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Leonie, die vorsichtshalber den Abschluss bildete, um sich von ihren so genannten Verbündeten nicht schon wieder einen derben Stoß einzufangen, warf noch einmal einen Blick zurück nach unten - gerade rechtzeitig genug um zu sehen, wie die Tür wie von einem Hammerschlag getroffen auseinander flog und ein riesiger, stachelumrahmter Schatten unter der gewaltsam geschaffenen Öffnung erschien. »Schnell«, schrie sie. »Sie kommen!«

Fröhlich und der Professor stürmten los, wobei sie Großmutter nun endgültig unter den Armen ergriffen und kurzerhand zwischen sich trugen. Zu dem Splittern von Holz unten im Keller gesellte sich nun das Geräusch stampfender Schritte und dann ein so wütendes Brüllen, dass etwas in Leonie schier zu Eis zu erstarren schien.

Obwohl sie wusste, wie sinnlos es war, warf sie die schwere Tür hinter sich ins Schloss, ehe sie ihrem eigenen Rat folgte und so schnell losrannte, wie es nur ging. Das Brüllen und Splittern unten im Keller hielt nicht nur weiter an, sondern wurde auch immer lauter, als versammele sich unter ihnen eine ganze Armee, und die stampfenden Schritte kamen entsetzlich schnell näher.

Die Tür barst, von einem einzigen wuchtigen Schlag zerschmettert, noch bevor sie die Gaststube auch nur zur Hälfte durchquert hatte, und ein riesiger Aufseher stürmte herein. Leonie schrie auf und beschleunigte ihre Schritte noch mehr. Wäre sie allein gewesen, hätte sie möglicherweise sogar eine gute Chance gehabt, ihrem dämonischen Verfolger zu entkommen, denn auch wenn diese Kreatur die Kraft eines wütenden Elefantenbullen haben mochte, so war er doch zugleich auch kaum geschickter als ein solcher und vermutlich auch nicht sehr viel schlauer. Aber sie war eben nicht allein. Praktisch gleichzeitig mit ihrer Großmutter und den beiden auf so unheimliche Weise ähnlichen alten Männern erreichte sie die Tür.

Hinter ihnen setzte der Aufseher weit weniger elegant, dafür jedoch um so spektakulärer zur Verfolgung an: Er schwang seine gewaltige Stachelkeule und hackte und schlug sich kurzerhand seinen Weg durch den Raum. Zertrümmerte Tische und Stühle flogen in alle Richtungen davon, Glas zersplitterte, und selbst die rechtwinklige Theke ging unter den wuchtigen Keulenhieben des Ungeheuers zu Bruch, das anscheinend nicht bereit war von dem alten Irrglauben abzulassen, dass der kürzeste Weg auch automatisch der schnellste war.

Fröhlich riss die Tür des Burgkellers auf, bugsierte Großmutter und den Professor unsanft, aber zügig hindurch und winkte Leonie heran. Das Splittern und Krachen zerberstenden Holzes hinter ihr motivierte Leonie noch zusätzlich schneller zu laufen, und vielleicht sogar schneller als gut war: Sie machte noch einen einzelnen Schritt, verhakte sich mit dem Fuß an einem Hindernis, das sie in der Dunkelheit übersehen hatte, und fiel der Länge nach hin.

Instinktiv zog sie nicht nur den Kopf ein und rollte sich über die Schulter ab, sodass sie sich nicht verletzte, sondern nutzte den Schwung ihrer eigenen Bewegung ganz im Gegenteil aus, um sofort wieder auf die Füße zu kommen, aber damit endete die Ähnlichkeit zwischen dieser Situation und ihren Trainingsstunden im Dojo dann auch schon. Statt mit einer eleganten Bewegung in die Höhe zu federn, stolperte sie ungeschickt zur Seite, und dann sah sie einen riesigen, stachelbewehrten Schatten aus den Augenwinkeln auf sich zurasen, schrie in blanker Todesangst auf und fiel endgültig wieder auf die Knie, als Fröhlich ihren Arm ergriff und sie fast brutal herumzerrte.

Mit ziemlicher Sicherheit rettete er Leonie damit das Leben, denn der stachelige Schatten, den sie wahrgenommen hatte, entpuppte sich als die riesige Eisenkeule des Aufsehers, die genau dort durch die Luft pfiff, wo sie gewesen wäre, hätte Fröhlich sie nicht weggezerrt. Sie prallte mit so ungeheurer Wucht gegen einen der schweren Stützbalken, die die Decke trugen, dass dieser wie ein morsches Streichholz zersplitterte. Brüllend vor Enttäuschung, nichtsdestoweniger aber vom Schwung seiner eigenen Bewegung weitergerissen, stolperte der Koloss an Leonie vorbei, kämpfte einen Moment mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht und verwandelte die Tür in Kleinholz, als er dagegen stürzte.

»Danke«, keuchte Leonie. »Das war verdammt knapp.«

»Und ich furchte, es ist noch nicht ganz vorbei«, fügte Fröhlich in bedauerndem Ton hinzu. Mit erstaunlicher Kraft zog er Leonie auf die Füße, zugleich aber auch zurück und hinter die Deckung dessen, was der Aufseher von der Theke übrig gelassen hatte. Hastig legte er den Zeigefinger über die Lippen, als Leonie etwas sagen wollte, und machte mit der anderen Hand eine Geste in Richtung des gestürzten Aufsehers.

Leonies Blick folgte der Bewegung und ihr Herz machte einen erschrockenen Sprung. Der Aufseher lag auf dem Boden wie eine auf den Rücken gestürzte Schildkröte, und er stellte sich bei dem Versuch, wieder auf die Beine zu kommen, auch ungefähr so geschickt an, aber das änderte nichts daran, dass er zugleich auch vor dem einzigen Ausgang lag, den der Raum hatte, und ihn nachhaltig blockierte. Er hatte die Tür zertrümmert, als er zusammengebrochen war, und Leonie konnte Wohlgemut und die anderen draußen auf der Straße erkennen, nicht einmal ganze zehn Meter von ihnen entfernt - aber ebenso gut hätten sie sich auch auf dem Mond befinden können. Es gab für sie und Fröhlich keine Möglichkeit, an dem Aufseher vorbeizukommen.

Leonie duckte sich hastig tiefer unter den Rand der zertrümmerten Theke, als der gepanzerte Koloss in die Höhe kam und der Blick seiner winzigen, tückischen Augen misstrauisch durch den Raum tastete. Sie hatte keine Ahnung, wie gut diese Kreaturen sehen konnten, aber wenn ihre Sehkraft mit der eines Menschen vergleichbar war, dann hatte sie eine gute Chance. Es war nahezu stockfinster hier drin. Das einzige Licht fiel durch die zertrümmerte Eingangstür herein und die große Fensterwand, die auf den Innenhof hinausging.

Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, es einfach in diese Richtung zu versuchen, verwarf die Idee aber fast sofort wieder. Der Innenhof war an allen Seiten von Mauern umschlossen. Weder hatte sie eine Ahnung, wohin die Türen führten, die es darin gab, noch die Zeit, es herauszufinden. Sobald sie und Fröhlich ihre Deckung verließen, würde sich der Aufseher auf sie stürzen.

Und vielleicht auch schon eher, denn der Koloss war mittlerweile auf die Beine gekommen und begann unverzüglich nach Fröhlich und ihr zu suchen - auf seine ganz eigene Art, indem er seine Stachelkeule hin- und herschwenkte wie ein Bauer seine Sense und das ohnehin schon zertrümmerte Mobiliar noch weiter zerkrümelte. Und das war noch nicht alles. Leonie hatte den Lärm aus dem Keller keine Sekunde lang vergessen. Dass bisher noch keine weiteren Verfolger hier oben aufgetaucht waren, glich bereits einem kleinen Wunder, aber das würde ganz bestimmt nicht mehr lange so bleiben.

»Wir müssen hier raus«, flüsterte sie.

Fröhlich nickte. »Ja«, sagte er gepresst. »Dieser Gedanke ist mir auch gerade gekommen.« Er legte den Kopf in den Nacken und ließ seinen Blick an dem zerborstenen Balken hinaufgleiten, den der Aufseher zertrümmert hatte. Ein Teil der Decke darüber war eingebrochen. Das Gebäude schien nicht nur uralt zu sein, sondern auch baufällig.