Frank fuchtelte ungeduldig mit seiner nun wieder gezogenen Pistole herum und dirigierte Fröhlich, Leonie und ihre Großmutter auf die Rückbank des geräumigen Wagens, ehe er selbst auf die andere Seite des Fahrzeugs eilte und auf dem Beifahrersitz Platz nahm.
»Los!«, befahl er unwillig.
Wohlgemuts Blick irrte fast hilflos über die Armaturen der schweren Limousine. Frank verdrehte die Augen, drückte auf einen Knopf und der starke Elektromotor des Wagens erwachte mit einem kaum hörbaren Surren zum Leben. »Einfach nur Gas geben und lenken«, sagte er. »Alles andere macht der Wagen von selbst.«
»Und... wohin?«, fragte Wohlgemut hilflos. Seine Hände zitterten fast so stark wie seine Stimme, als er das Lenkrad ergriff.
»Zurück«, blaffte Frank. »Ich habe doch gesagt, wir werden erwartet.«
»Sie wissen ja nicht, was Sie da tun«, sagte Fröhlich leise.
Frank lachte böse. »Wenn euer Freund auch dabei wäre, dieser rabiate Pfaffe, dann könnte ich mich wirklich vergessen«, sagte er, wobei er sich demonstrativ mit der freien Hand das Kinn rieb.
»Aber noch weiß ich, was ich tue. Ich kann allerdings nicht garantieren, wie lange das so bleiben wird!« Er wedelte ungeduldig mit der Pistole vor Wohlgemuts Gesicht herum. »Fahren Sie endlich los!«
Wohlgemut tat wirklich sein Bestes, aber das war leider nicht besonders gut. Einen normalen Benzinmotor hätte er vermutlich mindestens drei- oder viermal abgewürgt, bevor es ihm auch nur gelungen wäre, die Limousine auf die Straße zu bugsieren, aber auch so brach der Verkehr ringsum diesmal tatsächlich zusammen, als Wohlgemut den Wagen auf die Fahrbahn im wahrsten Sinne des Wortes hinauskriechen ließ. Das nach Leonies Erfahrungen bei solchen Anlässen übliche Hupkonzert, die bösen Blicke und das wütende Herumgefuchtele hinter Windschutzscheiben blieben aus - wie sollte es hier auch anders sein! -, aber Frank verdrehte gequält die Augen, und Leonie atmete erleichtert auf, als es Wohlgemut endlich geschafft hatte, den Wagen in den fließenden Verkehr einzufädeln, ohne eine Massenkarambolage zu verursachen. Wenigstens ließ Frank seinen Unmut nicht mehr länger an dem völlig eingeschüchterten Professor aus. Er hatte wohl eingesehen, dass Wohlgemuts Behauptung, er könne nicht Auto fahren, keine Lüge gewesen war.
»Und... wohin?«, fragte Wohlgemut nach einer Weile wieder.
»Zurück!«, antwortete Frank. Wohlgemut blickte ihn hilflos an und Frank verdrehte seufzend die Augen und sagte: »An der nächsten Kreuzung rechts.«
»Bitte, überlegen Sie noch einmal, was Sie tun«, sagte Fröhlich, zwar an Frank gewandt, aber nicht ohne Wohlgemut einen raschen, deutlich nervösen Blick zugeworfen zu haben. »Ich weiß ja nicht, wie viel von unserem Gespräch Sie belauscht haben...«
»Auf jeden Fall genug um zu wissen, dass ihr alle einen gehörigen Sprung in der Schüssel habt!«, unterbrach ihn Frank grob. Er lachte leise und abfällig. »Irgendjemand verändert also die Wirklichkeit, wie? Einfach so, indem er mit den Fingern schnippt und einen Zauberspruch murmelt, nehme ich an.«
»Anscheinend haben Sie doch nicht so genau zugehört, wie Sie zu glauben scheinen, junger Mann«, bemerkte Großmutter ruhig. »Nicht irgendjemand. Leonies Vater. Der Mann, zu dem Sie uns jetzt zurückbringen wollen. Und er tut es ganz bestimmt nicht, indem er mit den Fingern schnippt und dabei einen Zauberspruch murmelt, sondern weil er einen bestimmten Gegenstand in seine Gewalt gebracht hat, der ihm Macht über das Schicksal verleiht.«
Frank blickte sie irritiert an. Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn, aber Leonie war nicht einmal sicher, dass dieser nachdenkliche, fast erschrockene Ausdruck tatsächlich Großmutters Erklärung galt - die sie, nebenbei bemerkt, wohl auch nicht geglaubt hätte. Vielmehr war das nachdenkliche Stirnrunzeln in dem Moment auf seinem Gesicht erschienen, in dem Großmutter ihn junger Mann genannt hatte, und das auf eine Art, die er an diesem Abend schon einmal gehört hatte.
»Richtig«, sagte er gedehnt. »Wo ist überhaupt die Vierte im Bunde?«
»Welche Vierte?«, fragte Großmutter.
»Ihre Kollegin«, erwiderte Frank unsicher. »Ihre Tochter, schätze ich. Oder eher Ihre Enkelin. Na, die eben, die am See aus der Kutsche gestiegen ist.«
»Da war niemand außer uns«, antwortete Großmutter. »Und Vater Gutfried natürlich.«
»Blödsinn!«, antwortete Frank überzeugt - zumindest versuchte er überzeugt zu klingen. Aber völlig gelang es ihm nicht. Er hörte sich ein bisschen unsicher an, und der Blick, mit dem er Großmutters Gesicht taxierte, sah deutlich mehr als nur ein bisschen unsicher aus. Er schien noch etwas sagen zu wollen, sog aber nur erschrocken die Luft ein und versteifte sich für eine Sekunde auf seinem Platz, als Wohlgemut beim Abbiegen beinahe einen Fußgänger überfahren hätte, der nicht schnell genug aus dem Weg sprang. Mit zusammengekniffenen Augenlidern wartete er, bis der Professor wieder halbwegs Gewalt über den Wagen hatte, und fuhr erst dann und in hörbar beherrschterem Tonfall fort: »Was soll dieser ganze Unsinn?«
»Sie wissen, dass es kein Unsinn ist«, sagte Großmutter. »Sie haben die Ungeheuer doch gesehen, die hinter Leonie her waren. Waren die auch nur... Unsinn?«
Frank schwieg unbehaglich. Er rettete sich schließlich damit, scheinbar konzentriert Wohlgemuts unzulänglichen Versuchen zu folgen, den Wagen über die Straße zu chauffieren, ohne dabei eine Spur aus zertrümmerten Fahrzeugen und niedergewalzten Fußgängern zu hinterlassen. Leonie konnte sein Gesicht nur noch im Innenspiegel beobachten, aber sie sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.
»Dort vorn wieder rechts«, befahl Frank, »und dann die nächste links. Danach geht es nur noch geradeaus.« Er fuhr sich demonstrativ mit dem Handrücken über die Stirn und atmete hörbar auf. »Mit ein bisschen Glück kommen wir sogar lebend an.«
»Nur werden wir es nicht mehr allzu lange bleiben«, fügte Fröhlich hinzu.
Frank schenkte ihm einen bösen Blick über den Spiegel hinweg, schwieg aber beharrlich weiter und auch Fröhlich sagte nichts mehr. Für die nächsten fünf oder zehn Minuten fuhren sie in verbissenem Schweigen dahin. Leonies Gedanken drehten sich immer schneller im Kreis. Ihr war buchstäblich zum Heulen zumute. Nach allem, was sie geschafft, nach allen Gefahren, die sie überwunden hatte, allen Feinden und Fallen, denen sie entkommen war, sollte es nun so enden? Das war einfach nicht fair!
»Was glauben Sie, was mit uns geschieht, wenn Sie uns abgeliefert haben?« Fröhlich war offensichtlich nicht bereit, so einfach aufzugeben. Frank drehte den Kopf und warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, aber der Notar fuhr ungerührt fort: »Und auch mit Ihnen?«
»Das wird sich zeigen«, antwortete Frank. »Seien Sie jetzt still.«
»Warum?«, fragte Fröhlich. »Sie haben doch nicht etwa Angst vor der Antwort?«
Frank blickte ihn noch wütender an, sagte aber nichts. Leonie konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Vielleicht war er ja nicht mehr ganz so sehr von seinen eigenen Worten überzeugt. Schließlich - ohne dass einer von ihnen noch irgendetwas hätte sagen müssen - fragte er, leise und in fast widerwilligem Ton: »Und was erwarten Sie jetzt von mir?«
»Nichts, als dass Sie einfach Ihren gesunden Menschenverstand gebrauchen«, antwortete Großmutter. »Denken Sie einfach noch einmal an alles, was Sie gesehen und gehört haben. Und dann bilden Sie sich ein Urteil.«
»Ich weiß nicht, was ich gesehen habe«, murmelte Frank leise, unsicher und fast mehr an sich selbst als an sie gewandt. »Das alles ist...« Er hob hilflos die Schultern. »Total verrückt.«