt zum Himmel!«
»Aber wenn es doch Mutters ausdrücklicher Wunsch war...«, wandte Leonies Mutter ein.
»Nein!« Leonie räusperte sich, trat mit einem entschlossenen Schritt zwischen Fröhlich und ihre Eltern und sagte noch einmaclass="underline" »Nein. Ich glaube Ihnen nicht.«
»Aber mein Kind...«, begann Fröhlich.
»Ich glaube nicht, dass es nur darum geht«, fuhr Leonie fort, mit leiser, aber sehr entschlossener Stimme. Sie fühlte sich nicht wohl dabei. Fröhlich war trotz allem eine Respektsperson, ein Erwachsener. Und ihre Eltern hatten sie dazu erzogen, Erwachsenen mit Respekt zu begegnen. Doch nun fuhr sie trotzdem fort: »Ich habe Sie und Großmutter heute Morgen belauscht. Ich weiß nicht genau, worum es ging, aber ich weiß, dass Sie einen Streit hatten. Sie waren mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden. Und jetzt kommen Sie hierher und wollen, dass wir irgendetwas unterschreiben?«
Fröhlich wurde blass. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich...«
»Ich denke, das reicht jetzt«, fiel ihm ihr Vater ins Wort, nicht sehr laut, aber in fast schneidendem Ton. »Sie haben meine Tochter gehört. Bitte gehen Sie jetzt, bevor ich auf die Idee komme, die Polizei zu rufen, damit sie sich Ihre Verträge etwas genauer ansieht.«
Für die Dauer eines Herzschlages sah Fröhlich beinahe so aus, als wolle er in Tränen ausbrechen, dann senkte er enttäuscht den Blick, steckte den Umschlag wieder ein und zog ihn gleich darauf wieder hervor, um ihn auf den Tisch zu legen.
»Überlegen Sie es sich noch einmal«, bat er. »Bitte. Es ist wichtig. Wichtiger, als Sie wahrscheinlich ahnen.«
Er ging ohne ein weiteres Wort. Niemand machte sich die Mühe, ihn hinauszubegleiten, doch nach ein paar Sekunden hörten sie das Geräusch der ins Schloss fallenden Haustür.